Nach zwei Tagen geht es Cheyeyo sichtlich besser und am nächsten Morgen treten wir, wie versprochen unsere Reise zurück nach Amerika an. Ein letztes Mal sitzen wir draußen vor dem Haus. Mutter weigerte sich mit uns zu sitzen, mir ist es merklich egal. Hauptsache Vater ist hier. Der gerade zu Ashok spricht: „Mein lieber Enkel, zeig mir doch mal wie ihr ein Feuer macht."
„Ganz bestimmt nicht!" kommen meine Mutterinstinkte. Doch ich vergaß, was Ashok alles kann. Er läuft zur Grube, wo schon einige Stöcken und Stroh liegt und zündet es mit Leichtigkeit und mit Zündsteinen an.
„Du vergisst, dass wir in der Natur aufgewachsen sind." sagt Cheyeyo belustigt, ich reagiere nicht drauf und genieße den letzten Abend mit meiner Familie. Vater ist so sehr von der indianische Kultur fasziniert, dass Cheyeyo und Ashok ihn einen kleinen Kurs in der Sprache geben. Ich beobachte sie nur lächelnd miteinander. So unbeschwert und sorglos, wie Ashoks Namen.
Am nächsten Tag sitzen wir bereits auf dem Schiff, was uns nach Amerika bringt. Wir kamen mit einem Koffer nach England und verlassen das Land mit drei. Viele Sachen nehmen wir von meiner Welt mit, was uns vom Nutzen sein können, wie Töpfe, Kleidung, Spielzeuge für die Kinder, Bücher zum lernen, selbst Pistolen, die uns Vater gab.
„Diese ganzen Weißen wollen mich am liebsten am nächsten Baum sehen." Cheyeyo läuft ständig in unserer Kabine hin und her.
„Ich bin auch weiß, Cheyeyo." ich halte ihn auf indem ich meine Hände auf seinem Gesicht lege, „Und ich will dich nur an meiner Seite sehen. An keinem Baum, wo ich dich das erste mal sah. Das war erschreckend genug."
Er lacht und verringert den Abstand gänzlich in dem er mich küsst. Ashok macht gleich ein angeekeltes Geräusch, wobei wir uns lösen.
„Du wirst deine späte Frau auch so viel Liebe schenken, verstanden?" spricht Cheyeyo wie ein Häuptling, wobei ich kichern muss.
„Ekelhaft." kommt es von ihm und wird sofort von Cheyeyo durch gekitzelt. Lachend ruft Ashok nach Hilfe, doch ich lasse die Männer es selbst klären und hole aus dem Koffer unser Proviant.
Nachdem wir etwas gegessen haben wollte Cheyeyo sich die Beine vertreten. Da es schon spät ist, lese ich Ashok eine Geschichte aus einem Buch vor. Als er einschlief wartete ich noch auf Cheyeyo. Lange ist er weg und ich mache mir Sorgen. Und meine Sorge ist berechtigt.
Stunden später kommt er leise ins Zimmer, dennoch erhöre ich ihn und setze mich auf. Erschrocken stehe ich auf: „Was ist passiert?" frage ich leise um Ashok nicht zu wecken. Cheyeyo blutete aus Nase und Mund, seine Augen sind geschwollen und sein Hemd wurde zerrissen. Es muss ein Überfall gewesen sein. Ich helfe ihn auf das andere Bett in der Kabine, schmerzliche Laute gibt er von sich aber versucht leise zu sein: „Weiße Männer." antwortet er mir knapp. Ich seufze und nehme mir die Wasserflasche um seine Wunden zu säubern.
Auf einmal schmunzelt er: „Wie damals bei der Säule."
„Es sind doch keine Jahre her." sage ich.
„Aber bald." er streicht mir paar Haare nach hinten, „Ich hoffe bis dahin bleibst du immer noch an meiner Seite."
„Ganz sicher sogar." erwidere ich sein Lächeln.
„Ich verstehe nicht warum die Weißen denken, dass sie besser sind als mein Volk. Sie sind alle ignorant, egoistisch, hasserfüllt gegenüber Fremden. Sie respektieren nicht das, was sie haben. Glauben an keine Weisheiten, sind-"
„Einige sind nicht so." unterbreche ich ihn und lächle ihn aufmunternd zu. Wir sind bereits in Amerika angekommen, nicht mehr weit bis zu unserem Stamm: „Ich kann deinen Hass verstehen. Manchmal denke ich doch genauso."
Cheyeyos Aussehen zeigt sich noch in seinem Gesicht mit Schrammen und Wunden aber die Schwellungen gingen wenigstens weg. Wir besorgten uns Pferde und nun stehen uns nur noch wenige Tage an bis wir bei den Chemainus ankommen. Doch Cheyeyos Gefühl vergewissert mir ungutes.
Ein Tag steht uns nur noch bevor als Cheyeyo vor dem Feuer sitzt und singt. Ashok erklärt mir was los ist, während wir abseits an einem Baum sitzen: „Cheyeyo hat Angst, dass wir niemandem im Stamm antreffen werden. Dass alle weg sind oder schlimmer und er als Häuptling versagt hat, weil er nicht da war. Es gab nämlich ein schlechtes Zeichen."
„Der war?" frage ich.
„Das große Unwetter in England und dass Cheyeyo krank wurde, weswegen wir später abreisen mussten." antwortet er mir. Ich habe meinen Arm um ihn und ziehe ihn näher an mich. Gedanklich bete ich mit ihm mit. Der Gesang hört sich erschaudernd und voller Gefühl an. Es bereitet mir Ehrfurcht.
Wir reiten weiter. Stundenlang. Und Cheyeyos Anspannung ist stark spürbar. Ashok und ich reiten auf einem Pferd, direkt neben dem Häuptling, bei dem ich meine Hand auf seine Schulter lege. Ich will ihn aufmuntern aber es funktioniert nicht. Seufzend blicke ich hinter mich, das dritte Pferd trägt nur unsere Koffer und wirkte schon beim Kauf kränklich. Schlimm genug, dass ich Cheyeyo aufhalten musste, den Verkäufer am Kragen zu fassen, weil er die Pferde brutal markierte mit einem Brandzeichen, was Cheyeyo zur Weißglut brachte. Solch eine Tierquälerei gilt bei ihm nicht. Aber auch seine Anspannung und wachsender Hass gegenüber den Weißen ist vermutlich daran Schuld, dass er so aufbrausend war.
Je näher wir ankommen umso hörbarer wird Cheyeyos Atmung. Gerne würde ich ihn sagen, dass es nichts schlimmes sein wird aber ich will ihm auch keine Hoffnung machen, wenn er mein Gerede überhaupt jetzt zu Herzen nehmen würde. Ashok meinte auch, dass ich ihn lieber lassen soll. Ständig betet Cheyeyo auch und schließt dabei seine Augen. Ashok, vor mir, singt auch um Gutes vorzubeten.
Dann sind wir da. Von weiten erkennt man bereits, dass niemand da ist. Die Tipis sind nur noch als Stöcke vorhanden und keine Menschenseele. Entsetzt schaut Cheyeyo zu seinem Stamm bis er die letzten Meter mit seinem Pferd vor läuft und sich alles anschaut.
„Sie sind alle weg." flüstert Ashok, „Sie haben uns gewarnt."
Wir kommen auch an. Cheyeyo ist vom Pferd abgestiegen und schaut sich alles genau an: „Es gab keinen Kampf." sagt er und liest die Fußspuren, „Fremde kamen. Aber keine Weißen. Sie nahmen alles und gingen mit."
„Wie lange mag das her sein?" frage ich vorsichtig.
„Bestimmt paar Tage." antwortet Cheyeyo und ist den Tränen nahe. Ashok und ich steigen vom Pferd um ihn dann in die Arme zu nehmen.
„Wir werden sie finden." sagt Ashok. Cheyeyo lächelt schwach, legt einen Arm um meine Taille und die andere auf Ashoks Kopf. Lange bleiben wir so bis Cheyeyo sich löst und wieder etwas Kraft bekommen hat.
„Kommt," befehlt er, „wir müssen Leder oder Fell finden. Der Winter nähert sich."
„Wir haben doch paar Kleidung mit." erwidere ich, der Häuptling schüttelt seinen Kopf: „Wenn es Nachts eisig wird und wir draußen sitzen müssen, hilft uns nur Fell."
Verständlich nicke ich und suche allesamt. Doch sie haben alles mitgenommen. Jedes Fell, jedes Leder, jede Art von Werkzeug. Nur die Stöcke der Tipis, die Steingrube für das Feuer und andere kleine Gerüste die man zum kochen oder für die Lederstücke hat sind noch hier.
Plötzlich steigt Cheyeyo auf sein Pferd: „Wir müssen weiter. Ihre Spuren folgen und nebenbei einen Elch oder einen Bären finden. Der Winter kommt schneller als erwartet."
Ashok und ich machen es ihm nach und steigen auf unser Pferd. Wir reiten weiter, folgen den Spuren der Anderen. Als die Sonne untergeht und wir die Spuren verloren haben, ist Cheyeyo verzweifelt. Wir machen auf einem Berg Stopp, die Aussicht ist atemberaubend, wenn Cheyeyo nur nicht schwarz sehen würde.
Nicht mal schlafen will er aber muss. Er sitzt nah an der Klippe und singt. Ashok schläft an meiner Seite. Leise schleiche ich mich zu Cheyeyo um neben ihn zu sitzen. Er hört auf zu singen: „Ich habe Angst um mein Volk."
„Weiß ich." antworte ich, „Du darfst dich aber nicht so fertig machen."
Ich nehme seine Hand und gebe einen Kuss drauf, wobei er mild lächelt und mich auf die Lippen küsst. Ich bringe ihn dazu mit mir zukommen und sich auch zu uns zulegen damit er wenigstens etwas schlafen kann.
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Der Engel der Chemainus
Romance1877. Das Ehepaar Montgomery reisen Tagelang von England zum neuentdeckten Amerika. Edward Montgomery ist nämlich Lehrer und will die sogenannten Indianer studieren um diese Geschichte dann seinen Klassen zu unterrichten. Damit das Frauchen nicht al...