9 - Lebendige Kichererbse

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Es ist eine Hand. Eine warme, etwas raue Hand - und leider viel zu groß für ein Mädchen oder eine Frau, es sei denn wir haben es hier mit einer außerordentlich großen Art zu tun. Was automatisch bedeuten muss, dass sich irgendein Depp dazu entschieden hat, sein Hirn hinter Nico in den Ozean zu werfen und meiner Faust guten Tag zu sagen.

Aus einem Reflex heraus ramme ich meine Faust nach hinten, in der Hoffnung, irgendwas zu treffen. Wer halt auch so blöd ist, mich ohne meine Erlaubnis anzufassen, kann nicht mehr erwarten. Zumal ich nicht weiß, ob er vielleicht Mr. Petersen helfen will.

Kurz darauf höre ich ein leises Aufstöhnen und meine Hand ist frei. Eilig ziehe ich sie zurück und wische sie an meiner Jeans ab. Wer weiß, was dieser Typ alles angefasst hat.

»Wofür war das denn?«, keucht dann eine, mir unbekannte Stimme und ich stutze. Sie hört sich nicht wirklich nach einem alten Mann an. Eher nach einem jüngeren Typ. Mein erster Gedanke ist, dass dieses Ekel von Enkel wieder da und erneut darauf aus ist, von mir eine Schelle verpasst zu bekommen. Dann aber erinnere ich mich daran, dass dieser Typ gequiekt hat wie ein Schweinchen auf der Schlachtbank und verwerfe den Gedanken wieder.

Obwohl ich keine Lust habe, zu sehen, mit welchem Testosteron geladenen Typen ich mich jetzt schon wieder abgeben muss, drehe ich mich um. Ich möchte schließlich sehen, wie stark mein produzierter Schaden ist. Vielleicht hat's ja für ein blaues Auge gereicht.

Und so kommt es, dass ich mich keine paar Sekunden später Auge in Auge mit einem circa 20-jährigen Typen wiederfinde. Er hat braune Augen. Schlammbraune Augen, wie es tausende gibt. Nichts Besonderes. Aber irgendwie ist dieses Exemplar anders. Fragt mich nicht was, vielleicht hat sich mein Hirn auch mal wieder verabschiedet.

Vielleicht liegt es auch daran, dass mich der Typ anstarrt, als wäre ich eine Fata Morgana. Ohne Witz, er scheint wie in Trance. Wahrscheinlich könnte ich ihm noch eine Knallen und er würde es nicht einmal merken. Aber eines ist klar: Sein Blick ist verdammt unheimlich!

Allerdings würde mich schon einmal interessieren, wo der jetzt so plötzlich aufgetaucht ist. Es ist ja nicht so, dass sie einfach so aus dem Boden schießen oder vom Himmel regnen. Wahrscheinlich gehört er zum Filmteam. Was dann auch erklären würde, warum seine Klamotten blitzblank und nagelneu sind.

»Was ist? Wurdest du irgendwie hypnotisiert?«, gebe ich genervt von mir und rolle mit den Augen. Dieses Gestarre ist unheimlicher als eine traurige Nico. Und das soll schon was heißen. Denn dann mimt Nico immer einen Zombie, der noch etwas zu viel Leben in sich hat.

Der Typ vor mir blinzelt ein paar Mal dämlich und richtet sich dann blitzartig auf, als wäre ihm jetzt erst bewusst geworden, wie affig er sich verhält. Wie sagt man so schön? Besser spät als nie.

Ohne ihn weiter zu beachten, drehe ich mich erneut um. Mein Blick zischt zu der Stelle, an der Mr. Petersen gestanden hat. Betonung auf »gestanden«. Denn dieses feige Weichei hat sich aus dem Staub gemacht. Ohne, dass ich ihm noch einmal eine Scheuern konnte oder dass er sich entschuldigt hätte. Wobei letzteres auch etwas zu viel verlangt ist.

Erneut fahre ich zu dem fremden Typen herum, um ihn mehr oder weniger höflich zu bitten, den Abflug zu machen und es gar nicht erst zu wagen, eine Unterhaltung mit mir anzufangen. Zuvor muss ich aber noch etwas klarstellen.

Dann jedoch stocke ich kurz. Irgendwie habe ich ihn nicht so groß in Erinnerung. Okay, er hat sich leicht vorgebeugt, aber trotzdem. Er überragt mich um fast einen Meter. Ich stöhne leise auf. So große Typen kann ich gar nicht leiden. Da muss ich immer eine Giraffe nachahmen, um ihnen ins Gesicht spucken zu können.

Egal. Er hat Scheiße gebaut, da geht mir seine Größe am Arsch vorbei.

»Was fällt dir eigentlich ein, mich anzufassen? Steht hier irgendwo ein Schild mit der Aufschrift "Bitte Mädchen begrabschen"?«, fahre ich ihn an und verfluche mal wieder diesen beschissenen Rollstuhl, der mich so klein macht. Denn eigentlich bin ich nicht klein. Jedenfalls würde ich mich mit meinen einsfünfundsiebzig nicht als klein bezeichnen. Nur, dass ich aussehe wie einsfünfzig. Wenn's hochkommt.

Engel haben keine FlügelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt