Was hätte es für einen Sinn gemacht, noch länger drum herum zu eiern? Ich hatte den Weg mitten durch gewählt - und das Problem war auf einmal größer als zuvor. Genaugenommen war es ein Desaster. Ich verlor mich in Jazys rehbraunen Augen. Sie musste nichts sagen. Ihr verschwommener Blick sprach direkt zu meinem Herzen. Ich nahm einen Zipfel meines T-Shirts, um ihr die Tränen von den Wangen zu wischen.
„Ja. Ist halt jetzt so. Noch einmal brauchen wir jedenfalls nicht anrufen", sagte ich. Die Nachforschungen zum Schicksal meiner Eltern waren ohnehin zu einer zwanghaften Besessenheit geworden. Eine Pause tat uns beiden sicher gut. „Komm! Heute gönnen wir uns einmal etwas."
Ich erntete einen verständnislosen Blick.
„Ich gehe einkaufen und dann machen wir uns was richtig Gutes zu essen."
„Lasagne?"
„Okay. Vielleicht noch ein Tiramisu?"
Sie hüpfte an mir hoch und schlang ihre Beine um meine Hüften. Dann drückte sie ihre Arme so fest um meinen Hals, dass ich fast keine Luft mehr bekam. „Tiramisu mit Bananen und Nutella!", jauchzte sie."
„Also eine Bananenschnitte. Auch gut."
Mich anderen gegenüber zu öffnen, fiel mir außerordentlich schwer. Aber ich hatte das Bedürfnis, mit jemandem zu reden. Jemandem, der nicht so impulsiv und draufgängerisch war wie Jazy. Ich klopfte an Meister Mings Türe.
„Oliver." Er war nie überrascht. Nicht einmal, wenn ich unangemeldet bei ihm auftauchte.
„Hätten Sie vielleicht Lust auf einen kleinen Spaziergang?"
„Ich ziehe mir schnell Schuhe an. Du kannst draußen auf mich warten!"
Da war ein kleiner Park eine Straße weiter. Auf den steuerten wir mit einem Babyelefantenabstand zwischen uns zu.
Hatte ich gehofft, mein Kung Fu-Lehrer würde von selbst auf die Idee kommen zu fragen, was ich auf dem Herz hatte, so belehrte er mich eines Besseren. Er redete über das Wetter, über ein Buch, das er gelesen hatte und über seine Kakteen, wie er sie zum Blühen brachte. Ich hörte ihm geduldig, aber mit wachsender Verzweiflung zu.
Dann wechselte Meister Ming abrupt das Thema: „Dunkle Gedanken können wie eine Seuche sein, die dein Leben vergiften. Du musst lernen, sie zu beherrschen."
Endlich kamen wir zum Kern der Sache. Er hatte mich absichtlich zappeln lassen.
„Sie wissen, ich bin normalerweise ein positiv denkender Mensch", erinnerte ich ihn, „es liegt nicht an der Flut an negativen Meldungen. Das habe ich im Griff." Ich blieb stehen. „Sie wissen vom Schicksal meiner Eltern, oder?" Ich forschte in seinem Gesicht nach einer Antwort, weil er nichts sagte. Seine Augen gaben mir zu verstehen, dass es so war. Ich sprach weiter und erzählte ihm eine Kurzversion davon, warum mich die Sache mit meinen Eltern in ein Ungleichgewicht gestürzt hatte.
„Ich liege nachts wach und zermartere mir den Kopf. Es wird immer schlimmer. Ich habe jetzt eine Freundin. Ich will nicht, dass die Sache unsere Beziehung beeinträchtigt!"
„Es ist gut, dass du dich deinen Wurzeln widmest. Aber es ist für niemanden gerade eine leichte Zeit. Sicher hast du in den Nachrichten gesehen, wie sich die Virologen und Politiker permanent widersprechen und in die Haare geraten? Seriöse Ärzte und Wissenschaftler werden plötzlich als Verschwörungstheoretiker beschimpft. Da geht es genauso wie bei deinem Problem nur um eines. Was ist wahr und was nicht?"
Ich hatte nicht gedacht, dass er die aktuellen News so gut im Auge hatte.
„Ich will es wissen!", brach es aus mir heraus. „Ich muss es wissen!"
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Lockdown-Liebe
RomanceChe hat seine Traumfrau gefunden. Jazy lebt sogar mit ihm in einer WG. Das einzige Problem bei der Sache, was kann er tun, damit sie ihn nicht für einen verklemmten Spinner hält? Als ob das nicht schwierig genug wäre, wird der nationale Lockdown ver...