22. Türchen - Nicht Real

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„Stell es dir doch bitte einmal vor!"

„Warum sollte ich? Es ist vollkommen Absurd."

„Aber was wäre, wenn wir nur die Produkte von einem gelangweilten Autor sind? Wir würden gar nicht wirklich existieren, sondern nur bis zu dem Punkt, an welchem unsere Geschichte endet."

„Ich sag es doch, dass ist vollkommen verrückt. Wir leben. Soll ich dir in den Arm kneifen, damit du wieder klar denkst?"

Paul kniff seiner Schwester in den Arm. Vanessa spürte eindeutig Schmerzen an dieser Stelle, doch das hatte für sie nichts zu bedeuten.

„Natürlich spüren wir Schmerzen. Wir können auch sterben. Aber nur der Autor bestimmt auf welche Weise und wann. Der Autor wollte, dass du mich kneifst, ansonsten wäre das nicht passiert."

„Das heißt also, wenn ich etwas mache, dann habe ich das gar nicht selbst entschieden?"

„Ja, genau so ist das."

„Und warum weißt du dann davon bescheid? Ist es nicht unlogisch, dass eine Figur von der Existenz des Schreibers weiß?"

„Natürlich ist das nicht normal. Ich glaube, dass der Autor wollte, dass ich bescheid weiß. Aber warum er das will, weiß ich nicht."

„Na schön. Ich versuche dir Mal zu glauben. Wenn es so wäre, was könnte der Schreiber alles verändern?"

„Der Autor könnte uns aussehen lassen wie er will. Du könntest zum Beispiel schwarze Haare haben und nur in Sportklamotten herumlaufen und ich könnte Regenbogenfarbene Haare haben. Das wäre cool."

Paul traute seinen Augen nicht. Vanessas Haare färbten sich, wie von selbst, in die Farben des Regenbogens. Schnell sah er an sich herunter und versuchte seine Haare zu sehen, doch bei ihm war alles gleich. Blonde Haare, sein Lieblings T-shirt und die bequeme Jogginghose, die er gefühlt jeden Tag trug.

„Vanni, deine Haare. Sie sind wirklich verändert worden. Aber bei mir hat sich nichts geändert. Ich bin auch wirklich froh darüber."

„Genau das ist der Punkt. Du glaubst, dass du keine andere Haarfarbe und Klamotten wolltest, weil der Autor das so bestimmt hat. Ich hingegen wollte eine Veränderung und der Autor hat es möglich gemacht. Glaubst du mir jetzt?"

„Eigentlich ist das nicht möglich, aber ich versuche dir zu glauben. Was könnte der Schreiber noch verändern? Wo wir uns befinden? Könnte er uns in die Antarktis zu den Pinguinen schicken?"

„Ich bin mir sicher das er das könnte, aber würdest du wirklich gerne dort hin? Es ist kalt am Südpol."

„Kann uns der Schreiber nicht dorthin schicken und schreiben, dass wir super kälteresistent sind? Dann dürfte das doch kein Problem darstellen."

„Gib es zu. Du möchtest eigentlich nur gerne Pinguine sehen, weil das deine Lieblingstiere sind."

„Ja gut erwischt. Aber könnte es nicht möglich sein? Oder wenigstens einen Pinguin zu uns zu bringen?"

„Paul, wenn der Autor das will, dann wir er dir diesen Wunsch erfüllen, aber vielleicht bist du ihm einfach nicht sympathisch genug dafür."

Gerade als Vanessa ihren Satz beendet hatte, klopfte es an der Haustür. Da Vanessa älter war, ging sie zur Tür. Paul blieb im Wohnzimmer zurück und wünschte sich mit all seiner Macht einen echten Pinguin.

Vanessa kam in das Wohnzimmer zurück, gefolgt von einem kleinen schwarz-weißen Pinguin. Als der kleine Paul sah, watschelte er sofort auf ihn zu und sprang auf seinen Schoß. Paul blickte überrascht zu Vanessa und dann zu dem kleinen Pinguin. Glücklich und vorsichtig drückte er ihn an sich.

„Schon logisch, ihn mit der Post zu schicken. Wäre ja auch merkwürdig, wenn auf einmal ein Pinguin im Wohnzimmer aufgetaucht wäre."

„Jetzt bin ich überzeugt, vollkommen. Vanni, dieser Schreiber ist echt toll und freundlich. Für dich neue Haare und für mich einen Pinguin. Mir ist es egal ob jetzt meine Geschichte zu Ende ist und ich nicht mehr existiere. Ich bin glücklich."

„Es tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, aber noch scheint unsere Geschichte noch nicht fertig zu sein. Da kommt noch irgendwas."

„Was meinst du? Einen großen Plot-Twist oder was?"

„Vielleicht. Ich weiß es doch auch nicht. Es fühlt sich nur so komisch an. Der Autor muss mich aus einem bestimmten Grund über seine Existenz aufgeklärt haben, aber ich kenne diesen Grund noch nicht."

Sie hielt inne. Sah sich um. Doch das Wohnzimmer war wie immer. Keine Veränderung und doch stimmte etwas nicht. Vanessa schien es als einzige zu spüren, denn Paul knuddelte immer noch seinen Pinguin. Vielleicht konnte Paul es auch gar nicht spüren, weil nur sie diesen plötzlichen Drang hatte, etwas anzuzünden.

„Paul, ich muss kurz raus. Ich glaube mir wird schwindlig. Bin gleich wieder da."

Doch Paul nahm sie schon nicht mehr war. Seine Gedanken kreisten um den süßen Pinguin und sein glattes Federkleid. Währenddessen verließ Vanessa die Wohnung und ging in den Keller. Dort lagerte ihr Vater Benzin für seinen Rasenmäher. Sie nahm es mit und ging auf das Dach. Es war flach und groß, so wie man es von Hochhäusern kannte.

Für Vanessa war es kein Zufall, dass ein Streichholzschachtel auf dem Dach lag. Sie wusste, was passieren würde, doch sie konnte sich selbst nicht stoppen. Mit einer Kippbewegung schüttete sie etwas Benzin auf das Dach. Dann ging sie ein wenig nach hinten und entzündete ein Streichholz, welches sie auf die Flüssigkeit warf.

Die Pfütze brannte sofort mit lodernden gelben Flammen. Ihr Versuch war geglückt. Nicht, dass sie daran gezweifelt hatte. Nun konnte sie zu ihrem eigentlichen Plan übergehen. Zurück in der Wohnung hörte Vanessa, wie Paul mit dem Pinguin sprach. Sie versuchte sich selbst aufzuhalten, aber sie hatte keine Macht über ihr Handeln.

„Setz den Pinguin bitte runter. Ich muss dir etwas zeigen."

„Wenn du willst. Aber ich bringe den kleinen lieber in mein Zimmer, damit er nicht durch die gesamte Wohnung rennt. Bin gleich zurück."

Paul erkannte den Ernst in Vanessas Stimme nicht und auch auf ihre Hände hatte er nicht geachtet. Der Benzinkanister in der rechten Hand und die Streichhölzer in der linken. Während Paul den Pinguin wegbrachte, steckte sie die Streichhölzer ein und verteilte schon einmal etwas Benzin im Raum.

„Bin wieder da. Was wolltest du mir zeigen?"

„Du kannst dich wieder auf das Sofa setzen."

„Klar. Aber wonach riecht es den hier? Ist das Benzin? Moment. Warum schüttest du Benzin über mich? Bist du nicht mehr von Sinnen? Vanni? Hörst du mich?"

Er packte Vanessa an den Armen und schüttelte sie, doch sie reagierte nicht. Sie wusste was passieren würde und sie war bereit dafür. Sie wusste etwas, was Paul noch nicht wusste, darum war sie einverstanden damit. Sie griff nach den Streichhölzern, als Paul sie kurz losließ und entzündet es. Es fiel auf die Benzinpfütze zu ihren Füßen.

Die Hitze war kaum auszuhalten. Vanessa schrie vor Schmerzen auf. Sie wusste, dass es gleich vorbei war. Noch einmal sah sie zu ihrem kleinen Bruder und versuchte ein entschuldigendes Lächeln zu formen. Aber es ging nicht. Ihre Haut verbrannte und sie bekam es bei vollem Bewusstsein mit.

Paul war geschockt. Nicht nur sah er seine Schwester vor seinen Augen verbrennen, er selbst bleib völlig unverletzt. Jedoch war es nicht so, dass ihn die Flammen ignorierten. Er spürte nichts. Er brannte ebenso wie Vanessa, aber es geschah nichts. Selbst seine Kleidung wurde von den Flammen verschont.

Erst als Vanessas Schreie verstummten und von ihr nichts mehr über war, als ein Häufchen Asche, verschwanden die Flammen und es war, als hätte es sie nie gegeben. Das Wohnzimmer sah aus wie zuvor auch. Paul kniete sich neben den Aschehaufen und weinte.

„Das meintest du vorhin. Der Schr-, nein. Der Autor wollte, dass du das hier machst. Du musstest ein Feuer legen, damit ich erkenne, dass ich nicht durch Flammen verletzt werden kann. Doch warum musstest du extra dafür sterben?"

Wie als würde ihm eine Stimme in seinem inneren eine Antwort auf diese Frage geben, wusste Paul es. Es war doch so klar.

Charakterentwicklung durch totes Familienmitglied Klischee. 

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