Anmerkung: Wie schon im Titel zu lesen, ist diese Geschichte nicht für jeden Leser geeignet. Darum spreche ich an dieser Stelle eine Warnung aus. Die Geschichte ist — soviel sei schon einmal vorweg gesagt — aus der Sicht eines Serienmörders geschrieben. Es geht um Gewalt, Mordfantasien und Selbstverletzung. Vor den betreffenden Passagen baue ich Warnungen ein. Darum lest es nur, wenn ihr damit zurecht kommt.
Und da war sie wieder. Die Zeit der Geschenke, geschmückten Vorgärten und Weihnachtsbäume. Die Zeit, in der jeder mit leuchtenden Augen durch die Stadt zieht und Last-Minute-Geschenke besorgt. Die Zeit, in der meine Geduld, bei jedem Gang vor die Haustür, auf die Probe gestellt wird.
Ich hasse Weihnachten. Ich hasse die Weihnachtsmusik. Ich hasse die fröhlichen Familien, wie sie am Abend des 24. Dezembers zusammen sind und sich eine schöne Zeit machen. Du glaubst vielleicht, ich scherze. Dann frag doch Mal den Mann, der hinter mir in der Gasse verblutet. Ach Moment, dass geht ja nicht mehr.
Heute übrigens mein Erster. Und das nur wegen diesem penetranten Geruch von gebrannten Mandeln und Schmalzgebäck. Jedes Mal triggert mich dieser Geruch und die Weihnachtslieder. Doch am Schlimmsten wird mein innerer Dämon durch den einfachen Satz „Frohe Weihnachten." angestachelt.
Ich setze etwas ruhiger meinen Weg fort. Eigentlich wollte ich ja nur Toilettenpapier kaufen. Doch man kommt ja nirgendwo mehr hin, ohne zu bemerken, dass bald Weihnachten ist. Natürlich zu dem Leidwesen meiner unfreiwilligen Opfer.
Meistens komme ich durch den Tag, ohne Blut zu vergießen, aber nicht zu dieser Zeit. Doppelt so viele, wie über das restliche Jahr verteilt und das nur zur Weihnachtszeit. Leider verliere ich momentan auch häufiger die Kontrolle über mich selbst. Eigentlich verwunderlich, wie ich bisher durchgekommen bin.
Einer Eingebung folgend stecke ich mir Kopfhörer in die Ohren und sperre somit jedes grausame Weihnachtslied aus, welches mir im Geschäft in den Gehörgang kriechen könnte. Damit komme ich durch, bis ich bezahlen muss. Ich verstehe die Kassiererin nicht und muss deswegen den Schutz entfernen.
Sofort fliegt mir Last Christmas um die Ohren. Nur mit größter Konzentration gelingt es mir, den Laden zu verlassen, ohne ein Massaker zu veranstalten. Doch meine Mordlust ist kaum zu bändigen. Ich schaue mich um, doch jeder scheint mit irgendwem unterwegs zu sein. So wird das nichts.
Mit der letzten Willenskraft spreche ich in freundlichstem Ton einen Obdachlosen an. „Hey. Möchtest du Fünfzig Euro haben? Dann komm mit." So ein Angebot kann der sich natürlich nicht entgehen lassen, weshalb er mir bereitwillig in die nächste Gasse folgt.
Statt dem Geld erhält er einen schönen Kehlschnitt. Mit meiner freien Hand halte ich ihn oben, damit ich sein Gesicht sehen kann. Immer wieder beeindruckend, dieser entsetzte Gesichtsausdruck. Der Blutfluss lässt langsam nach und ich lasse den schweren Körper einfach fallen. Hätte er nicht so gestunken, wäre es noch besser gewesen, aber man kann halt nicht alles haben.
Mir geht es wieder besser. So ein kleiner Mord bewirkt wahre Wunder. Trotzdem höre ich wieder meine Musik, denn wenn das so weitergeht, dann komme ich vielleicht nicht mehr nach Hause. Die Polizei ist zwar bescheuert, aber so bescheuert nun auch wieder nicht. Immerhin wissen sie bereits von meiner Existenz.
Ich habe ihnen aber bisher nie genug Spuren hinterlassen, um mich zu erwischen. Ich bin nur selten ungeplant vorgegangen. Und selbst bei meinen impulsiveren Morden, habe ich keine Fehler gemacht. Dreißig Jahre Erfahrung sollten schon zu etwas gut sein.
Tatsächlich schaffe ich es ohne einen weiteren Trigger nach Hause. Auch im Treppenhaus begegnet mir keine Menschenseele. Erleichtert nehme ich meine Kopfhörer heraus. Meine Wohnungstür ist bereits in Sichtweite, da läuft das kleine Gör von nebenan an mir vorbei. Ich versuche noch meine Ohren zuzuhalten, doch da hatte es auch schon „Frohe Weihnachten!" in meine Richtung gefeuert.
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Adventskalender 2020
Short StoryEin Adventskalender für Menschen, die gerne traurige, übernatürliche oder verstörende Geschichten lesen. Kaum eine wird ein gutes Ende haben, bzw. ein Ende, dass halb traurig halb glücklich ist.