Kapitel 2

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Am nächsten Tag sitzen wir auf Holzbänken in der freien Natur. Vor uns um die 20 Indianerkinder, die von Will unterrichtet werden. Er bringt ihnen die englische Geschichte und die Sprache allgemein bei. Edward schreibt sich einiges auf wie sich die Kinder verhalten. Ich hingegen male ein Bild von den Kindern. Sie sind alle nicht so gekleidet wie ich es erst dachte. Sie haben normale Kleidung an, wie die Kinder in England, jedoch ihre schwarzen Haare und deren dunkle Haut fallen auf.

Plötzlich flüstert Edward zu mir ohne von seinem Heft auf zuschauen: „Ich hoffe du hast dir unauffällige Kleider mitgenommen. Oder kommst das nächste Mal am besten gar nicht erst mit."

Ich bin verwirrt, was habe ich diesmal getan? Edward schaut mich an und redet leise weiter: „Die Kinder fixieren sich nur auf dich. Das stört meine Arbeit."

Ich klappe mein Heft zu und stehe von der Bank auf um zurück zum Reservat zu gehen. Dabei bemerke ich nicht, dass ich verfolgt werde. Wut und Traurigkeit überkommt mir, vielleicht auch ein Stück Verzweiflung, weil ich nicht weiß, was ich hier verloren habe. Kurz bevor ich ankomme sehe ich wie Soldaten wenige schwache Indianer zum Reservat bringen, dabei zwei alte Frauen und vier Männer, die beinahe getragen werden müssen und es ihnen anscheinend überhaupt nicht gut geht. Neugierig gehe ich zum Reservat und frage einen Soldaten was passiert sei. Dieser antwortet knapp mit Überarbeitung. Die Einheimischen werden einfach auf dem Boden liegen gelassen. Sie sind so geschwächt, dass sie kaum aufstehen können. Die Soldaten gehen wieder, doch ich halte sie empört auf: „Ihr könnt sie doch nicht hier liegen lassen!"

„Wir sollten sie nur hier her schleppen, Madame. Wir wissen doch auch nicht mal wer welches Zelt bewohnt." spricht einer und geht direkt mit seiner Truppe. Fassungslos blicke ich zu den Indianern, dabei ist auch die ältere sture Frau von gestern. Ich möchte ihnen helfen, eine Stütze sein doch mir fehlt der Antrieb und Angst, was mein Mann mit mir machen würde, wenn er davon erfährt.

„Helfen Sie ihnen." spricht plötzlich eine sanfte Stimme. Verwirrt drehe ich mich um. Ein kleiner indianische Junge steht vor mir und lächelt mild: „Sie wollen uns doch helfen."

Ich bin sprachlos. Als hätte der Junge meine Gedanken gelesen. Doch irgendwie gibt er mir den Anstoß, den ich wohl brauchte. Auch als er voraus geht und meine Hand nimmt um mich mitzuziehen. Mein Heft, was ich noch immer in der Hand hatte lege ich vor einem Tipi und helfe den ersten Menschen auf. Es ist die alte Dame.

„Mutter Orenda wohnt hier." spricht der Junge und zeigt auf das Tipi. Ich nicke und helfe der Frau bis zum Zelt, auf ein Fell bedeckten Platz legt sie sich hin. Der Junge deckt sie mit einem anderen Stück Fell zu. Die alte Dame sagt was zu dem Jungen, dieser nur lächelnd nickt und mir weiter hilft. Wir beide nehmen einen mageren Mann und helfen ihm zu seinem Tipi. Es ist erschreckend wie leicht die Menschen sind und mir kaum Kraft kostet. Das machen wir soweit bis alle in deren Tipis sind.

„Sie brauchen Essen." sagt der Junge. Ich überlege nicht lange und laufe zu meiner Hütte. Mit einem Korb gepackt mit allerlei, was ich fand und einem Topf voll Suppe, gehe ich zu den Tipis und gebe ihnen Essen. Der Junge hilft seinen Leuten in dem er ihnen bei der Suppe hilft und es ihnen mit einer Schüssel überreicht. Ich beobachte den Jungen dabei und bin faszinierend, da er gerade mal 6 Jahre alt ist und schon so reif. Als wir bei der älteren Frau sind, bringt der Junge mich dazu der Dame Suppe zugeben. Ich zögere doch tue es dann doch. Die Dame mit dem Namen Orenda blickt mich dabei haargenau an, was mich zwar nervös macht, es mir aber nicht anmerken lasse. Als sie fertig ist spricht sie zum Jungen. Ich verstehe dabei kein Wort. Jedoch bin ich nicht verängstigt oder dergleichen, da der Jungen mich warm anlächelt.

Wir gehe aus dem Tipi. Ich fühle mich gut endlich was getan zu haben, auch wenn der Junge mich mehr dazu brachte.

„Wie ist dein Name?" frage ich den Jungen mit den schwarzen, schulterlangen Haaren.

„Ashok." antwortet er mir, „Und deiner?"

Ich muss lächeln: „Grace."

Er lächelt ebenfalls breit: „Du bist die Frau, die die Großen Geister uns schickte um uns zu helfen."

„Was?" frage ich etwas baff.

„Wir baten tagelang den Geistern nach einem Engel, der uns befreit. Und du bist gekommen."

„Das muss eine Verwechslung sein." sage ich verlegen. Doch er Junge ist zu sehr davon überzeugt: „Du bist der Engel mit dem Namen Grace."

Ein Soldat kommt auf uns und fragt mich grimmig, was ich hier zu suchen habe. Ich stottere, weil ich nicht weiß was ich antworten soll. Der fremde Soldat grinst dreckig: „Sie haben denen geholfen, nicht wahr?"

„Das hat Ihnen nicht zu interessieren." sage ich monoton. Das Grinsen verschwindet aus seinem Gesicht: „Ich habe Sie gesehen. Undankbare Rothaut Hure."

Erschrocken weiche ich ein Schritt zurück. Er hat mich angespuckt.

„Sie sind eine Schande." sagt er noch leise ehe er wieder geht. Ich nehme mir ein Taschentuch und wische mir angewidert die Spucke aus dem Gesicht.

„Bleib stark Grace." flüstert mir der Junge zu und greift meine Hand. Durch diese kleine Geste vergesse ich tatsächlich was gerade geschah. Der Junge gibt mir Kraft.

„Wegen sowas darfst du nicht schwach werden." lächelt der Junge mich an, ich umgreife seine Hand und nicke mild. Ich weiß nicht worauf ich mich dadurch jetzt einlasse. Ich mache ihm damit Hoffnung, was ich später erst realisiere.

Die Sonne geht unter und ich mache das Essen für meinem Mann. Dabei bin ich völlig in Gedanken bei dem Jungen. Überlege was er mit Geistern und Engel meint. Doch ich komme nicht weit als ich mich vor Schreck schneide. Mein Mann schmeißt wutentbrannt die Tür zu.

„Ist etwas passiert?" frage ich besorgt und umwickel ein Handtuch um meinen blutenden Finger. Plötzlich fliege ich zur Seite. Ich halte meine pochende Wange und schaue erschrocken zu Edward. Seine Augen sind verfinstert: „Du bist nur mitgekommen um mir Essen zu machen. Nicht um dieses erbärmliche Volk zu helfen!"

Wieder bekomme ich eine saftige Ohrfeige und falle dadurch zu Boden. Edward bückt sich zu mir runter und packt grob mein Knie damit ich ihn anschauen muss. Ruhig redet er: „Höre ich nochmal, dass du irgendwas machst, was du nicht solltest, dann kann Gott dir nicht mehr helfen, er wird auf meiner Seite sein, weil du mir als meine Frau nicht gehorchst und mich entehrst."

Er schubs mein Gesicht zur Seite und lässt mich auf dem Boden liegen. Ich schniefe und röchel schwer nach Luft, da ich vor Angst kaum atmen konnte. Edward geht zum Herd und schmeißt den Topf, den ich gerade vorbereitet habe, einfach auf den Boden mit Worten: „Ich will nie wieder, dass du das kochst, was du den Indianern gabst."

„Es ist dein Lieblingsessen?" wage ich es zu sagen.

„Widersprichst du mir etwa?" zischt er bedrohlich. Ich senke meinen Kopf und schüttel ihn leicht. Ich traue mich kaum auf zusehen, doch ich höre wie die Tür zufällt und ich seine Anwesenheit nicht mehr spüre. Mir überkommt dann alles. Ich weine jämmerlich und zittere noch vor Angst. Es ist mir nicht neu, dass Edward so ist. Das erlebte ich schon öfter. Doch noch nie hatte er mich so sehr geschlagen und mit solch einer Wut, was mir große Angst bereitet.



Der Engel der ChemainusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt