12. Türchen - Flucht durch den Schnee

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Sie ging über den mit Schnee bedeckten Waldboden. Emmas Füße sanken tief ein und erschwerten so ihr vorankommen. Jeder Schritt musste von ihr hart erkämpft werden. Der Schnee ging ihr bis zu den Knien. Es verlangte dem Mädchen alle Willenskraft ab, nicht einfach stehen zu bleiben und sich in ihr Schicksal zu ergeben.

Was Emmas Schicksal wäre? Nun, der unausweichliche Tod. Nicht etwa durch die Kälte oder ihre Erschöpfung. Ihr Verfolger würde ihr den Tod bringen, sobald er sie eingeholt hatte. Emma wusste nicht, wie er aussah, aber sie wusste, dass er im Nebel auf sie lauerte.

Ihr blieb keine Wahl als immer weiter zu gehen, zu hoffen irgendwo einen Unterschlupf zu finden, um sich verstecken zu können. Doch hier im Wald gab es nichts. Keine Jagdhütte. Keine Höhle. Nur die kahlen Bäume und der Waldboden. Nicht ein Tier war zu sehen und außer ihrem schnellen Atmen und dem knirschenden Schnee, waren auch keine Geräusche zu hören.

Bisher hatte sie ihren Verfolger noch nicht gesehen und wusste auch nicht mit Sicherheit, dass er sich im Nebel versteckte. Aber Emma vertraute auf ihr Bauchgefühl, welches sie vor dem immer näher kommenden Nebel warnte. Darum beschleunigte sie ihre Schritte.

Es kostete sie nun noch mehr Energie, sodass es ihr noch schwerer fiel nicht aufzugeben. Doch als ihr Fuß in einer Wurzel stecken blieb, verlor sie das Gleichgewicht und fiel in den Schnee. Emma hatte sich nicht verletzt. Aber der Schnee war so weich und umhüllend, dass sie so gerne einfach liegen geblieben wäre.

Nur hörte sie nun etwas, dass sie zuvor, aufgrund ihres schweren Atmens nicht wahrgenommen hatte. Es war eine Art pfeifen. So als würde jemand ein Lied pfeifen. Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Es hörte sich so nah an, als wäre der Ursprung nur wenige Meter von ihr entfernt.

Die Angst erfüllte sie mit neuer Energie und sie zwang sich zum Aufstehen. Doch er war bereits zu nah. Der Nebel hatte Emma umschlossen und hielt sie gefangen. Sie konnte nicht einmal ihre eigene Hand erkennen. Das Pfeifen kam immer näher und es schien genau zu wissen, wo sie sich befand.

Jede Zelle ihres Körpers war erfüllt von panischer Angst. Dann hörte das Pfeifen einfach auf. Stille kehrte ein. Die Panik übernahm ihren Verstand und verhinderte jeden logischen Gedanken, der sie hätte aus dieser Lage befreien können.

„Danke fürs stehenbleiben. Ich hätte dich zwar auch so eingeholt, aber so geht es natürlich schneller. Du zitterst ja. Wie schön. Die Angst hat dich vollkommen in ihren Bann gezogen. Hat es Spaß gemacht, wegzulaufen? Ich wünschte mir, wir könnten noch länger so bleiben, aber es wird Zeit."

Die Stimme war nah an ihrem rechten Ohr und der warme Atem ließ sie zu Eis gefrieren. Aus dem Augenwinkel nahm Emma seine Gestalt war, wie er sich langsam vor ihr aufstellte. Der schwarze Umhang und die Kapuze verdeckten seinen Körper und sein Gesicht. Doch das war auch nicht wichtig. Das wichtige war die Sense in seiner Hand.

Er schwang sie und es war als würde der Nebel sich auflösen. Aber nicht der Nebel verschwand, sondern das Mädchen und der Tod waren woanders. Sie standen nicht mehr im Wald, sondern in einem Kinderzimmer. Das Mädchen sah sich selbst im Bett liegen und schlafen.

„Für heute hast du genug Freigang gehabt. Geh wieder zurück in deinen Körper, kleine Seele. Sobald ich dich noch zwei Mal erwische, nehme ich dich mit auf meine Seite. Hast du das verstanden?"

Die Kinderseele nickte und ging zurück in ihren Körper. Der Tod verschwand und hoffte inständig, dass die Seele es verstanden hatte. Er wollte ihr nichts tun, doch würde sie zu lange ihren Körper verlassen, dann müsste er sie unweigerlich mit sich nehmen. Das war nun einmal seine Aufgabe.

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