422 Tage danach
AlexaEs ist ausnahmsweise einmal gutes Wetter, als ich mich von Nick's Motorrad schwinge und vor den Stufen zum Gericht stehen bleibe.
Wir haben kurz nach acht Uhr am Morgen und ich bin echt froh darüber, dass Nicholas mich bei sich wohnen lässt. Niemals würde ich bei meinem Vater klingeln oder noch schlimmer bei Lucy und Jay. Wir haben mir eine Luftmatratze besorgt und seitdem campiere ich direkt unter der Wand die wir mit allen Infos zu Travis zugekleistert haben. Inzwischen sind wir echt weit gekommen, so langsam erkenne ich ein Muster in seinen Bewegungen und Nick ist gar kein so schlechter Partner.
Ich ziehe mir den Helm vom Kopf und warte darauf, dass Nick sein Visier nach oben schiebt. Seine dunklen Augen kommen unter dem weißen Helm nur noch mehr zum Vorschein und ich erkenne das Lächeln was auf seinen Lippen liegen muss an den Falten um seinen Augen herum.
"Ich hol dich hier wieder ab," teilt er mir mit und ich nicke dankbar, bevor ich ihn davon fahren lassen.
Lucy ist eine halbe Stunde vor mir geladen und die Wahrscheinlichkeit sie vor der Verhandlung zu sehen ist gering.
Am Eingang lasse ich mich kontrollieren und muss dann meinen Helm dort lassen, wofür ich einen Chip mit einer Nummer drauf bekomme.
Den Saal habe ich relativ schnell gefunden, weil ein Haufen an Leuten vor der Tür steht und ich bin mir sicher, dass ich gefilmt werde als ich meine Ladung vorzeige und durch die große Eichentür trete. Ich nehme auf dem nächstbesten Stuhl platz und sehe mich um.
Ein paar Lehrer sind anwesend, Noah der mit seinem Anwalt links im Raum sitzt, während die Rektorin unserer Schule rechts Platz genommen hat.
Den Richter kenne ich nicht, aber er lauscht aufmerksam einer Sportreferendarin, die Noah als netten und pflichtbewussten Lehrer beschreibt. Keiner der Leute hat eine schlechte Meinung über ihn und ich bin mir sicher, dass die Rektorin die Sache am liebsten unter den Tisch hätte fallen lassen, aber das konnte sie nun mal nicht.
Lucy wird aufgerufen und erhebt sich weiter vorne aus einer Reihe und setzt sich auf einen Stuhl in die Mitte. Ich sehe zwar nur ihren Rücken, aber ich kann spüren wie unangenehm es ihr ist.
Der Richter belehrt sie und fragt sie dann ob sie ihre Aussage machen will.
"Nein."
Im Gegensatz zu ihrem Auftreten ist ihre Stimme fest und ich habe mit der Antwort gerechnet, weil wir gesagt haben wir werden Noah das selber regeln lassen. Sie wird entlassen und kehrt zurück auf ihren Platz, scheint mich nicht in der Menge wahrzunehmen.
"Alexa van Veldhoven," ruft einer der Gerichtsdiener mich auf und ich erhebe mich von meinem Stuhl.
Noah schenkt mir ein Lächeln, obwohl er erschöpft aussieht.
Lucy und ich sehen uns kurz an als ich an ihr vorbei gehe. Sie ist knallrot im Gesicht und das Unbehagen steht ihr beinahe mitten auf der Stirn geschrieben."Frau van Veldhoven, ich muss Sie darüber aufklären, dass sie keine Angaben zur Sache machen müssen, wenn sie mit dem Betroffenen verwandt oder verschwägert sind. Weiterhin können sie die Antwort auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung Sie selbst oder einen nahen Angehörigen in die Gefahr bringen würde wegen Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Haben sie das so weit verstanden?"
Ich nicke," ja habe ich."
"Okay des weiteren gilt wenn sie Angaben zur Sache machen können, sind sie gehalten die Wahrheit zu sagen, andernfalls könnten Sie sich gegebenenfalls strafbar machen. Unter den Voraussetzungen frage ich sie jetzt, ob sie die Belehrung verstanden haben und Angaben zur Sache machen wollen?"
Noah sieht mich schon gar nicht mehr an, er blickt stumm auf den Tisch vor sich. Ich hole tief Luft bevor ich antworte.
"Ich habe die Belehrung verstanden und würde gerne eine Aussage machen," erkläre ich.
Noahs Blick schießt schockiert in die Höhe als er mich ansieht. Ich versuche ihm ermutigend zuzulächeln.
"Okay in welchem Verhältnis stehen sie zu dem Angeklagten und der Betroffenen?"
Die graue Brille des Richters rutscht ein Stück runter, aber ich bin mir sicher er hat es selber bemerkt.
"Noah," ich stoppe. "Herr Blakely, ist mein Mathematik und Sportlehrer, Frau Szewczyk ist seit ich klein bin meine beste Freundin."
Eine Frau neben dem Richter notiert was ich gesagt habe.
"Und sie haben die ganze Zeit von der Beziehung gewusst?"
Wiederholt nicke ich," Ja."
"Möchten sie uns die Beziehung einmal schildern?"
Die Worte formen sich in meinem Kopf schneller als ich überlegen kann, also lasse ich sie einfach raus."Lucy und ich haben Noah in einem Club kennengelernt um genau zu sein im Sommer vor zwei Jahren," ich erinnere mich an den Tag zurück, wir sind beide endlich achtzehn gewesen.
"Noah hatte uns vor zwei ekelhaften bestimmt fünfzehn Jahre älteren Typen gerettet und ist dann mit Lucy in ein Gespräch gekommen," ich weiß auch noch genau, dass sie sich nach fünf Minuten die Zungen in den Hals geschoben haben.
"Zwischen ihnen hat es gefunkt und sie waren den ganzen Sommer sowas wie ein Paar," erkläre ich.
"Dann ist klar geworden, dass Noah an unserer Schule unterrichten wird und die Beiden haben beschlossen das ganze zu beenden," hole ich weiter aus.
Bevor der Richter mich etwas fragen kann spreche ich einfach weiter.
"Noah ist ein guter Lehrer, er geht individuell auf seine Schüler ein und hat auch ein Händchen für Problemfälle. Ich verstehe das Gesetz und die Tatsache, dass eine Lehrer-Schüler-Beziehung nicht erlaubt ist. Aber in meinen Augen ist das in diesem Fall etwas anderes. Lucy und Noah kannten sich schon bevor er ihr Lehrer geworden ist und sie hatten einen einzigen Moment der Schwäche, der so nie wieder vorgekommen ist. Meiner Meinung nach sollte die Fähigkeit seines Berufes nicht daran gemessen werden, ob er einen einzigen Fehler gemacht hat, weil ihm bewusst gewesen ist, dass er seine Gefühle nicht haben darf obwohl sie vor dem Job in Ordnung waren."
Verwundert sieht Noah mich an und wirft mir einen Blick der Dankbarkeit zu der sich in meine Netzhaut brennt."War das alles Frau van Veldhoven?"
"Ja."
"Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Das Urteil wird heute in einer Woche verkündet," erklärt der Richter und erhebt sich dann.
Als auch ich mich erhebe um zum Ausgang zu gelangen sehe ich Jayson und Lucy neben der Tür auf mich warten. Ich weiß, sie will mit mir reden und einfach alles klären, aber wir können die neuen Streitigkeiten nicht klären wenn die von vor einem Jahr noch wie eine Wolke über uns hängen.
Also laufe ich achtlos an ihnen vorbei und beeile mich mir den Helm zu besorgen.Da Noah gerade das Gebäude über einen Nebeneingang verlassen hat ist kaum einer der Reporter auf meinem Weg nach draußen. Ich steige die Stufen gerade herunter als Nicholas mit quietschenden Reifen am Fuß der Treppe zum Stehen kommt.
"Alexa jetzt warte!"
Es ist Lucy, aber ich drehe mich nicht um, ich tue so als hätte ich sie nicht gehört. Ich ziehe mir den Helm schon auf den letzten Stufen über und mache es mir dann sofort hinter Nick bequem, dieser wirft mir einen kritischen Seitenblick über die Schulter zu, als Lucy ein weiteres Mal meinen Namen ruft und mit ihrem Arm wedelt.
"Fahr einfach," weise ich ihn an.
Ohne weiter auf die Situation einzugehen lässt er den Motor aufheulen und dann kann ich Lucy nur für den Bruchteil einer Sekunde mitten auf der Treppe stehen sehen, bevor ich das Visier runter drücke und die Fahrt bis nach Hause genieße.

DU LIEST GERADE
What happend to us
Novela JuvenilWir waren vier Freunde. Jetzt sind wir das was von uns übrig ist.