(9) Nachricht

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Leise Stimmen weckten mich. Ich hatte noch den angenehmen Geruch von Männershampoo und Pfefferminztee in der Nase, der auch aus der Bettwäsche noch nicht verflogen war.
Im Halbschlaf suchte ich nach der Geborgenheit, die ich nach meinem Albtraum empfunden hatte, doch mit der Leere der anderen Betthälfte war diese verschwunden.

Unglücklich, sowohl darüber als auch über das Ende meines nach so langer Zeit wieder wohltuenden Schlafes, blinzelte ich in die Sonne hinein, die hinter dem Fenster gegenüber des Bettes hoch am Himmel stand. Sie verleihte mir sofort Frische und machte mich wach, bevor ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen ließ.

Links neben dem Fenster stand ein großer Fernseher, der mir am Morgen gar nicht aufgefallen war. Sie hat also doch einen!, schoss es mir sofort durch den Kopf und als ich bemerkte, dass die Stimmen, die mich geweckt hatten, von dem Gerät kamen, zuckte ich zusammen.

Es liefen die Nachrichten. Jo stand reglos davor. Es lief eine Meldung über mich.
Sie drehte sich mit ausdruckslosem Blick zu mir.

Ich war mittlerweile hochgeschreckt und starrte auf den Fernseher, aus dem die Nachrichtensprecherin trocken, und vor Bildern meiner toten Eltern, sprach:

„Gefahndet wird nach wie vor nach Nina Clarissa Bricks, die im Verdacht steht, ihren Vater Bernard Bricks, den Konzernchef der Bricks Society sowie seine Frau, ihre Mutter Jessica Bricks, erschossen zu haben. Die Umstände der Tat, ebenso wie das eventuelle Motiv der gesuchten Konzernerbin und Hauptverdächtigen, sind weiterhin unklar. Bitte melden Sie Hinweise zu Nina Bricks an die örtliche Polizei. Außerdem – “

Jo schaltete den Fernseher ab, das dumpfe Geräusch beim Ablegen der Fernbedienung auf die hölzerne Kommode hallte wie ein Donnerschlag in meinem Kopf, meine Augen starrten weiterhin auf den nun schwarzen Bildschirm. Ich war unfähig, mich zu bewegen. Jo blickte zu mir herab.

Ich hatte Angst, ihr in die Augen zu sehen. Ich wusste, sie würden Zorn und Verachtung ausstrahlen, sie würden blitzen, während sie mich festhielt, um die Cops zu rufen.

Würde sie die Cops rufen? Wusste sie es bereits? Heute Morgen hatte sie doch erwähnt, sie wüsste, wer ich bin.

Ich hatte Angst. Angst, sie könnte mich verraten. Angst, ich würde abgeführt werden. Angst, ins Gefängnis gehen zu müssen, ohne den wahren Mörder meiner Eltern gefunden zu haben.
Angst, sie nicht rächen zu können. Ihn nicht töten zu können, nicht büßen zu lassen.

Ich hörte ein leises Scharren von Füßen über Parkett, zwei kurze Schritte, bevor eine große, weiche Hand die heißen Tränen von meinen Wangen wischten, die drohten, mir Furchen in die Haut zu brennen.
Meine Angst war augenblicklich weg, einfach verschwunden, genauso wie meine Wut. Sie rückten tiefer in meinen Kopf, zurück hinter meine eigens dafür entstandene Wand, und zurück blieb nur die Trauer über den Verlust meiner Eltern.

Immer mehr Tränen füllten meine Augen, immer nasser wurde der Ärmel des Arms, der sich um mich gelegt hatte. Ich krallte mich in die zurückhaltende Umarmung von Jo und ließ den Tränen freien Lauf, unterstützte sie durch lautes Schluchzen.

Sie wusste es. Sie musste mich für eine Mörderin halten. Es war ihre Pflicht, mich der Polizei auszuliefern.
Doch sie tat es nicht. Sie saß einfach nur da, auf die Bettkante gestützt, und hielt mich fest. Sie fing meine Tränen auf, ertrug mein Heulen, ließ es bis zum letzten Moment stumm verklingen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit sah ich, mit sicherlich rot geschwollenem Gesicht, zu ihr auf und in ihre dunklen Augen. Sie blitzen nicht, sie zeigten keinen Zorn und keine Angst.
Sondern Mitgefühl. Ihre Augenbrauen waren schmerzvoll zusammengezogen, ihr Blick traurig, auf den Lippen hatte sie ein dünnes Lächeln. Warum? Warum bemitleidete sie mich? Sie hatte doch gerade gehört, ich wäre eine Mörderin! Hätte meine Eltern erschossen!

Doch sie blickte mich nur mitleidig an, bis ich die Stille brach.

„Du wusstest – “

„Du hast das nicht getan.“, unterbrach sie mich. Ihr Blick war wieder emotionslos, ernst, als dulde sie keinen Widerspruch. „Du hast deine Eltern nicht erschossen.“

Das Gespräch machte mir Angst, aber es war eine andere Angst als die vor der Polizei. Ich hatte Angst davor, über meine Eltern zu sprechen, über diese schreckliche Nacht, über den Mann, der mein Leben mit zwei Schüssen zerstörte.

Ich war wie erstarrt, mein Blick vereist, ich spürte erneut Hitze in meine Augen schießen.
Da packte sie mich. Griff einfach mit beiden Händen meine Schultern und zwang mich, ihr in die Augen zu sehen. Drängte mich zu einer Antwort, doch ließ meine aufsteigenden Tränen nicht hervorquellen.

„Nein.“, antwortete ich mit fester Stimme. „Er war es.“

Sie schluckte. „Erzähl‘ es mir.“

One Night Drink >girlxgirl< ᵃᵇᵍᵉˢᶜʰˡᵒˢˢᵉⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt