15 - Wie ein kleines Pandabärchen

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Wie sich heraus stellte, wollte uns Oma lediglich mitteilen, dass wie zu Anlynns Geburtstag eingeladen wurde. Also wurde der vor-vorgestrige Tag doch nicht mein Todestag. Der ist jetzt auf Montag in einer Woche angesetzt. Wenn Anlynns ihren Geburtstag hat und uns alle mit ihren steinharten Keksen die Zähne ziehen will. Aber hey, immerhin ein paar Tage Vorbereitungszeit!

Wobei ich jetzt schon eine Idee habe, was ich auf meinen Grabstein stehen haben will: "Und die nächste Arschgeige! Wie ich sehe, hat der Auftragskiller letzte Nacht versagt!". Oder irgendwie so etwas. Ich meine, irgendjemand muss ja für Humor sorgen. Und da ich hier hoffnungslos in der Unterzahl bin, bleibt das wohl an mir hängen. Auch wenn ich diesen Job ausnahmsweise einmal mir Freuden übernehme.

Mein Blick wandert zu dem kleinen Dauersonnenschein ist gerade noch zu sehr damit beschäftigt, die Traumwelt unsicher zu machen, was mir gerade nur recht ist. Ein paar Minuten mehr, meine Beerdigung zu planen.

Verträumt spiele ich an dem Anhänger der Kette, welche seit gestern Abend ununterbrochen an meinem Hals hängt. Eigentlich bin ich kein großer Fan von Schmuck, aber diese Kette ist laut Oma ein Familienerbstück und zudem noch ziemlich hübsch, was aus meinem Munde so viel bedeutet wie atemberaubend schön. Und als Oma sie gestern beim ausmisten ihrer Schmuckschatulle gefunden und mir geschenkt hat, habe ich beschlossen, sie zu tragen. Erstaunlicherweise bekomme ich von dieser Kette keinen Ausschlag, wie so oft bei anderen Schmuckstücken. Und der kleine, tiefschwarze mit blauen Linien durchzogene Stein ist auch nicht sonderlich protzig und vor allem flach, sodass es einfach ist, die Kette zu tragen. Was Oma natürlich extrem glücklich gemacht hat.

Kurz verweilen meine Augen auf Nicos Gesicht, das gerade noch so aus der Decke blinzelt. Ich beginne unweigerlich zu lächeln. Wenn man Nico so betrachtet, würde man nie erraten, dass dieses Engelchen den Charakter einer ausgewachsenen Nervensäge hat. Aber wie sagt man so schön? Der Schein trügt.

»Wie viel Uhr ist?«, nuschelt Nico verschlafen und mein Hoffnung auf ein paar Minuten Ruhe kracht mit Karacho auf den Boden. Allerdings macht es mir diesmal nichts aus. Meine Nerven waren soweit erholt und wenn sich Nico noch im Stadium Ohnmächtig-wegen-müdigkeit-neben-mit-her-watschelnd befand, war der Nervenkiller weniger aktiv.

»Acht Uhr«, berichte ich süffisant grinsend und warte nur darauf, dass meine Freundin ihr Gesicht verzeiht. Was sie dann auch ein paar Sekunden später tut. Das, was für mich ein gute Morgenzeit bedeutet, ist bei Nico Mitternacht.

»Oh Gott, ist das früh2, murmelt sie. Was übersetzt so viel bedeutet wie »ich will weiter pennen, also Schnauze!«. Grummelnd rutsch sie zu mir rüber und kuschelt sich wie ein kleines Pandabärchen an mich. Unweigerlich beginne ich zu grinsen, während ich als Kuscheltier missbraucht werde. Es gibt schließlich schlimmeres und obwohl ich Berührungen nicht mag, tut es bei Nico fast schon gut.

Die Ereignisse des vor-vorgestrigen Tages kommen mir wieder in den Sinn. Ich stöhne leise auf und verbanne meine Gedanken dort hin, wo der Pfeffer wächst. Nur, dass sie keine fünf Sekunden später zurück sind. Woher sie jetzt so plötzlich den Schnelljet bekommen haben, bleibt wohl ein ungelöstes Rätsel. Blöd nur, dass ich mich jetzt wohl oder übel mit ihnen herum schlagen muss.

Rückblickend betrachtet muss mich mein Pech echt lieben. Obwohl, vergöttern trifft's wohl eher. So viel, wie es mir von deinem Pech opfert. Ich meine, wer sonst – mal abgesehen von diversen Promis, die aber selbst schuld sind – haben das Pech, drei hochrangigen Nervenkillern an einem Tag zu treffen? Nacheinander mit nur ganz wenig Zeit dazwischen? Wenn ihr mich fragt ist ein regelrechtes Wunder, dass ich heute noch aufrecht sitzen kann und mein Verstand nicht »Adieu« gesagt hat. Wäre Nico an meiner Stelle gewesen, hätte ich sie heute wohl in der Notaufnahme des Krankenhauses besuchen können. Immerhin wäre die Wiederbegegnung mit den todlangweiligen Krankenhauswänden dann schneller, als erwartet.

Engel haben keine FlügelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt