(14) Wichtig

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[J]

Ich zog allein durch die Gassen zur Hauptstraße zurück - Dan hatte ich sich selbst überlassen.
Die in meinen Schal eingewickelte Waffe hielt ich unter meinem Mantel versteckt, während ich mich an allerlei Straßendreck in Menschengestalt vorbeidrückte, zu dem ich selbst gehörte, auch wenn ich schon länger keine Jobs mehr angenommen hatte. Ich hatte keine Lust mehr, keine Kraft, mich mit den tiefsten Abgründen dieser hässlichen Stadt auseinanderzusetzen.

Dementsprechend unverständlich war es mir, warum ich für die Ergreifung des Mörders von Ninas Eltern so viel auf mich nahm.
Und warum es mir persönlich so wichtig war.
Ich hätte sie damals einfach in der Bar, ihre Probleme schlicht und ergreifend links liegen lassen können.
Warum tat ich es nicht?

Ich schüttelte im Laufen den Kopf. Bis ich auf diese Frage eine Antwort hatte, würde ich weitermachen.
Meine Schritte beschleunigten sich.

*°*°*°*

[M]

Nina war anfangs sehr still gewesen, hatte ihr Glas nicht angerührt, war in Gedanken versunken.
Doch schließlich hatte ich es geschafft, sie in ein Gespräch zu verwickeln - ich war Barkeeper, ich brachte Menschen nebenberuflich zum Reden.

"Auf einer Elitehighschool gibt es also auch Arschlöcher.", lachte ich.

Sie zog betont überzogen eine Augenbraue hoch und hob abwehrend eine Hand.
"Auch? Nahezu jeder auf dieser blöden Schule hatte einen Vogel, mein Ex nur ganz besonders. Er war mein erster Freund, ok? Ich war so blind, dass ich nicht mal gemerkt hatte, dass er mit mir und meiner besten Freundin gleichzeitig was laufen hat!"

Sie schlug sich gegen die Stirn und wir lachten - so schrecklich, wie es für sie damals gewesen sein musste, so amüsant fand sie ihre Torheit heute.

"Nein, ich und Männer, das klappt einfach nicht. In meinen letzten Beziehungen habe ich mich auch nicht wohlgefühlt, vielleicht soll es so sein."
Sie zog spielerisch einen Schmollmund und ich lachte leise, doch mir kam es so vor als verletze sie diese Tatsache doch mehr, als sie zugeben wollte.

Ich hatte mir Reiche immer anders vorgestellt als sie, und jetzt konnte ich mir nicht vorstellen dass sie jemals so gewesen war. So verklemmt, protzend, ernst und geldgierig. Sie war ein ganz normales Mädchen gewesen, und jetzt eine ganz normale Frau.
Umso mehr tat sie mir leid, dass sie solch ein Schicksal erfahren hatte. Ihre Eltern waren tot, ihr Mörder frei, sie ganz allein.
Nicht ganz allein.

"Wie war es eigentlich bei Jo?", wollte ich wissen.
Wenn sie keine Rücksicht auf dich genommen hat, streich' ich ihr den Whiskey!

Nina schien kurzzeitig in Gedanken, als hätte ich sie mit dieser Frage überrumpelt. Jo hatte doch nichts gemacht, oder?
"Ist was passiert?"

"Was? Was meinst du?"
Sie war sowohl von der Frage, als auch von ihren Gedanken überascht. Ich ahnte Schlimmes.

"Naja, ist sie dir zu nah gekommen oder so?

"Was meinst du? Nein, nur als ich einen Albtraum hatte nahm sie mich in den Arm. Doch damit war sie mir nicht zu nah gekommen - ich hatte das gebraucht. Und mich wirklich geborgen gefühlt."
Sie schien in Gedanken versunken zu sein, immer leiser wurde ihre Stimme.
Jo hatte sich um ihre Gefühle gekümmert? Ganz ohne Hintergedanken? Oh man, mir fiel auf, dass ich Jo viel zu oft dabei sah, wie sie Mädchen abschleppte. Obwohl ich ihre gute Seite kannte, war ich trotzdem von ihr überrascht.

"Ihr weicher Kern hinter der harten Schale ist wirklich nett und liebenswert - aber es war auch verdammt cool, wie sie mich letzte Nacht gerettet hat."
Sie bemerkte wohl gar nicht, wie sich ein breites, wunderschönes Lächeln auf ihr Gesicht stahl. Warum spielte ich hier nochmal für Jo den Wingman? Ach ja, weil ich verheiratet war...

"Liebenswert?" Ich spielte nachdenklich, legte die Finger an mein Kinn.

Wurde sie gerade wirklich rot, oder lag das am Licht?

"Ich meine ja nur. Ich denke, sie ist ein guter Mensch. Sie verteidigt mich, wenn ich in Gefahr bin, tröstet mich, wenn es mir schlecht geht und ist gerade dabei, alle Möglichleiten auszuschöpfen, um den Mörder meiner Eltern zu finden. Sie ist mir sehr wichtig geworden in der letzten Zeit..." Ihre Röte war gestiegen. Ich hätte gern gewusst, wie diese Worte in ihrem Kopf geklungen hatten.

"Und ich hätte nie gedacht, dass sie das alles für dich tun würde.", gestand ich belustigt.

Sie schaute mich verdutzt an, als könnte sie sich gar nicht vorstellen, dass Jo ihr gegenüber ihre harte Schale hätte beibehalten können.
"Wieso denn?"

Ich sortierte meine Worte.
"Sie geht immer den Weg des geringsten Widerstands. Meistens denke ich eher, dass sie in den Tag hineinlebt und sich für niemanden interessiert, und vergesse schnell, dass sie auch andere Seiten hat, da sie sie nie zeigt.
Ich denke, wenn sie dir so schnell all diese Seiten gezeigt hat, musst du etwas Besonderes sein. Du bist ihr bestimmt genauso wichtig."

Sie verarbeitete diese Information kurz, bevor sie auf ihr Glas nach unten schaute. Ich dachte, seit ein paar Minuten hätte sie bestimmt den Mörder ihrer Eltern einmal vergessen.

"Glaubst du? Ich habe sie doch bestimmt nur belastet. Ich habe noch nichts für sie getan, und in vierundzwanzig Stunden hat sie mein Leben verändert."
Sie hörte sich sogar ein wenig verzweifelt an. Sicher konnte sie ihre Gefühle nicht einordnen, die an nur einem Tag auf sie eingeschlagen waren.

"Ich bin mir sicher, Jo sieht das an-"
Ich wurde vom Aufwerfen der Tür unterbrochen.
Als Nina und ich um die Ecke schauten, sahen wir Rick auf uns zukommen.

One Night Drink >girlxgirl< ᵃᵇᵍᵉˢᶜʰˡᵒˢˢᵉⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt