Belle
Es wollte mir einfach nicht aus dem Kopf. Shane war eingeschlafen, selbst Jack war vor einigen Minuten eingedöst. Nur ich war noch hellwach auf der gegenüberliegenden Seite der beiden und brachte kein Auge zu. Es war nicht die Kälte, die diesmal an mir zerrte, sondern mein schlechtes Gewissen. Wieso hatte Jack so verletzt auf mich gewirkt?
Was hatte ich jetzt schon wieder falsch gemacht, dass ich nicht inneren Frieden finden konnte? Wie kam es, dass angeblich ich immer diejenige war, die andere verletzte und doch am Ende diejenige war, bei der es in der Brust schmerzte? Das war schon immer so gewesen. Egal mit wem ich mich unterhielt, wem ich zuhause etwas auftrug oder wen ich zurechtwies, am Ende war ich die gewesen, die Schwierigkeiten beim Atmen bekam und nicht sie. Selbst bei Dad. Wieso fühlte ich mich schuldig, wenn ich doch nur über mein eigenes Leben bestimmen wollte? War das falsch? War das egoistisch ihm gegenüber?
Ich warf den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und ließ den Tränen freien Lauf. Es konnte mich sowieso niemand sehen. Sie schliefen, waren in ihren Traumwelten gefangen während ich mich vor Kummer hin und her gewälzt hatte.
Es war doch nicht meine Schuld, dass Farblose einen solch schlechten Ruf hatten, dass man einfach von schlechten Menschen ausging. Es war auch nicht meine Schuld, dass ich deswegen Angst vor ihnen hatte. Das alles - inklusive meine Haltung ihnen gegenüber - hatten sie sich selbst zuzuschreiben.
Dabei gab es nichts zu diskutieren. Sie waren nur in den Nachrichten, wenn über Überfälle und Angriffe berichtet wurde. Er konnte mich nicht für meine vorsichtige und voreingenommene Haltung verurteilen. In seinen Augen war ich doch auch nur eine etwas verwöhnte, eingebildete und hochnäsige Violette, die zu nichts zu gebrauchen war. Er war genauso wie ich: Voreingenommen.
In den Tiefen der Wälder raschelte es. Der Wind heulte laut und peitschte mir meine Haarsträhnen ins Gesicht, die sich aus meinem Zopf gelöst hatten. Ich zog mir den Mantel enger um mich und strich meine Strähnen hinters Ohr. Der Frühlingsduft stieg mir in die Nase und besänftigte meine strapazierten Nerven, beruhigte mich auf eine Art, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Die Wiese, die vielen Blumen, von denen ich umgeben war, das alles erweckte Freude in mir. Selbst in dieser Verfassung. Selbst wenn mich Albträume und allmählichen Dinge plagten.
Die Natur war so schön. Es war atemberaubend aus vorderster Linie zuzusehen, den Duft in sich einzusaugen und den weichen Gras unter sich zu spüren. Ich öffnete die Augen, sah ins Dunkle, in die Tiefe der Nacht, in den dunklen Himmel hinauf und fragte mich ob ich das jemals auf einer Leinwand festhalten könnte. Ob ein Mensch je in der Lage sein würde, diese Schönheit eins zu eins auf Papier zu bringen.
Das bezweifelte ich. Aber versuchen wollte ich es trotzdem eines Tages.
Gerade sah ich einem Kaninchen beim Hoppeln zu. Es näherte sich uns ganz langsam. Hoppelte zweimal vor, hielt still, beobachtete uns und hüpfte weiter. Es blieb genau vor Shane stehen und beschnüffelte ihn.
Ich trocknete wir die Wangen und beobachtete das Schauspiel genauer. Schmunzelnd sah ich dem Häschen dabei zu wie es den großen Menschen neugierig beschnüffelte, aber sofort davonbrauste sobald es einmal zu laut atmete.
Ich stand auf und klopfte mir Grashalme und Blätter von der Hose. Wenn selbst kleine Waldtiere sich trauten, sich an das Fremde zu wagen und es zu beschnüffeln, wie kam es, dass ich so feige war? Dieser Gedanke gab mir einen kleinen Ruck in Jacks Richtung. Ich sollte ihn aufwecken und ihm gegenüber meine Meinung äußern. Ihm sagen, dass es nicht meine Schuld war, dass ich ihm sonst so etwas nicht zugetraut hätte. Und dass wir vielleicht sogar Freunde geworden wären, hätten wir uns unter anderen Umständen und mit anderen Armbändern getroffen. Es war dieses Land, das aus uns das gemacht hatte, was wir heute waren. Es war weder seine Schuld, noch meine. Das sollte ich ihm unbedingt sagen, das musste er wissen, musste es von mir hören.
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Red Princess - Die Suche nach der Roten Prinzessin
Science FictionEin Land, das ganz anders ist als alle anderen. Die Bürger untergeordnet in Farben, wovon die Farbe Rot regiert. Jede Farbe erfüllt einen Rang und hat spezielle Aufgaben. Doch hat es auch seinen Preis. Finanziell instabile Bürger wurden mit der Begr...