Kapitel 34

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Belle

»Ich kann nicht-«, setzte der Farblose an, aber wurde von Applaus von der Bühne unterbrochen.

Ich wich schnell zur Seite, damit man nicht mich, sondern nur Jack allein ins Visier nahm. Und als Jack mich das letzte Mal fragend ansah, zuckte ich entschuldigend die Achseln, ich wusste auch nicht weiter, und sah ihm hinterher. Der Security Mann begleitete ihn bis zur Bühne, wo bereits drei weitere Ärzte auf ihn warteten und ihn lächelnd empfingen. Na das durfte doch interessant werden. Ich suchte mir ein Platz aus der dritten Reihe ganz am Rand aus, damit ich mich im Notfall schnell vom Acker machen konnte und lehnte mich erschöpft im Stuhl zurück, massierte mir die pochenden Schläfen, während alle Assistenzärzte um mich auf den Beinen Beifall klatschten.

Selbst unter diesen Schmerzen in meinem Kopf, in meinem Bauch, trotz dieser misslichen Lage in der wir uns befanden, zuckte es schadenfroh in meinen Wangen, aber ich riss mich zusammen. Jack stand verloren auf dem Podest und schüttelte die Hände, die ihm höflich gereicht wurden als man ihn begrüßte. Dann, nachdem man ihn offiziell als Dr. Henderson, einem sehr erfolgreichen Kardiologen aus dem roten Viertel, vorgestellt hatte, schlug er den Weg zum Rednerpult an und suchte die Menge nach mir ab.

Als sein Blick meinen streifte, hielt ich die flache Hand vor den Mund, um mein verräterisches Grinsen zu verstecken. Und als er stocksteif da vorne stand und den Mund nicht aufmachte, richtete ich mich auf und formte mit den Lippen Viel Glück und schlug passend die Faust in die Höhe ehe ich mich wieder zurücklehnte, um die Show zu genießen und mich ein wenig vom vorherigen Erlebnis zu erholen. Die Übelkeit, die mich davor beklagte ließ allmählich nach, aber die Kopfschmerzen und mein Hinterkopf machten mir schwer zu schaffen. Ich bat meinen Sitznachbarn nach einer Flasche Wasser und dieser reichte mir freundlichst eine der vielen Flaschen, die er vom Stand mitgenommen hatte.

Ich bedankte mich und trank die 0,5 l Flasche in einem Zug aus. Es tat so unglaublich gut im Hals! Vor allem nachdem ich mich im Keller erbrochen hatte.

Verblüfft und amüsiert zugleich bot mir der Junge noch eine Flasche an und normalerweise würde ich bescheiden ablehnen, aber mein ganzer Körper schrie förmlich nach Flüssigkeit. Also setzte ich ein süßes Lächeln auf, nahm auch diese Flasche dankbar an und trank sie diesmal bis zur Hälfte aus. »Ich war so durstig, danke dir.«, sagte ich, den Kopf wegen meines wahrscheinlichen Mundgeruchs zur Seite drehend, und ging nicht weiter auf ihn ein, sondern richtete meine volle Aufmerksamkeit nach vorne, um auch bloß nichts zu verpassen.

Hoffentlich kannte niemand den wahren Dr. Henderson, denn dann war's das. Doch bis jetzt hatte niemand etwas einzuwerfen. Noch waren wir im Spiel.

Jacks Augen hafteten immer noch an mir. Er blinzelte. Zweimal. War das ein Zeichen? Wollte er mir etwas damit sagen? Verwirrt zuckte ich die Achseln und zog die Augenbrauen in die Höhe, um ihm anzudeuten, dass er sich ausführlich ausdrücken sollte. Wütend schnaubte er ins Mikrofon und jeder im Saal hielt inne.

Er presste die Lippen ein letztes Mal fest aufeinander ehe er seinen Blick von mir losriss und sich an die Zuhörer wandte. »Guten Tag, allesamt.«, fing er an. »Ich bin Dr. Henderson und wie ihr ja schon alle wisst, davon gehe ich mal aus, bin ich Kardiologe im roten Krankenhaus.« Er atmete tief aus und legte sich seine Worte im Kopf zurecht. »Heute erzähl ich euch was über...« Hilfesuchend wanderte sein Blick erst zu mir, die wie eine Verrückte mit dem Zeigefinger auf die Brust tippte und mit den Lippen ein Wort formte. Dann sah er zu den Ärzten, die ihm oben auf der Bühne Gesellschaft leisteten. Doch als niemand ihm auf die Sprünge half, fuhr er allein fort. »das Herz.«

Ein Lachen ging um die Runde. Nur ich drückte mir die Hände fest auf den Mund, um nicht gleich vom Stuhl zu fallen.

»Was für ein Komiker«, lachte mein Nachbar, schien nichts von meiner vorherigen Hektik bemerkt zu haben, und schüttelte amüsiert den Kopf.

»Mhm« Was du nicht sagst. Unglaubwürdig wand ich den Blick ab und sah mit weit geöffneten Augen wieder zu Jack, der wieder still geworden war und scharf nachdachte.

Und als die für die Technik verantwortlichen Personen es geschafft hatten die Präsentation auf die Leinwand zu projizieren, machte ich Jack mit hektischen Handbewegungen darauf aufmerksam. Er verstand sofort und las seine Themen mit einem Blick auf das Geschehen hinter ihm ab und fuhr fort. Er redete, beziehungsweise las alles ab und schaffte es sich für ganze fünf Minuten durchzuschlagen. Doch von der einen Minute auf die andere wurde er unruhig, sein Blick schwankte immer wieder Richtung Aufzug. Ich folgte seinem Blick und fluchte leise vor mich hin. Dort standen die Wachleute und diskutierten lautstark miteinander. In der Hand hielten sie hochwahrscheinlich ein Foto. Mir wurde wieder schlecht. Es war sicherlich ein Foto von mir in der Eingangshalle, wo ich fälschlicherweise die Aufmerksamkeit aller auf einen Nicht-Farblosen gelenkt hatte, um Jack und mich ins Krankenhaus einzuschleusen. Alles hatte seinen Preis und ich war nicht bereit dafür jetzt zu zahlen. Stocksteif sank ich tiefer in meinen Stuhl und verfluchte alle anwesenden Blauen.

Jack räusperte sich, warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu und rief ganz laut »Kurze Pinkelpause!« ins Mikrofon und sprang förmlich von der Bühne, um in die besagte Richtung zu laufen, die ihm Leute freundlicherweise zeigten. Wieder lachten einige über seine Worte und nahmen dann untereinander Gespräche auf. Und genau als sich mein blonder Nachbar zu mir drehte, kehrte ich ihm den Rücken zu und setzte mich in Bewegung. Jack hinterher. Niemand schenkte mir Beachtung als ich ebenso die Toiletten aufsuchte. Vor der Männertoilette blieb ich stehen und wartete ungeduldig. Ich wusste nicht einmal auf was ich wartete, vielleicht auf Jack, der wirklich mal musste?

Ein Mann trat aus dem Raum, schaute mich komisch an und ging seine Wege. Als die Luft rein war, platzte ich rein und hielt nach Jack Ausschau, aber fand den Raum nur leer vor.

Wo zur-

Jemand packte mich an der Schulter, zog mich raus und legte eine Hand auf meinen Mund, um meinen Schrei zu dämpfen. Panisch schlug ich mit meinem Ellenbogen nach hinten und traf auf eine Brust. »Fuck«, hörte ich Jack fluchen. Fast hätte ich erleichtert aufgeatmet.

Ich löste nun seine Hand von meinem Gesicht und drehte mich wütend zu ihm. »Musste das sein?!«, zischte ich.

»Wir haben keine Zeit für so 'ne Scheiße« Er sah sich nochmal um und wollte mich an der Hand zum Ausgang ziehen, da zuckten wir beide zusammen. Ein lauter, langer Alarm schrillte in unseren Ohren. Oh, oh.

Jack reagierte schneller als ich, indem er uns wieder zurück in die Männertoilette schob und hinter uns, mit dem bereits drinnen steckenden Schlüssel, abschloss. Wortlos deutete er mit dem Kopf zum kleinen Fenster, das oben angebracht war.

Fast hätte ich aufgelacht. Wie sollten wir durch dieses Loch passen?! »Das wird nicht klappen«, gab ich zu bedenken. »Es ist viel zu klein, geschweige denn wie kommen wir da hoch?«

Doch natürlich blieben meine Worte unerhört, Jack griff nach dem Fensterbrett und zog sich ohne große Mühe hoch, um die Umgebung draußen abzuchecken. Als er es für sicher erklärte, ließ er wieder ab und sah mich erwartungsvoll an. »Los, ich halte dir hier den Rücken frei.«

Und bevor ich ihn fragen konnte, wie ich an das Fenster kommen sollte, weil ich deutlich kleiner war als er, beugte er sich mit verschränkte Finger vor und hielt mir die Räuberleiter hin.





Freut mich, dass sich jeder eine Lesewoche wünscht, so werde ich natürlich auch eine machen :)
Und die findet von Montag bis Sonntag vom 28.12.20-03.01.21 statt.

Red Princess - Die Suche nach der Roten PrinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt