Jazy

459 34 3
                                    

„Du wirkst durcheinander."

„Ich bin nur überrascht, dass du geblieben bist."

„Ist es dir nicht recht? Ich kann meiner Mutter noch immer Bescheid geben."

„Nein! Bleib. Bitte."

Vorhin, als ich überlegt hatte, ob ich mit nach Hause fahren sollte, war da ein Ausdruck in seinen Augen gewesen. Er wirkte wie der einsamste Mensch auf der ganzen Welt. Da hatte ich von einem Augenblick zum nächsten aus tiefstem Herzen gewusst, ich würde bleiben. Mit meiner Yogamatte und dem Laptop hatte ich alles, was ich brauchte. Egal, wo ich war.

Der herzhafte, würzige Geruch nach Gulasch, der in der Luft hing, ließ mir das Wasser im Mund zusammenrinnen. Ich deckte den Tisch. „Was glaubst du, wird das mit uns machen?"

Che drehte sich zu mir um. Dann nickte er zu Filou hin, der gierig die Fleischbrocken verschlang. „Frag ihn. Er ist Experte in Social Distancing."

Ich musste grinsen. Ja, ein Schmusekater war Filou wirklich nicht. Hin und wieder ließ er sich großzügig neben einem nieder, wenn man ruhig auf der Couch saß, doch kaum bewegte man sich, war er auch schon wieder weg.

Mit Che alleine zu sein, fühlte sich komisch an. Wie oft hatte er fluchtartig den Raum verlassen, nur damit es nicht zu dieser Situation kam? Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm. Er war irgendwie smooth. Auf eine etwas verrückte Art. Aber ich mochte das. Und er war definitiv kein Checker! Julian und Tom hatten keine Woche gebraucht um herauszufinden, ob bei mir was ging. Che hatte es bis heute nicht getan. Vielleicht war er wirklich schwul, wie die beiden Jungs behaupteten. Ich hatte gehört, wie sie sich über seinen Oberlippenbart lustig gemacht hatten. Nur Schwule würden sich so ein Ding wachsen lassen. Tja. Es sah wirklich ein wenig sonderbar aus, aber irgendwie auch süß. Manchmal verhielt er sich wie ein großer Bruder. Wenn Julian und Tom irgendwelche blöden Bemerkungen gemacht hatten, war er ganz selbstverständlich dazwischen gegangen.

Che kam mit dem aufgewärmten Topf Gulasch und setzt sich mir gegenüber nieder. Ich sog hungrig den Duft nach würzigem Fleisch durch die Nase ein. Als wäre es das Natürlichste auf der Welt, nahm er zuerst meinen Teller, um ihn zu füllen. Er hatte voll schöne Hände. Groß, aber nicht zu groß. Lange Finger, gepflegte Nägel. Überhaupt wirkte er immer sehr ordentlich. Einige meiner besten Freunde an der Uni waren schwul, was machte ich mir also Sorgen? Vielleicht, weil ich mir insgeheim wünschte, er wäre es nicht?

„Was hast du heute noch vor?", versuchte ich, ein Gespräch ins Laufen zu bringen.

„Ich arbeite da gerade mit einem Freund an einem Projekt. Ein Computerspiel. Wahrscheinlich werde ich daran weiter tüfteln."

„Cool! Zeigst du es mir einmal?"

Er warf mir einen erstaunten Blick zu. „Klar. Wenn's dich interessiert."

Eigentlich sagte er mir nichts Neues. Er lümmelte stundenlang an seinem Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer. Meist hatte er die Tür einen Spalt offen, wegen der Katze. Drei riesige Bildschirme vor sich. Das große Che Guevara-Bild an der Wand. Daher rührte auch sein Spitzname. Nicht weil er irgendwie exotisch asiatisch aussah. Offensichtlich war er ein Fan. Zu Halloween hatten Julian und Tom eine Party geschmissen und Oliver hatte sich als Che Guevara verkleidet. Seither nannten wir ihn so. Er schien nichts dagegen zu haben und der Name passte viel besser zu ihm, als Oliver. Er hatte, wie Che Guevara, diesen Blick, der einem sagte: Dieser Mensch weiß ganz genau, wofür er lebt.

Jemand läutete an der Wohnungstür. Ich stand auf. Vielleicht hatte meine Mutter etwas vergessen?

So war es dann auch. Sie trug ein Sakko und hatte bereits ihre Handtasche umgehängt. Offensichtlich war sie gerade am Aufbrechen. In einer Hand brachte sie von ihr designte Masken als Mundschutz. Für mich hatte sie welche mit dem Om-Zeichen, für Che im Military-Look.

Lockdown-LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt