Prolog

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,,Irgendwann wirst du bekannt sein,
meine kleine Prinzessin. Irgendwann wird man deinen Namen kennen und dich fürchten. Merke dir eines, Tochter! Wenn andere Personen Angst vor dir haben, hast du Macht. Macht über die Gefühle deines Gegenübers. Nur du allein kannst dann alles kontrollieren. Angst, ist die mächtigste Emotion, die ein Mensch haben kann und ist ebenso die größte Schwäche. Eine Illusion die dein Gehirn dir vorspielt. Angst ist ein Gefühl und Gefühle kann man unterdrücken und verdrängen! Handle niemals nach deinen Emotionen! Zeige niemals deine Ängste oder Gefühle, denn das macht dich schwach. Du musst immer die Kontrolle behalten. Alle möglichen Situationen durchplanen. Erst dann bist du sicher. In unserem Beruf bedeutet schwach sein, dass du sterben wirst. Also meine kleine Ice, bist du schwach? Willst du sterben?"

Mein Vater sieht mich eindringlich an. Schnell schüttle ich meinen Kopf.

,,Ich will es aus deinem Mund hören!"

,,Nein, Vater. Ich bin nicht schwach und ich will nicht sterben!"

Vater scheint zufrieden mit meiner Antwort und deutet mit seiner Hand, dass ich in mein Zimmer gehen und weiter mit meinem Prinzessinnenschloss spielen darf.

Mein Vater lernt mir viele Sachen. Darunter unterrichtet er mich in Nahkampf, Kriegsführung, Kriminologie, Wirtschaft, Sprachen und vieles mehr. All diese Bereiche seien wichtig für mein Überleben, wenn er nicht mehr hier sein würde.

Was das bedeutet, hat er mir nicht erklärt. Er sagt immer, dass es irgendwann wichtig für mich sei und mein Leben retten würde. Auch wenn ich es jetzt, mit meinen zehn Jahren, noch nicht wirklich begreife, gehorche ich seinen Befehlen.

Schon zu oft habe ich mich seinen Befehlen widersetzt. Für Ungehorsamkeit bestraft er mich immer mit einer Ohrfeige. Nicht weiter schlimm, denn so würde ich lernen, mit meinen Gefühlen, darunter Schmerz, umzugehen. Zumindest sagt dies mein Vater, denn ich mit meinen jungen Jahren finde eine Ohrfeige durchaus sehr grausam.

Gerade konzentriere ich mich auf meinen Baukasten, als ein lauter Knall und ein darauffolgender Schrei meine Aufmerksamkeit erlangt. Den Knall kann ich schnell als einen Schuss identifizieren.

Mein Armband fängt an rot zu blinken. Es ist kein normales Armband, denn wenn Vater in Schwierigkeiten steckt, kann er mich so verständigen.

Tausendmal hat mein Vater mit mir die nächsten Schritte geübt. Es ist schon fast eine Routine. Alles lasse ich liegen und renne in meinen Schrank, dort öffne ich mit einem kleinen Schlüssel, welchen ich immer um meinen Hals trage, die geheime Tür.

Solch ein Handeln mag für viele übertrieben und paranoid erscheinen, doch in der Branche, in der mein Vater tätig ist, ist es reine Vorsichtsmaßnahme und nicht im Geringsten unnormal.

Hinter der Tür befindet sich ein versteckter Raum. Vater nennt ihn immer Notfallraum. Es befindet sich eine kleine Matratze auf dem Boden. Darauf liegen ein paar Wasserflaschen. Ich schließe die Tür hinter mir und setze mich auf die verstaubte Matratze.

Der Raum ist klein und es befindet sich sonst nur noch ein kleiner Wecker im Raum. Ich stelle den Countdown auf 24 Stunden. Diesen darf ich nur verlassen, wenn die 24 Stunden um sind oder Vater einen bestimmten Klopf-Rhythmus an die Tür klopft. Die Tür kann jetzt nur mehr von Innen geöffnet werden.

Kein einziger Laut verlässt meinen Mund. Draußen kann ich noch immer Schreie und Schüsse wahrnehmen, doch ich sitze einfach nur auf dem Boden und warte. Die Worte meines Vaters hallen in meinem Kopf wider.

,,Du setzt dich auf diese Matratze. Du wirst dich nicht bewegen und keinen einzigen Laut von dir geben. Wenn du dich hier drinnen befindest, bist du in Sicherheit. Sollte ich in den 24 Stunden nicht kommen, darfst du niemanden mehr vertrauen! Vertraue nur dir selbst. Erinnere dich an alles was ich dir gelernt habe, an alle darauffolgenden Maßnahmen! Verstanden?!"

Mein Vater ist anders. Ich verstehe nicht alles, aber ich weiß, dass ich nicht in einer normalen Familie aufwachse.

Er ging nie mit mir in einen Zoo oder auf einen Kinderspielplatz. Statt Kinderlieder oder Gedichte lernte er mir geheime Codes und Namen wichtiger Geschäftsleute. Alles für mein Überleben, denn irgendwann würde ich es verstehen.

Die Stunden vergehen. Obwohl die Luft in diesem Raum stickig ist und ich nichts sehen kann, atme ich ruhig weiter.

Mittlerweile ist es Mucksmäuschenstill. Keine Schreie oder Schüsse sind zu hören. Ebenso keine Klopfgeräusche meines Vaters. Auch wenn ich diese Situation nicht ganz verstehe beziehungsweise nicht weiß, was gerade passiert, ist mir eines bewusst. Dieses Ereignis wird mein Leben komplett verändern, denn Vater ist nicht gekommen und es fehlen nur noch drei Stunden, bis die 24 Stunden vorbei sind.

Das ungute Gefühl, dass Vater tot ist, macht sich in mir breit. Selbst wenn Vater tot ist, hat er mir meine nächsten Schritte erklärt. Vater hat immer alles geplant. Jede erdenkliche Variation hat er durchbesprochen.
Für jede Situation hat er mich vorbereitet.

Auch wenn Vater mir gelernt hat, niemals Angst zu zeigen, habe ich Angst. Angst, ohne ihn zu sein. Immer wieder wiederhole ich die gelernten Worte meines Vaters.

Ich werde überleben, denn ich bin stark und habe keine Angst.

Eigentlich ist dieser Satz lächerlich, aber dennoch beruhigt er mich. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass die 24 Stunden bereits abgelaufen sind.

Vorsichtig und leise schließe ich die Tür auf. Auf Zehnspitzen schleiche ich aus meinem verwüsteten Zimmer. Jemand hat etwas gesucht. Mein Zimmer lasse ich hinter mir und betrete das Treppenhaus.

Carlos und Brian, meine zwei Wachmänner, liegen leblos auf den Stufen.

Einen Moment starre ich wie überfordert auf die leblosen Körper.
Ich werde überleben, denn ich bin stark und habe keine Angst!

Für einen Moment schließe ich die Augen und verdränge alle Gefühle, so wie Vater es mir lernte. Also steige ich über die beiden und betrete das Wohnzimmer.

Nochmals erstarre ich, doch dieses Mal bricht meine Welt zusammen. Vater liegt auf dem Boden und starrt mit leeren Augen genau in meine Richtung.

Er hat mich auf alles vorbereitet, auch auf seinen Tod, doch wie kann man sich auf den Tod seines eigenen Vaters vorbereiten. Nicht zu vergessen, ich bin erst zehn.

Ich senke meinen Körper und heiße Tränen rinnen meine Wangen hinunter. Kein Laut verlässt meinen Mund. Stark umarme ich ihn, denn ich weiß, es würde das letzte Mal sein, dass ich meinen Vater umarmen kann.
,,Versprich mir, kleine Ice! Halte dich an meine Regeln! Niemals, egal was passiert! Du darfst sie nicht brechen! Versprich es mir!"
Erst vor ein paar Tagen hat Vater mir dies gesagt. Wusste er, dass es bald so weit sein würde, diese Regeln zu befolgen?

Also stehe ich auf, wische meine Tränen weg und flüstere ein leises: ,,Ich liebe dich, Vater. Ich werde dich stolz machen!"

Danach drehe ich mich um und verlasse das Haus, welches ich mein Zuhause nenne, für immer.

Nun würde ich die Maßnahmen, welche Vater für mir gelernt hatte, ausführen. Vater starb für mich. Sein Tod soll nicht unnötig gewesen sein.

𝚄𝙽𝙲𝙾𝙽𝚃𝚁𝙾𝙻𝙻𝙰𝙱𝙻𝙴Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt