19. Türchen - Hörspiel

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Kennst du das, wenn du aufräumst und dann von dem was auch immer du findest, so abgelenkt wirst, dass du das Aufräumen vergisst. Das ist mir vor einiger Zeit auch passiert. Ich habe meinen alten Laptop wieder gefunden. Und alt ist nicht übertrieben.

Betriebssystem Windows XP. Dicker als ein 400 seitiges Buch und um eine Maus zu benutzen, musste diese mit einem Kabel angeschlossen werden. Außerdem waren die Geräusche, vor allem der Prozessor, sehr laut. Ein Wunder, dass es mir echt Spaß gemacht hat, darauf zu spielen.

Doch bevor ich an meine alten Dateien heran kam musste ich mich selbst in mein achtjähriges Ich zurück versetzen. Ich hatte meinen Laptop nämlich mit einem Passwort geschützt. Zum Glück gab es einen Passworthinweis: „Mein Name"

Der half mir aber nur wenig, da ich trotzdem jede mögliche Vornamen, Zweitnamen und Nachnamen Kombination ausprobieren musste. Mal mit Leerzeichen dazwischen, mal ohne, veränderte Groß-und Kleinschreibung und Spitznamen. Am Ende war es nur mein Vor- und Zweitname ohne Leerzeichen, alles klein.

Doch dann begann ja erst der spannende Teil. Ich wusste noch grob, was ich damals alles mit dem Laptop gemacht und ausprobiert hatte, aber sich das alles nach so vielen Jahren noch einmal ansehen zu können, war schon beeindruckend und natürlich auch beschämend.

Ich fand nämlich alte Tonaufnahmen, in denen ich mit mir selbst gesprochen oder gesungen habe. Meine Kinderstimme war so anders, dass ich sie nicht erkannt hätte, wenn ich nicht mit Sicherheit gewusst hätte, dass es meine war. Zumal auch manche Dateien mit Tonfiltern bearbeitet wurden.

Mit meiner kleinen Schwester habe ich damals ein kurzes Hörspiel produziert. Richtig schlecht, wenn ich das Mal so sagen darf. Das Acting war miserabel und meine Schwester hat nie das gesagt, was sie sagen sollte. Daran konnte ich mich noch gut erinnern.

Es war eine Entführungsstory. Ich, als Entführer, habe meine Schwester vom Spielplatz entführt und sie mit einer Socke geknebelt. Das musste ich auch während der Aufnahme machen, weil sie sonst weitergesungen hätte. Klingt komisch, war aber so. Kleine Kinder halt.

Dann habe ich bei den Eltern angerufen und 100 Dollar verlangt. Nach einem Anruf der Eltern, in dem sie den Abgabeort festgelegt haben, korrigierte ich mich auf eine Million Dollar. Da sie das Geld natürlich nicht hatten, weil es für die Miete draufgegangen war, habe ich ihr Kind getötet.

Geendet hat das Hörspiel mit einem Nachrichtenbericht, in welchem die Leiche des Kindes gefunden wurde. Sehr originell, ein Lob an meine Fantasie. Nicht. Wahrscheinlich habe ich damals schon Krimis mit meinen Eltern gesehen. Anders kann ich mir nämlich nicht erklären, wie ich auf so eine Geschichte gekommen bin.

Aber es gab ja noch viel mehr zu entdecken. Ich habe mich mit Paint ausprobiert. Nicht sehr erfolgreich, wie ich feststellen musste. Keines der Bilder hätte auch nur einen Trostpreis beim Malwettbewerb gewonnen. Dann gab es noch die Spiele. Benjamin Blümchen, Die Maus, Barbie (musste wohl meiner Schwester gehört haben) und Bob der Baumeister. Alle benötigten die CD-Rom zum spielen, doch ich hatte keine mehr.

Dann widmete ich mich den Word-Dateien. Neben unzähligen leeren Textdokumenten, übrigens mit Word 2003 erstellt, fand ich auch einen Steckbrief von mir. Aufgelistet waren mein Wohnort, meine Eltern, Geschwister und Freunde mit Name und Alter und sonstige persönliche Angaben.

Ich war wirklich erstaunt, wen ich alles zu meinen Freunden gezählt habe. Heute kenne ich nicht Mal mehr einen von denen noch persönlich. Liegt vielleicht auch daran, dass der Steckbrief über 15 Jahre alt war und wir umgezogen sind. Meine Eltern meinten immer, es sei wegen der Arbeit, aber ich wusste, dass es einen anderen Grund gab.

Doch erst beim durchschauen meiner alten Dateien und Tonaufnahmen, entdeckte ich den wahren Grund. Im Hintergrund einer der Tonaufnahmen konnte ich meinen Vater sprechen hören. Er verlangte Geld, viel Geld. Ansonsten würde er ‚ihr' etwas antun. Ich habe es damals wohl nur am Rande wahrgenommen, weil ich mit meinen eigenen Kinderproblemen beschäftigt war.

Ich konnte mich nämlich auch nie wirklich daran erinnern, mit meinen Eltern je Tatort oder irgendeinen anderen Krimi gesehen zu haben. Sie meinten immer, dass sei nichts für mich. Auch, dass damals einige Kinder in unserem Ort entführt wurden, habe ich erst kürzlich durch einen Zeitungsbericht erfahren.

Das letzte Entführungsopfer starb vor 15 Jahren. Genau zu der Zeit, als wir umgezogen sind. Ich habe es wohl damals schon mitbekommen, aber nicht für real gehalten. Stattdessen habe ich eine Lachnummer von Hörspiel daraus gemacht. Ich würde mich dafür am liebsten selbst Ohrfeigen, doch dass brächte keines der Kinder wieder zurück.

Meine Eltern hatten den Tod verdient. Nur dumm, dass meine Entdeckung zehn Jahr zu spät kam. Eine Freiheitsstrafe oder lebenslange Folter im Knast, wären gerechter gewesen, als von einem Einbrecher erschossen zu werden. Sie hatten mit Sicherheit nicht einmal genug Zeit, um über ihre Taten nachzudenken und Reue zu zeigen.

Glücklicherweise habe ich schon damals keine Träne um sie vergossen. Damals noch, weil ich nicht schwach wirken wollt. Heute weiß ich, dass sie es nicht verdient hätten.

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