Che - Der ungebetene Gast

331 24 1
                                    


Mir kam es nach diesem Wochenende vor, als würde ich Jazy bereits mein ganzes Leben lieben. Dabei kannte ich erst seit sieben Monaten ihren Namen. Wenn es, wie manche Menschen gerne behaupteten, einen Sinn im Leben gab, dann war ich mir sicher, ihn mit ihr gefunden zu haben.

Es war so schön, ihr beim Schlafen zuzusehen. Eine der wenigen Gelegenheiten, bei der sie nicht tanzend wie ein Schmetterling hierhin und dorthin flatterte. Jetzt taten das nur hin und wieder ihre Augenlider. Ihr Anblick verzauberte mich jedes Mal von neuem.

Ich hatte sie in der letzten Woche besser kennen gelernt als in den ganzen Monaten davor. In Jazys Leben ging es immer darum, Spaß zu haben. Sie genoss den Moment. Sie war nicht wie ich, der sich jetzt schon Sorgen darüber machte, ob sie sich wohl in zehn Jahren noch an meinen Namen würde erinnern können. Ich wusste, ich wollte mein Leben mit ihr verbringen und es war mir klar, wenn sie mich eines Tages verlassen würde, wäre ich für den Rest meines Lebens ein gebrochener Mann. Wie schaffte dieser schlafende Engel an meiner Seite es nur, so eine Sorgenlawine in meinem Kopf in Gang zu setzen?

Mit einem stummen Seufzen griff ich nach meinem Handy und scrollte durch die Schlagzeilen des Nachrichten-Feeds. Ich hasste diese neue zwanghafte Angewohnheit. Das hatte ich doch früher auch nicht getan! Ich wollte eigentlich nicht, dass mich die Krise so veränderte.

Italien meldete 475 Tote an nur einem Tag. Das waren mehr, als je in China gezählt worden waren. Unser Nachbarland war jetzt das Land mit den meisten offiziell gemeldeten Toten weltweit. Berlusconi spendete freiwillig zehn Millionen Euro für die Einrichtung neuer Intensivstationen in Mailand, was meine Meinung über ihn nur unwesentlich besserte. Der Bürgermeister von Bergamo appellierte an alle EU-Amtskollegen: „Sorgt dafür, dass sich die Leute nicht mehr treffen, sondern auf Abstand gehen. Nutzt die Zeit gut, die ihr noch zur Verfügung habt."

Währenddessen hatte unsere Regierung in den letzten Tagen bekannt gegeben, dass Grundwehrdiener und Zivildiener ihren Dienst verlängern mussten, dass Milizsoldaten eingezogen und Ärzte aus der Pension geholt wurden. Ungarn hatte seine Grenzen zugesperrt und damit ein Chaos ausgelöst. Die ganzen Balkan-Heimreisenden, die diese Route gewählt hatten, saßen fest. Die Außenministerien starteten Rückholaktionen für im Ausland gestrandete Flugreisende ...

Sogar die Deutschen hatten inzwischen mitbekommen, wie dünn das Eis war, auf dem sie sich bewegten. Die Stadt Halle hatte den Katastrophenfall ausgerufen. Die für den Sommer 2020 geplante Fußball-Europameisterschaft wurde um ein Jahr verschoben. Das würde Jazy ganz schön auf die Palme bringen!

Als hätte mein Gedanke sie geweckt, kam ein schläfriges: „Was tust Du?" von ihrer Seite des Bettes.

„Ich checke nur die aktuellen Nachrichten."

„Und? Gibt's was Neues?"

„Stell dir vor, ein süßes Zauberwesen hat mein Herz erobert!"

„Ach? Ist das so? Vielleicht habe ich da etwas dagegen."

„Sorry! Du kannst absolut nichts tun."

Sie rollte auf mich und rieb sich aufreizend an meinem Körper.

„Egal was ich mit dir mache?" Sie warf mir einen verheißungsvollen Blick zu, bevor sie unter der Bettdecke verschwand.

Irgendwann gewann der Hunger die Oberhand und wir wälzten uns aus dem Bett. Meine Sachen lagen, völlig untypisch für mich, wild am Boden verstreut. Ich fühlte mich verwegen, als ich Jazy einen Klaps auf den nackten Hintern gab, während sie provozierend knapp an mir vorbei ins Bad stolzierte. Ihre Haare sahen aus, als hätte es uns übers Wochenende zurück in die Steinzeit katapultiert und es gäbe noch keine Kämme.

Lockdown-LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt