16. Türchen - Held

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Das Rascheln der Blätter und das Singen der Vögel waren typische Hintergrundgeräusche, auf die keiner aus der kleinen Gruppe wirklich achtete. Ihre Mission erlaubte keine Ablenkung. Jedes andere Geräusch könnte zu einem möglichen Feind gehören. Dessen waren sich alle im Klaren.

Geradezu lautlos bewegte sich die Gruppe, bestehend aus fünf Männern durch das Unterholz des Waldes. Ab und zu übersprangen sie kleine Bäche oder umgefallene Baumstämme. Der Sturm, welcher vor ein paar Monaten gewütet hatte, war wohl bis in die Mitte des riesigen Waldes vorgedrungen.

Keiner der Männer beschwerte sich darüber, dass sie bereits eine sehr lange Strecke zurückgelegt hatten und wohl noch mindestens genauso lange weiterlaufen mussten. Sie kannten es nicht anders. In diesem Gebiet wollte auch keiner von ihnen Rast machen. Jeder wusste um die Gefahren, welche in dem verwunschenen Wald lauerten.

Einen anderen Weg gab es nicht, von ihrem Dorf zu den üppigen Salzvorkommen, welche das Leben der Dorfbewohner erheblich verbessern würde. Ihre momentane Situation war alles andere als gut. Die viel zu hohen Steuern für den König waren kaum zu bezahlen. Darum war diese Reise, ihre einzige Chance auf ein besseres Leben.

Ausgewählt wurden die vier besten Krieger und der schlauste Mann des Dorfes. Anfangs wollten sie Nino nicht mit sich nehmen, da er ihr Vorankommen behindern könnte. Doch inzwischen waren zumindest drei der Krieger überzeugt. Nur Fero hatte seinen Groll noch nicht ablegen können.

Allerdings hatte das nicht unbedingt etwas mit ihrer Mission, sondern eher mit persönlichen Defiziten zutun. Fero und Nino waren von Kindheit an Freunde gewesen. Nichts kam zwischen sie. Nicht einmal ihre Eltern konnten sie länger als einen Tag voneinander trennen. Fero war der starke, während Nino das Köpfchen war.

Doch ihre Freundschaft zerbrach. Viel zu heftig und plötzlich, als dass sie sie hätten retten können. Es ging um eine Frau. Sie hieß Lu und war die Tochter des Dorfältesten. Sowohl Fero als auch Nino hatten sich in sie verliebt und zwar so unsterblich, dass keiner dem anderen den Vorzug lassen wollte. Am Ende entschied sich Lu für Nino und Fero verbitterte.

Selbst jetzt noch, viele Jahre später, konnte er seinem ehemaligen besten Freund nicht verzeihen. Doch er versuchte sich auf die Mission zu konzentrieren, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen. Fürs erste war es nur wichtig an das Salz zu gelangen, mit dessen Hilfe sie der hohen Steuern gerecht werden wollten.

Der vorderste Mann, Roa, hatte eine Karte bei sich, die ihnen, zumindest grob, den Weg zeigte. Doch der schwierigste Teil war aus diesem Wald herauszufinden. Eine Legende besagte, dass jeder, der sich zu lange in ihm aufhalten würde, für immer die Orientierung verliert und ein Gefangener des Waldes wird. Doch soweit würden sie es nicht kommen lassen.

Roa stoppte auf einmal und Min lief ihn fast um. „Was zum Teufel ist los? Warum bleibst du einfach stehen?" fauchte Min Roa an. Dieser deutete auf etwas vor ihm und alle richteten ihre Augen auf die Pflanze, welche ihren Weg versperrte. Sie war ungewöhnlich groß und ähnelte vom Aussehen her einer weißen Rose.

„Wir sollte nicht näher heran gehen. Solche Blumen fangen einen erwachsenen Menschen und lösen ihnen in Minuten komplett auf. Wir sollten einen weiten Bogen um sie herum machen." Nino hatte sich extra für ihre Reise das gesamte Wissen über den verwunschenen Wald, welches ihre Dorfbibliothek hergab, angelesen.

„Wenn du das sagst. Aber beeilen wir uns besser, es wird bald Dunkel." „Woran willst du das bitte sehen, Roa? Hier unter dem Blätterdach ist es sowieso schon düster." Sen legte es auf einen kleinen Kampf an, doch Roa ging nicht darauf ein. Stattdessen liefen sie endlich weiter, jeder darauf bedacht, der weißen Blume nicht zu nahe zu kommen.

Keiner sprach. Alle hatten mühe das Tempo beizubehalten, da sie bereits den ganzen Tag auf den Beinen waren. Doch es wäre nicht nur ihr Untergang, wenn sie es nicht durch den Wald schafften. Jeder hatte zu Hause jemanden, der ihm sehr am Herzen lag, weshalb keiner nur halbherzig dabei war.

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