(6) Wärme

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Hatte sie doch die Nachrichten gesehen? Hatte sie mich erkannt? Sollte ich abhauen?

Das alles war mir in diesem Moment durch den Kopf gegangen, und jetzt saß ich trotzdem auf dieser gemütlichen Ledercouch in ihrer kleinen Wohnung, die für diese schäbige Gegend ganz schön eingerichtet war: Die schwarze Couch, auf der ich saß, stand in der Mitte des Raumes, vor mir stand ein großes Eichenholzregal voller Bücher, von denen viele schon sehr alt aussahen. Links war das Fenster, durch das wir eingestiegen waren, davor auf dem Boden waren noch unsere Schuhabdrücke. Meine nackten Füße standen auf einem weichen dunklen Teppich, meine Stiefel vor der Kommode hinter mir. Rechts an der Wand waren zwei Türen, die eine führte ins Schlafzimmer, die andere war wahrscheinlich die Eingangstür, die man eigentlich hätte nutzen sollen, um die Wohnung zu betreten. Links war die Tür zum Bad, daneben eine kurze Küchenzeile.     

An dieser goss mir Jo gerade einen Tee ein. Dann kam sie auf mich zu und drückte ihn mir in die Hand.
Sie war vielleicht doch ganz nett und nicht so furchteinflößend.

Einen Fernseher konnte ich nicht in ihrer Wohnung finden. Das musste zwar nichts heißen, half mir aber dabei, mich zu beruhigen. Ein Schluck des heißen Pfefferminztees, der die Kälte der Nacht aus meinem Körper vertrieb, trug ebenfalls dazu bei. Fast hätte ich sogar vergessen, dass sie vermutlich wusste, wer ich war.

Augenblicklich wurde ich wieder nervös, umfasste die warme Tasse mit meinen kalten Händen so fest, dass meine Knöchel weiß wurden. Sie starrte auf meine Hände und seufzte schwer.

„Dir ist kalt, nicht wahr?“, fragte sie freundlich.

Ich blickte sie überfordert an. Nach dem Eindruck, den ich bis jetzt von ihr hatte, hätte ich mehr Direktheit erwartet.
Hatte sie meine Anspannung bemerkt? Ich hätte nicht erwartet, dass sie so freundlich sein würde, vor allem nicht nach ihrer Reaktion in der Bar als ich mit zu ihr sollte. Ich hatte sie für unnahbar und kühl gehalten, so hatte sie sich ja bis jetzt auch gegeben.
Doch jetzt hatte ich irgendwie… Schuldgefühle? Vielleicht war sie ja eigentlich gar nicht so. Oder war sie angetrunken, und deshalb so anders als vorher?

Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sie aufgestanden war, dabei hatte ich sie die ganze Zeit angestarrt. Ich wahr wohl zu sehr in Gedanken gewesen, um zu bemerken, dass sie jetzt plötzlich aus der Tür kam, hinter der ich das Bad vermutete.

„Ich habe dir Sachen von mir ins Bad gelegt. Du kannst duschen, wenn du willst, oder es lassen, aber auf jeden Fall solltest du dich umziehen.“

Warum kümmerte sie sich jetzt auf einmal um mich?                                Meine Wangen wurden warm. Das lag bestimmt am Tee.

„Danke“, murmelte ich, bemerkte, wie ich vollkommen ruhig geworden war. Ich stellte die Tasse auf dem kleinen Couchtisch ab und schlüpfte an Jo vorbei ins Bad, nicht ohne ihr ein kleines Lächeln zu schenken.

So gefiel sie mir besser. Warum auch immer sie plötzlich so nett war.

Ich huschte ins Bad und schloss die Tür hinter mir. Es war altmodisch eingerichtet, aber sehr sauber. Ja wirklich, wenn man dem Zimmer nicht angesehen hätte, wie alt diese Wohnung wahrscheinlich war, hätte man meinen können, die Einrichtung, das heißt der hohe Apothekerschrank und der kleine unter dem Waschbecken, wären neu.   

Das kleine Bad war in weiß und Gelbtönen gehalten, an der Wand war es halbhoch beidfarbig gefliest.
Ich schaute in die Schränke, auf der Suche nach Duschgel und Shampoo, und stellte auch eine zur Sauberkeit passende Ordnung fest. Das hätte ich auch nicht von Jo gedacht.

Da ich nichts fand, schaute ich in die Dusche – was ich gleich hätte machen sollen, denn Duschgel und Shampoo standen darin. Allerdings waren es Männerpflegeprodukte. Hatte sie einen Freund?

Egal, Hauptsache endlich mal wieder duschen.

Ich zog meine viel zu dünne Kleidung aus und legte sie auf der Toilette zusammen. Ich hatte mir in den letzten Tagen oft gewünscht, ich hätte bei meiner Flucht alltagstauglichere Sachen angehabt als das Tanktop und die Jeans, ich hatte ja nicht einmal Socken an.

Ich fröstelte in meiner Nacktheit, weshalb ich schnell die Dusche aufdrehte. Das warme Wasser tat gut und ließ mich geborgen fühlen, als es über meinen Körper lief.

Wann hatte ich das letzte Mal geduscht? Wann hatte ich das letzte Mal so eine Ruhe?

Wann habe ich zuletzt keine Angst gehabt?

×××××


So, ich dachte mir, in Teil 6 darf man vom Schreiberling auch mal einen Kommentar erwarten...

Tut mir leid, dass die Kapitel etwas kürzer sind - im Gegenzug dafür bekommt Ihr sie in kürzeren Abständen. :]

Ich habe vor, jetzt langsam mal die Story voranzutreiben, denn eigentlich sollte es eine Kurzgeschichte werden... Aber ich bin anscheinend einfach nicht in der Lage, meine Geschichten kurz zu halten. *lach*

Wie auch immer: Fragen, Anmerkungen, Vorschläge, Gedanken und konstruktive Kritik (gerne auch negative) einfach in die Kommentare, danke!

- R -

One Night Drink >girlxgirl< ᵃᵇᵍᵉˢᶜʰˡᵒˢˢᵉⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt