Amina

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Sofia chattete mit einer ihrer Freundinnen. Jedenfalls bewegten sich ihre Daumen abwechselnd flink über die Displaytastatur ihres Telefons, um dann wieder zu verharren. Während sie die Antwort las, formten sich ihre Lippen zu einem Lächeln. Vielleicht war es auch ein Junge. Eigentlich hatte ich ihr verboten, am Tisch das Handy zu benutzen. Aber wie ließ sich diese Forderung in Zeiten wie diesen schon umsetzen?

Sie war ein braves Kind. Hatte immer gute Noten nach Hause gebracht. Nur eine feste Stelle hatte sie bis jetzt leider nicht gefunden. Sie hatte halt ihre Illusionen. Doch besser machte die Pandemie die Chancen, bald in ihrem Traumberuf arbeiten zu können, nicht.

Seufzend stellte ich meinen Kaffeebecher in den Geschirrspüler. Wenigstens mein Beruf war krisensicher. Egal wie schlecht die Zeiten waren: Staub und Schmutz ließen sich von einem Virus nicht unterkriegen. Schon gar nicht im Krankenhaus, wo ich seit einigen Jahren putzte.

Spaß machte es unter diesen Umständen natürlich nicht. Den ganzen Tag mit diesem Mundschutz herumzulaufen, bescherte mir jeden Tag am Abend heftige Kopfschmerzen. Vielleicht lag es auch an den Unmengen an Desinfektionsmitteldämpfen. Fast beneidete ich die Kolleginnen, die sich zum Rauchen im Freien das Ding wenigstens für kurze Zeit absetzen konnten. Man durfte sich nicht mehr zum Tratsch treffen. Alleine eine Kaffeepause zu machen, war nicht besonders unterhaltsam. Vom andauernden Nachfüllen der Spender für Desinfektionsmittel wurde ich kaum mit meiner üblichen Arbeit fertig.

„Tschüss, mein Schatz!" Ich gab Sofia seit Ausbruch der Pandemie keinen Kuss mehr. Immerhin war ich jeden Tag mit potenziell kranken Menschen zusammen. Die Wohnungstür öffnete ich beim Heimkommen nur mehr mit einem Taschentuch und dann stellte ich mich sofort unter die Dusche.

Im Stiegenhaus schaltete ich mein Telefon ein. Gespannt wartete ich, bis alle Funktionen hochgefahren waren. Keine Anrufe. Gott sei Dank! Ich hatte gestern einen ganz schönen Schreck bekommen.

Als ich das Haus verließ, blickte ich dennoch nervös die Straße rauf und runter. Die Anruferin hatte erwähnt, zur Polizei zu gehen. Sicher hatte ich es mit meiner Reaktion nicht besser gemacht, aber ich war so überrumpelt gewesen. Jahrzehnte war der Vorfall her. Irgendwann hatte ich damit abgeschlossen und nicht mehr daran gedacht. Und jetzt das!

Rolf war schon vor einer Stunde aus dem Haus gegangen. Er arbeitete seit einigen Jahren bei der MA48. Hatte dort einen gut bezahlten Arbeitsplatz. Deshalb war es nicht schlimm, dass Sofia uns auf der Tasche lag. Es war keine Frage des Geldes. Aber was, wenn er seine Stelle verlor? Natürlich hatte ich die Anrufe von gestern mit keinem Wort erwähnt. Nicht auszudenken, wenn die alten Probleme wieder hochkämen.

Er war ein netter und aufgeschlossener Mensch. Im privaten Umgang brauchte er viel Liebe, fast wie ein Kind. Er war sehr weich für einen Mann. Niemand würde das vermuten, der ihn zum ersten Mal sah. Bei mir war das, als wir uns kennengelernt hatten nicht anders gewesen. Er hatte sich benommen und gekleidet wie ein Gangmitglied. War tätowiert und hörte Gangsterrap. Ich konnte damals zu wenig Österreichisch, um zu bemerken, dass er den geistigen Horizont eines Kindes hatte.

Ich hatte mich in sein Aussehen und die Rolle, die er spielte, verliebt, ohne zu durchschauen, wer er wirklich war. Dann wurde ich schwanger und die Probleme begannen. Vater zu werden, Verantwortung zu übernehmen, hatte eine tiefe Angst in ihm ausgelöst. Ließen ihn an sich und seinen Möglichkeiten zweifeln. Ich hatte angefangen zu begreifen, dass etwas mit ihm nicht stimmte.

Ich wollte mich von ihm trennen. Durch meine Zurückweisung fühlte er sich persönlich verletzt. Er wurde unberechenbar und eigenwillig. Man konnte nicht mehr mit ihm sprechen. Ich hatte oft Angst vor ihm gehabt. Womit er sein Geld verdiente, hatte er mir nie genau mitgeteilt. Er wäre Detektiv, hatte er einmal geheimnisvoll zu mir gesagt. Würde Menschen beschatten und Geld für seinen Cousin eintreiben. Sein Cousin war für ihn das Maß aller Dinge. Er hatte nie begriffen, wie herablassend dieser Anzug tragende Wichtigtuer ihn in Wahrheit behandelte. Er vergötterte ihn. Wehe, wenn ich etwas über ihn gesagt hatte.

Lockdown-LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt