Sicht Luan
Drei Stunden war Lucy bereits mit Joey unterwegs, ohne eine Mitteilung, wann sie zurückkehren wollten, und langsam schlich sich die Befürchtung in meinen Kopf ein, dass sie vielleicht überhaupt nicht mehr wiederkommen würde. Chris und Fabian saßen zusammen mit mir stillschweigend am Tisch, während wir uns gegenseitig feindselige Blicke zu warfen. Chris war von mir übel zugerichtet worden, was ihm das Mitleid und mir die Verachtung von Fabian einbrachte, weshalb ich demutsvoll das Eintreffen von Lucy ersehnte, obwohl mir noch keine Idee, um ihrer negativen Verstimmung entgegenzuwirken, eingefallen war. Ich brauchte dringend Hilfe, jedoch sah ich hierin das Problem, dass keiner der Anwesenden mir eben diese Hilfe anbieten würde, womit ich völlig allein dastand. Entgegen meines Willens brach ich die Stille und hoffte auf eine halbwegs friedliche Lösung des Konfliktes, allerdings rang ich nach Wörtern, die deeskalierend wirkten. „Okay, also, ich...ähm...ich brauche eure Hilfe. Dass ihr sauer seid weiß ich." Die unterwürfige Rolle bekam mir definitiv nicht gut, aber es blieb mir keine andere Wahl, wenn ich erreichen wollte, dass Lucy mir verzieh. „Warum sollten wir dir helfen, nachdem du uns versucht hast zu töten und mit Gewalt versuchst die Kontrolle aufrechtzuerhalten?" Fabian verschränkte schnaufend die Arme vor der Brust, diese Geste kopierte Chris im Hand umdrehen, wodurch mir klar signalisiert wurde, dass die Überzeugung der beiden eine gewisse Arbeit von mir abverlangte.
„Erstens habe ich immer die Kontrolle, falls du es vergessen hast wer hier der Boss ist. Zweitens ist es ein Befehl! Und drittens..." Ich konnte nicht glauben, dass ich ernsthaft die folgenden Wörter tatsächlich aussprach. „...tut es mir leid. Ich habe mich von meinen Emotionen leiten lassen. Um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft, dass ich ebenfalls die tödliche Dosis erhalte. Es ist nur ein dummer Zufall, dass ich lebe. Wenn ihr mir helft die Sache mit Lucy wieder auszubügeln, dann gewähre ich euch jeweils einen Wunsch." Die Überraschung in den Augen war unübersehbar, da sie keine Kenntnis über die Tatsache, dass ich mir ebenfalls eine Spritze angesetzt hatte, verfügten. Um die Wahrheit meiner Aussage zu beweisen, zeigte ich ihnen die frische Einstichstelle in meiner Armbeuge. „Einen Wunsch? Angenommen wir würden dieses Angebot annehmen. Was ist, wenn ich mir wünsche dich umzubringen?" Eine solche Wunschäußerung war von Chris zu erwarten, folglich zuckte ich nur mit den Achseln, wobei ich mir dennoch ein Grinsen nicht verkneifen konnte. „Du kannst es dir wünschen und versuchen, aber ich bezweifle stark, dass du damit erfolgreich sein wirst und selbst wenn, solange ich mit dem Gedanken sterben kann, dass Lucy mich nicht hasst, ist es mir relativ egal."
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Sicht Lucy
Kaum hatte ich die Hütte betreten wurde ich von Fabian empfangen und in die Küche gebracht, wo er sich mich bat Platz zu nehmen, da Luan noch wenige Momente für seine Entschuldigungs-Überraschung brauchte. „Weißt du, was ich nicht verstehe, Fischer?" Er warf mir einen verwirrten Blick zu und schüttelte langsam den Kopf. „Ich verstehe nicht, wie du als Ermittler für eine solche Organisation arbeiten konntest. Du bist, in meinen Augen, ein selbstgefälliger Feigling ohne Rückgrat. Ein solches verlogenes und fahrlässiges Verhalten, welches du an den Tag legst, sag mir..." Ich lehnte mich mit einem überlegenen Grinsen gegen die Stuhllehne, während mein Gegenüber mit erhobener Augenbraue sein Gesicht schleichend zu einer wütenden Grimasse verzog. „...Warum sollte Luan oder irgendwer von den hier verbliebenden Personen auch nur ein Wort von dem glauben, was du Tag ein Tag aus von dir gibst? Warum sollten wir dir glauben, dass du nicht insgeheim doch noch für die Polizei arbeitest und uns bei der nächstbestmöglichen Gelegenheit hintergehst? " Wie ein in die Enge getriebenes Tier breitete sich die Panik in ihm aus, was ich in seinen Augen deutlich erkennen konnte. „Du hast kein Recht solche Anschuldigungen zu äußern! Du bist genauso wie..." Für diese Aussage verpasste ich ihm eine so heftige Ohrfeige, dass sein Kopf mit einer Wucht zur Seite geschleudert wurde, und auf seiner Wange sich ein roter Abdruck meiner Hand bildete. „Du kleine Hu..."
Bevor er irgendetwas anderes sagen konnte, trat Luan in den Raum hinein und sofort verstummte Fabian, wobei er seinen Kopf nach unten senkte. Luan hingegen kniete sich devot vor mir nieder, ohne es dabei zu wagen mir in die Augen zu schauen, anschließend streckte er seine Hand in meine Richtung aus und bat mich ihm zu folgen. Er führte mich in das kleine Schlafzimmer, welches er mit Kerzen sowie Rosenblättern dekoriert hatte, und drückte mir ein Glas in die Hand „Keine Sorge. Da ist nur Orangensaft drin. Du kannst dich hinsetzen, falls du das möchtest." Abermals ging er auf die Knie, nachdem ich mich auf das Bett gesetzt und den ersten Schluck genommen hatte. „Die Aktion war mehr als dumm, ich weiß, aber die Trauer hat meine Gedanken gesteuert und ich war nicht ich selbst. Ich dachte, dass das Schicksal dich verschonen wird und mich für all meine Taten stattdessen mit sich in den Tod reißt. Ich kann verstehen, wenn du erstmal deine Ruhe und Abstand von mir brauchst. Du sollst aber wissen, wie sehr es mir leid tut und das ich niemals das Leben unseres Kindes oder deins jemals wieder durch solche Taten in Gefahr bringen werde." Ich konnte weder meinen Ohren, die wahrhaftige Reue in seiner Stimme hörten, noch meinen Augen, welche in tränennahen die seinen schauten, trauen. Ich legte sanft meine Hände an sein Gesicht und zog ihn ein Stück näher an mich ran „Schwöre es bei allem was dir heilig ist, dass du es nie wieder machst!" Er schwor und erhoffte sich sichtlich einen Kuss als Zeichen der Versöhnung, welchen ich ihm jedoch verweigerte.
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Nachrichten um 20 Uhr. Live aus dem Studio.
Es ist bereits ein Tag nach der fehlgeschlagenen Verhaftung der Betreiber sowie dessen Mitbetreibern des online Suizid-Spiels verstrichen und noch immer sind die örtlichen Ermittlern den Tätern kein bisschen näher gekommen. Bei den vergangenen Geschehnissen verzeichneten sie mehr als 30 Tote, wobei es im Laufe der Rettungs- und Bergungsarbeiten durchaus zu einer Steigerung der Zahlen kommen könnte. Zudem werden noch mehrere Personen vermisst und es fanden keine Verhaftungen statt. Zum jetzigen Zeitpunkt hat die Polizei kein offizielles Statement abgegeben, aber von einer anonymen Quelle wurden uns folgende Informationen mitgeteilt. Die Beamtin, Luisa Krylokov, die Ermittlungen Undercover vorangetrieben hat, sowie ihr Kollege, Fabian Fischer, von der Sonderkommission für Gewaltverbrechen gegen Kinder und Jugendliche, die mit diesem Fall betraut waren, sind ebenfalls vermisst. Darüber hinaus sollen sich mehrere Personen selbst mit Explosivgürteln das Leben genommen haben, darunter auch der bislang verschollene Terry Koopmann. Ziel dieses Selbstmordattentat war es so viele Einsatzkräfte wie möglich außer Gefecht zu setzen, was leider auch gut funktioniert hat. Der Terror wird uns allen womöglich für eine ganze Weile nach wie vor beherrschen und uns das Gefühl der Sicherheit vorbehalten. Falls Sie zu Hause Informationen über den Verbleib der hinter mir angezeigten Personen oder ähnliches wissen, dann wenden Sie sich bitte umgehend bei der Polizei unter der Nummer : 09462 68353545. Und nun zu einer erfreulicheren Nachricht...
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Sicht Luan
Durch ein lautes Poltern vor der Hütte wurde ich unliebsam aus meinem Schlaf gerissen, wodurch ich allerdings auch in kurzer Zeit hellwach war und mit einer gezogenen Waffe, die ich unter dem Bett lagerte, aus dem Schlafzimmer schlich, um die darin schlafende Lucy nicht zu wecken. Auf Zehenspitzen lief ich lautlos an den anderen sich im nächsten Raum befindlichen Personen zu der Vordertür und erhaschte auf dem Weg dorthin einen Blick aus dem Fenster nach draußen. Es war stockduster, dennoch war es meine Pflicht zu kontrollieren, ob etwa die Polizei oder Eindringlinge sich hier zu schaffen machten. Langsam öffnete ich die Tür und konnte gerade so in der Ferne noch eine dunkle Gestalt in die Tiefen des Waldes verschwinden sehen. Für einen Moment dachte ich darüber nach, ob ich ihr folgen sollte, aber entschied mich dagegen, als ich einen Zettel auf dem Boden entdeckte, welcher eine deutlich an mich gerichtete Nachricht mit sich brachte. „Ich kehre zurück, Luan. Sei bereit!" Viel damit anzufangen wusste ich in jenem Augenblick nicht, da ich nicht genau einordnen konnte, ob dies nun eine Drohung oder ein schlechter Witz war. „Zeig dich!" Schrie ich angespannt in die Finsternis und kniff, in der Hoffnung irgendetwas erkennen zu können, die Augen zu. Es dauerte keine Minute bis die schwarze Gestalt von eben aus einem Gebüsch hervortrat und sich im fahlen Licht des Mondes zu erkennen gab.
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Todesspiel ||
HorrorZweiter Teil der Triologie AB 18 ++ JAHRE Nach dem Tod von Lola ist Luan (aka Scoday) nicht wieder zu erkennen und die Fassade eines eiskalten Killer fängt an zu bröckeln. Durch grausame Gewalttaten will er sich immer wieder beweisen, doch aufgrund...