Lucy // 421

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421 Tage danach
Lucy

"Ich will einfach, dass sie nach Hause kommt," beteuere ich während ich an dem Stoff des blauen Sessels herumzupfe.
William Piaget, der sowohl mich als auch Alexa und Jayson therapiert verdreht beinahe schon die Augen.
Seit sechzig Minuten erzähle ich ihm von dem Streit mit Alexa und davon, dass sie verschwunden ist.
"Lucy du bist nicht für Alexa verantwortlich, du weißt sie geht mit der Situation anders um," erklärt er und kritzelt etwas auf seinen Block.
Ich seufze, "das weiß ich. Aber so lange war sie noch nie weg und dann auch noch ohne Lebenszeichen."
"Du weißt, warum Jayson und sie so reagiert haben?"
Betrübt nicke ich, die Sache sind wir schon so oft durchgegangen, ich kann das im Schlaf.

"Alexa projiziert ihren eigenen Hass auf Jayson, weil sie sich selber die Schuld an dem gibt was Jasper geschehen ist und im großen und ganzen an der ganzen Nacht. Sie hat verlernt sich selber zu lieben und vergessen, dass es nicht ihre Schuld gewesen ist. Letzten Endes möchte ein jeder Mensch nur geliebt werden, möchte ein Gefühl der Geborgenheit und Nächstenliebe erfahren," erklärt mir der Therapeut nochmal.
"Und sie hat das Gefühl, dass die Liebe die ich sonst für sie empfunden habe ihr jetzt von Jayson gestohlen wird. Sie muss erst akzeptieren und sich selber wieder lieben lernen, bevor sie wieder zu normalen Umständen zurück kehrt und das braucht Zeit," beende ich die Erklärung.

Dr. Piaget hat wahrscheinlich recht, aber ich bin müde davon ihr Zeit zu geben. Ich will einfach nur, dass alles wieder so normal ist wie es unter den gegebenen Umständen eben sein kann.

"Und wie geht es dir?"
Er wechselt das Thema, aber ich lasse ihn.
"Gut, denke ich," schiebe ich den letzten Teil hinterher.
"Morgen ist die Verhandlung von Noah und ich denke ich werde nicht Aussagen, nachher dreht man mir die Worte im Mund um," erkläre ich.

Noah und ich konnten nur kurz miteinander sprechen, ich habe ihn abgefangen als er sein Büro räumen musste und ich habe mich bei ihm dafür entschuldigt, dass er in diesem ganzen Mist ein Kollateralschaden geworden ist. Obwohl er jedes Recht gehabt hätte sauer zu sein, ist er es nicht. Um es nicht noch schlimmer für ihn zu machen werde ich deshalb keine Aussage machen, weil die meisten eh der Meinung sind er hätte mich ausgenutzt und egal wie ich es erklären würde, keiner würde mir glauben.
Alexa wird hoffentlich auch da sein und die Aussage verweigern, sie ist als Zeugin geladen, weil sie von Anfang an davon wusste. Innerlich hoffe ich einfach, dass sie mich nicht bestrafen will und ihm deshalb etwas schlechtes antut im Gericht, aber tief in mir drin weiß ich, sie wird es nicht tun.

Wir reden noch eine Zeit lang über meinen Zustand, dann besprechen wir meine Panikattacke und ich beteuere, dass es mir gut geht. Erst als der hässliche grüne Wecker klingelt und die Sitzung vorbei ist bekomme ich mein Telefon wieder. Es hat mich niemand angerufen, was mich nicht wundert. 
Alexa hat immerhin das neue Telefon was Jayson ihr geschenkt hat mit so einer Wucht an die Wand katapultiert, dass es nur noch ein Haufen Schrott gewesen ist. Mein Blick auf die Uhr verrät mir, dass Jay noch eine gute Stunde Uni hat. Wenn ich ihn anrufen würde, würde er schwänzen, aber ich entscheide mich dagegen. Mein Weg führt mich zum Krankenhaus und ich muss mich nicht einmal anmelden. Die Schwestern und Pfleger hier kennen uns inzwischen ziemlich gut, wir gehören zum Inventar. Jaspers Zimmer ist bis auf ihn selber leer. Er sieht nicht aus wie der Freund der er einmal gewesen ist. Seine Haare sind glanzlos, sein Gesicht ist eingefallen und dennoch bin ich froh, dass er noch lebt. Jedes Mal wenn ich ihn hier liegen sehe zerreißt es auf eine unaussprechliche Art und Weise mein Herz, weil jeder von uns an seiner Stelle hätte sein können. Die große Narbe an seiner rechten Stirn zeugt nur noch von dem was Travis mit ihm angerichtet hat. 

Ich habe Alexas Aussage gelesen, sie hat gesehen wie Travis Jaspers Kopf gegen das Holz geschlagen hat und konnte nichts dagegen tun, weil sie uns nicht verraten wollte. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und verschlägt mir die Sprache wie so oft wenn ich hier bin. Ich vermisse Jaspers wenigen weisen Worte die immer so viel geholfen haben. Er hat zwar nie viel gesprochen, aber er ist immer für einen da gewesen. Ich ziehe mir einen der drei Stühle näher an sein Bett, damit ich meine Hand auf seinen Arm legen kann um mich zu vergewissern, dass er weiß, dass ich da bin. Ich erzähle ihm von dem Streit mit Alexa und heule mich bei ihm aus, wie verzweifelt ich bin weil zwischen Jayson und Alexa alles den Bach runter geht, wo die beiden doch gute Freunde sind. Erst als ich fertig bin und mein Blick auf seinen geschlossenen Augenlieder ruht fallen vereinzelt Tränen in meinen Schoß. 

Selbst wenn er wollte könnte er mir nicht antworten.   

What happend to usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt