1 - Satan im Katzenfell

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»Lancelot!« Meine Stimme hallt wie ein Donnerschlag durch das ganze Haus, aber die gewünschte Reaktion bleibt aus. Genervt stöhne ich auf. »Lancelot, du verdammtes Fellknäuel! Jetzt beweg endlich deinen pelzigen Hintern hier her!« Wieder erhalte ich keine Reaktion. Verdammt, wo steckt dieser Kater, wenn man ihn mal braucht?!

»Lancelot, wenn du jetzt nicht kommst, liegst du heute Abend in der Badewanne! Mit Wasser!«, brülle ich erneut und ziehe dabei die Wasser-Karte. Lancelot hasst Wasser wie die Pest und meist reicht nur die Androhung, dass er kommt. Oder aufhört, an Omas Sessel seine Krallen zu schärfen. Je nachdem, was er halt gerade anstellt.

Bisher habe ich meine Drohung nur einmal wahr gemacht und habe nicht vor, diese Spektakel zu wiederholen. Danach war ich nass bis auf die Knochen, hatte diverse Kratz- und Bissspuren und definitiv keine Nerven mehr. Noch mal so eine Sauerei erspare ich mir lieber. Aber das braucht dieser eingebildete Kater natürlich nicht zu wissen.

»Lancelot, ich schwöre, wenn du jetzt nicht-«, beginne ich zum letzten Mal, diesmal deutlich sauer. Weiter komme ich allerdings nicht. Was brüllst du denn so herum, Kleine? Meine armen Ohren!, beschwert sich Lancelots schnurrende Stimme in meinem Kopf.

Sofort fahre ich herum, wobei ich mit dem Rollstuhl an der Kommode zu meiner rechten hängen bleibe und die potthässliche Vase darauf gefährlich anfängt zu kippeln. Den Gefallen, runterzufallen und mich ein für alle Mal von dem grässlichen Anblick befreien, tat sie leider nicht. Mal wieder. Dann habe ich mich endlich um 180 Grad gedreht und blicke direkt auf einen grauen Kater herunter, der mich aus hellgrünen Augen anblitzt. Sein kleiner Hintern sitze auf dem Boden, während die Beine aufgestellt sind und er den Kopf gelangweilt gehoben hat. Eines muss man ihm lassen. Er beherrscht das Schauspielen perfekt. Würde ich nicht selbst zu einhundert Prozent wissen, dass er vor zehn Sekunden noch nicht da saß, würde ich fast meinen, er sitzt schon die ganze Zeit hier.

Was denn, Kleine? Hat's dir deine Sprache verschlagen?, ertönt seine Stimme erneut in meinem Kopf. Sein Körper bewegt sich dabei kein Stück, nicht einmal ein Zucken ist zu sehen. Ich bin es zwar schon gewohnt, trotzdem überrascht es mich jedes Mal.

Mit seinen Worten kommt auch meine Wut zurück. »Halt du mal schön den Rand! Und dein Gemaule wegen deiner Ohren kannst du dir sonst wo hinstecken! Du weißt genau, warum ich dich gerufen habe!«, knurre ich ihn feindselig an und bombardiere ihn mit meinem besten Wag-nicht-einmal-zu-Lügen-Blick. Lancelot blickt ungerührt zurück. Es interessiert ihn offensichtlich einen feuchten Katzenkeks.

Aber ich warte gar nicht darauf, dass er sich endlich mal dazu bequemt, etwas zu sagen, sondern zetere gleich weiter. Dieser Kater ist zum Haare raufen! »Da! Sieh dir die Decke an! Na? Klingelt's?«, fahre ich fort und zeige demonstrativ mit dem Finger auf die weißen Decke hinter mir, die vor Dreck nur so strotzt. Ich will gar nicht wissen, wo Lancelot den wieder aufgetrieben hat.

Wegen diesem bisschen Dreck machst du so ein Drama? Ernsthaft Kleine, das ist kein Grund, sich so aufzuregen. Es ist nur eine Decke! Seine Antwort bringt mich zum Schäumen und ich bin versucht, aufzuspringen und ihn zu packen. Bei dem Gedanken daran, wie ich ihm aus dem Fenster schmeiße, schleicht sich ein leichtes Grinsen auf meine Lippen. Aber leider geht das nicht. Denn leider kann ich verdammt noch mal nicht laufen.

»Nur eine Decke? Nur eine Decke?! Du fliegst gleich wieder aus dem Fenster!«, schreie ich nun. Dabei stand schreien auf meiner To Do-Liste ziemlich weit unten. Damals habe ich allerdings auch noch nicht mit diesem arroganten Pelztier geredet.

Lancelot scheint von meiner Drohung alles andere als beeindruckt. Im Gegenteil, ich habe fast das Gefühl, als zöge er spöttisch eine Augenbraue hoch. Klar, er ist unsterblich. Ein Sturz aus dem Fenster würde ihm nicht einmal ein Haar krümmen. Ich habe es versucht, glaubt mir. Mehrmals. Dreimal, weil ich es nicht glauben wollte und er nichts dagegen hatte und einmal, als er einen von Dads Briefen zerstört hatte. Er wusste genau, was passieren würde, wenn er es wagen würde, einen davon anzufassen. Diese Briefe sind mein allergrößtes Heiligtum. Na ja, abgesehen von der dem kleinen silbernen Ring, der zu jeder Tageszeit an meinem Zeigefinger steckt, als könnte ich ohne ihn nicht atmen.

Engel haben keine FlügelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt