418//Alexa

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418 Tage danach 
Alexa 

Ich bin Nicholas zu seiner Wohnung ein Stück weit von Hafen entfernt gefolgt. Dass er sein Motorrad den ganzen Weg lang schieben musste hat ihn sichtlich angepisst, aber bevor ich zu ihm auf das Teil steige muss es schon einen handfesten Grund dafür geben. Es ist mitten in der Nacht und bestimmt der zwölfte Anruf von Lucy den ich achtlos wegdrücke. 
Ich bin alt genug um auf mich selber aufzupassen und sie muss sich nicht so verhalten als wäre sie meine Mutter. Nicholas hat unauffällig auf den Bildschirm gespäht während er gerade seinen Schlüssel im Schloss umdreht. 
"Willst du nicht langsam mal ran gehen?" 
Er tritt sich die Schuhe von den Füßen, ich ziehe lediglich meine Kapuze vom Kopf. 
Die Antwort spare ich mir, weil auch er nicht meine Mutter ist, stattdessen sehe ich mich in seiner Wohnung um. 
Sie ist klein, das Wohnzimmer scheint der Decke nach auch das Schlafzimmer zu sein und außer der offenen Küche gibt es nur noch einen Raum bei dem ich auf das Badezimmer tippe. Wenn Lucy hier wäre, hätte sie bestimmt schon wieder längst angefangen aufzuräumen. 
Nick öffnet seinen Kühlschrank und dreht sich dann mit einem Sixpack Bier wieder zu mir. 
"Willst du eins?" 
Im Normalfall hätte ich jetzt schon alle Infos aus ihm herausgequetscht und wäre wieder abgedampft, aber Nick ist keiner der Normalen Typen die ich treffe um Travis zu finden. 
Ich nicke und lasse mich dann ohne zu fragen auf seiner Couch nieder, wobei mir der Haufen an Wäsche den er versucht unter das Sofa zu schieben natürlich nicht entgeht. 

Er reicht mir die kühle Glasflasche die ich gekonnt mit dem Ring an meinem mittleren Finger zischend öffne. Ich nehme einen tiefen Schluck bevor mein Blick ernst wird und zu ihm schellt. Beinahe augenverdrehend zieht er unter dem Couchtisch einen Laptop hervor und schaltet ihn ein. Er öffnet den einzigen Ordner auf den Desktop und lässt ein paar Bilder laufen. 
Erst verstehe ich nicht was das ein soll, doch dann erkenne ich Travis. Er hat sich die Haare gefärbt, einen Bart und trägt Kontaktlinsen. Ungläubig lasse ich den Mund offen stehen und sehe mir die Zeitstempel der Fotos an. Sie sind vor knapp einem Monat geschossen worden. 
"Wie hast du das gemacht?" 
Nicholas nimmt einen Schluck von seinem Bier und tippt dann ein wenig auf seinem Laptop rum bis sich eine Seite öffnet. 
"Paco ist einer meiner Bekannten und er hat damit geprahlt wie er dich abgezogen hat," er tippt weiter drauf herum. 
Ich erinnere mich an den schmierigen Fettsack in den ich fast vierhundert Euro investiert habe für nichts. 
"Erst wollte ich dich auch abziehen," erklärt er mir ehrlich. 
"Aber dann habe ich mir angesehen worum es geht," er öffnet eine Seite auf der nebenbei ein Code durchläuft. 
Ein Haufen an Leuten unterhalten sich in sowas wie einem Chatroom über uns und die Nacht und es kommen stetig neue Nachrichten rein. 
"Wann immer jemand der Meinung ist er hätte Travis gesehen wird es hier gepostet."
Ich versuche mir den Seitenlink zu merken, weil ich mir nicht sicher bin ob Nicholas mir wirklich einfach so helfen möchte, doch er klappt den Laptop einfach wieder zu. Als ich danach greifen will hält er ihn auf die andere Seite und schüttelt de Kopf. 
"Ich will einen Deal," setzt er an. 
"Egal was du tust, ich bin dein Partner und du beantwortest mir alle Fragen die ich zu dem Abend habe ehrlich." 

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und mustere sein Gesicht doch scheinbar scheint er das ernst zu meinen, er will mir echt helfen. Die unausgesprochene Frage die mir nur so auf der Stirn zu stehen scheint beantwortet er ohne umschweifen. 
"Ich studiere Psychologie und will das als meine Abschlussarbeit nutzen." 

Mir geht ein großes Licht auf, wenn er den Abend und unsere Charakterzüge und vor allem die Ergebnisse wie wir auf was reagiert haben als Abschlussarbeit nutzt, besteht er mit Bravour. Ich denke einen Moment lang nach, während meine Augen seine abwechselnd betrachten. 
Verrückter Weise ist er die erste Person seit Ewigkeiten der ich nicht mit totaler Skepsis gegenübertrete. Irgendwas an ihm lässt mich ihm vertrauen und mich zeitgleich nur noch unsicherer werden. Dennoch nicke ich, " okay." 

Nicholas scheint sichtlich überrascht darüber, dass ich der Sache tatsächlich zustimme, denn sein Worte hadern kurz, weil er sich im Kopf zuvor andere zurecht gelegt hatte. 

"Also Partner?" 
Ich schlage in seine Hand ein die er mir hinhält und verdrehe die Augen. 
"Partner und jetzt lass uns jede Nachricht in diesem Forum auseinander nehmen," kündige ich an. 

Gute drei Stunden später brennen meine Augen weil ich so viel auf den Laptop gestarrt habe, aber wir konnten auf einer Karte - die ich aus einem Sachbuch von Nick gerissen habe - einzeichnen wo Travis sich die letzten drei Monate überall aufgehalten hat. Über die Orte, wo wir nicht sicher waren ob er es wirklich gewesen ist habe ich einen blauen Kreis gemalt, während die tatsächlichen in einem dicken Rot eingekreist sind. Die ganze Zeit ist Travis nur einen Ort von uns entfernt und ich bin mir mehr als nur sicher, dass der Bastard etwas plant, weshalb er nicht allzu weit von uns entfernt herumstreunert. Mein Handy vibriert wieder auf dem Tisch, das dritte Mal in den letzten zehn Minuten, weshalb ich es kurzerhand ausschalte. Ich trinke den letzten Rest meiner fünften Flasche Bier und lehne mich dann nach hinten um mich zu strecken. Auch Nicholas, der tatsächlich eine große Hilfe gewesen ist sieht müde aus. Erst überlege ich die Sachen einzupacken und mit zu Jay und Lucy zu nehmen, aber die Gefahr, dass Lucy die Sachen findet ist viel zu groß. 

"Können wir die Sachen hier irgendwo lagern?" 
Ich reibe mir die Augen und räume dann die leeren Bierflaschen in die Küche. Als ich mich zu Nick umdrehe hat dieser mit einer Heftzwecke die provisorische Karte an die Wand neben seinen kleinen Fernseher gehängt und gähnt dann während er die Arme über den Kopf streckt. Mein Blick bleibt kurz an ihm hängen, weil er echt nicht schlecht aussieht, aber sofort denke ich an Jasper. 

"Ich denke ich werde jetzt gehen, ich texte dir wegen dem nächsten Treffen," teile ich mit und will mich schon einfach aus dem Staub machen, da hält er mich am Handgelenk zurück und drück die halb geöffnete Tür seiner Wohnung wieder zu. 
Aus Reflex schubse ich ihn zurück und spüre wie mein Puls in die Höhe schießt. Die meiste Zeit über kann ich verhindern, dass ich so empfindlich auf die kleinsten Sachen reagiere, aber der Schmerzmittelanteil in meinem Körper ist definitiv zu gering dafür. 
Schuldbewusst hebt er die Hände und sieht mich entschuldigend an. 
"Soll ich dich fahren?" 
Es ist kurz vor fünf und ich müsste nachher eigentlich mal wieder in die Uni , außerdem wohnt er echt am anderen Ende der Stadt. 
Mein Herzschlag wird langsamer, als ich nicke und er sich die Schuhe anzieht. Als ich gerade wieder die Tür öffnen will scheint ihm etwas einzufallen, weshalb er zurück geht und mit einem zweiten Helm wieder aus dem Wohnzimmer zu mir tritt. Er reicht ihn mir und zieht dann von seiner Garderobe seine Lederjacke die er mir hinhält. 
"Draußen ist kalt," betont er und nimmt sich selber eine dicke gepolsterte Jacke. 

Tatsächlich strömt es wie aus Eimern, als wir das Wohnhaus verlassen und in kürzester Zeit ist meine Hose komplett durchnässt. Der Fahrtwind macht das ganze nicht besser und ich bin wirklich froh, dass ich nicht laufen musste. Gegen den Regen der sich wie Donner auf dem Helm anhört und dem Pfeifen der Luft schreie ich Nicholas entgegen wo er abbiegen muss. Als wir in unsere Straße einbiegen und ich den Truck von Jay erblicke bin ich heilfroh. Meine Beine sind Eisklumpen und ich zittere am ganzen Körper, als ich absteige. Nicholas lässt sein Visier nach oben schnappen und grinst mich an. 

"Behalt den Helm, ich denke wir fahren noch öfter zusammen." 

Dann lässt er mich wortwörtlich im Regen stehen und fährt mit spritzenden Reifen einfach davon.  

What happend to usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt