(4) Auf Wiedersehen

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[J]

Ich umfasste mein Glas, in dem nur noch ein letzter Schluck war, mit beiden Händen. Normalerweise wäre das jetzt schon mein Dritter Whiskey gewesen und Mike würde mir einen vierten verweigern. Aber heute schien mein Körper den Alkohol nicht ganz so geil zu finden und ich fühlte mich schon nach diesem einzigen Glas angeschwippst.

Es war weit nach Mitternacht und die Bar leerte sich bereits zunehmend. Nina war die ganze Zeit neben mir sitzen geblieben, nur zwei Mal auf die Toilette verschwunden. Sie hatte nicht mehr getrunken als ihr, ebenfalls bis auf einen letzten Schluck leeres, Glas Wasser, und nicht viel geredet.

Anfangs hatten wir uns noch ein wenig über Billard und das städtische Nachtleben unterhalten – sie hatte von beidem keine große Ahnung – doch dann hatte sie einfach nur noch Rick und Mike zugehört. Die beiden hatten sich in den letzten Stunden fast durchgängig gestritten, oder wie Mike sagte, sie hatten „subjektiv miteinander diskutiert“, was trotzdem irgendwie das selbe bedeutete. Jedenfalls schien Nina das ganz schön ulkig zu finden, sie hatte immer mal gekichert und sich dabei die halb geöffnete Faust vor das Gesicht gehalten.

Das war ziemlich vornehm, fiel mir auf. Aber nicht nur das gab mir zu denken - ihr gesamtes Auftreten passte nicht zu ihrem Aufenthalt in dieser Bar: Der gute Mantel, der jetzt unter den vielen Lederjacken neben der Tür hing. Das Top und die Stoffhose, die trotz des Mantels für die herbstliche Kühle draußen einfach zu dünn war. Das Unwissen über Billard und Dart, als wäre sie noch nie in einer Kneipe gewesen. Und nicht zuletzt der gefälschte Ausweis und die Tatsache, dass sie nicht darüber reden wollte.

Sie hatte offensichtlich etwas zu verbergen.

Im Hintergrund meiner Gedanken schloss sich erneut die Vordertür der „Golden Eye“ mit einem Knarzen, einem „Auf Wiedersehen!“ von Mike hinter der Theke und dem darauf folgenden dumpfen Geräusch beim Zufallen.

Ich hatte die gesamten letzten Stunden über Nina nachgedacht. Doch letztendlich hatten wir alle unsere Geheimnisse. Und sie war nicht das einzige Kind aus gutem Hause, dass mal eine Nacht lang einfach einen drauf machen wollte. Es ging mich nichts an, und ehrlich gesagt interessierte es mich auch nicht sonderlich.

Ich sah mich um. Wir waren die letzten. Wie schnell die Zeit vergangen war…

Auch Mike suchte jetzt den Raum nach letzten Gästen ab.       
„In Ordnung, macht euch vom Acker, ich sperre zu für heute. In ein paar Stunden muss ich die Jungs in die Schule bringen.“

Ich kippte mir meinen letzten Rest Whiskey in den Mund und stand dann schwerfällig auf.                              „Gut. Ricky, kommst du?“, fragte ich, während ich mir meine Jacke vom Haken neben der Tür nahm. Rick und ich hatten ein paar hundert Meter weit den selben Weg nach Hause, weshalb wir uns häufig noch etwas unterhielten… oder stützen, wenn wir beide stockbesoffen waren.

„Ne, heut‘ nicht, ich geh‘ hinten raus und direkt zur Arbeit, habe Frühschicht.“ Rick hatte, im Gegensatz zu mir, einen ehrlichen Job bei irgendeiner Firma. Trotzdem beneidete ich ihn nicht, denn er schuftete sich nicht selten den Arsch ab für den Durchschnittslohn, den er erhielt. Spaß zu machen schien sein Job ihm aber.

„Okay, na dann“ Ich zog den Kragen meiner Bomberjacke hoch und öffnete die Tür als ich mich in der Bewegung doch noch einmal zur Theke umdrehte, an der Mike auf Nina einredete.

„Und du, willst du nicht gehen?“ Stille.
„Gefällt es dir so sehr bei mir?“ Stille. Sie schaute nur betreten nach unten und umklammerte ihr nun leeres Glas.

„Weißt du nicht, wohin?“, fragte ich nach ein paar verschwiegenen Minuten, in denen Ninas Unwohlsein stetig zu steigen schien. Ich kannte dieses Gefühl.

„Ricky lässt dich sicher zu ihm“, sagte ich monoton und drehte mich wieder zur Tür. Ich konnte ihr nicht helfen und wollte es auch nicht.

Jetzt meldete sich Rick zu Wort.
„Von wegen, ich hab‘ gar keine Zeit für sie. Außerdem ist es ihr bestimmt nicht geheuer, bei einem wildfremden Typen unterzukommen. Nimm du sie doch mit, bist schließlich auch ‘n Mädel. Kommst auch viel besser klar mit ihr.“

Ich drehte mich abermals um, diesmal, um Rick böse anzufunkeln. Er war genauso ein Einzelgänger wie ich und auch wenn er wahrscheinlich Recht hatte, freute er sich insgeheim doch, mich damit ärgern zu können.

Bei einem Blick auf Nina starrte sie mich an. Ihr war das sicher unangenehmer als mir, aber trotzdem flehte sie mit ihrem Blick förmlich. Was zur Hölle sollte das? Verdammt.

Ich seufzte.                                                  „Dann komm‘ halt mit, aber nur für heute, damit du dich ausruhen kannst. Dass du dich ja nicht bei mir einquartierst!“

Ihre Miene hellte sich auf und sie kam erleichtert auf mich zu. Nachdem sie ihren Mantel angezogen hatte, schaute sie mich nur stumm und dankbar an. Ich seufzte noch einmal.

„Also dann, mach‘s gut Mike, grüß' die Jungs von mir.“ Ich hob die Hand zum Abschied beim Verlassen der Bar.

Ich schob die Hände tief in die Taschen meiner Jeans und trat in die morgendliche Kühle hinaus, in der mich die herbstliche Dunkelheit umfing.           
Hinter mir folgte stumm diese bildhübsche, in sich gekehrte junge Frau.

Na toll.

One Night Drink >girlxgirl< ᵃᵇᵍᵉˢᶜʰˡᵒˢˢᵉⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt