Kapitel Zehn
» Die Entscheidung «In der Ferne sah ich plötzlich ein kleines Licht. Es war grell und tat in den Augen weh, doch eine unsichtbare Kraft trieb mich darauf zu. Ich musste ihm folgen. Es war wie eines dieser Irrlichter, die vor Jahrhunderten etliche Seefahrer in die Irre geführt hatten. Sie lockten sie mit ihren Schiffen in dunkle Moore, in heftige Stürme oder immer näher an die Felsen heran. Bis ihre Schiffe schließlich kenterten und die gesamte Crew vom Erdboden verschwand.
Umso näher ich kam, umao größer und heller wurde das Licht. Ich kniff die Augen zusammen. Die Helligkeit löste einen stechenden Schmerz unter meiner Schädeldecke aus. Wie aus dem Nichts ertönte ein lautes, monotones Piepen.
Biep. Biep. Biep. Biep.
Es raubte mir meinen letzten Nerv. Es prasselten ohneschin schon tausende Gedanken und Fragen auf mich ein. Ich dachte es könnte nicht mehr schlimmer werden, doch dieses Gepiepse bewies mir das Gegenteil.
Ich kniff die Augen zusammen und fing an mich hin und herzudrehen. Verwirrt blinzelte ich. Das Licht wurde heller und schien mich in sich verschlingen zu wollen. Es umhüllte mich wie ein dicker Mantel. Ich schreckte auf und schnappte erschrocken nach Luft.
"Sie ist wach...", hörte ich eine tiefe, männliche Stimme.Wieder blinzelte ich, bis meine Augen sich an das helle Licht und die schneeweißen Wände gewöhnt hat. Plötzlich stand ein durchschnittlich großer Mann neben mir. Er trug einen weißen Kittel und in der rechten Hand hielt er ein blaues Klemmbrett. Seine Lippen umspielte ein gezwungenes Lächeln. Die Haare waren nach hinten gegelt, wie in einer Teenie-Schnulze aus den Achtzigern und der Dreitagebart perfekt gschnitten.
Er lehnte sich gegen mein Bett und musterte mich von oben bis unten. "Wie geht es Ihnen, Mrs?" Ich schaute mich um. Unter meiner Schädeldecke setzte sich der Schlagbohrer wieder in Bewegung. Diesmal jedoch aggressiver als jemals zuvor. Ein stechender, schon fast unaushaltsamer Schmerz fuhr mir durch den Kopf. Ich wollte nach Luft schnappen, doch diese blieb mir für einen kurzen Moment weg.
"Beruhigen Sie sich...Sie sollten keine zu ruckartigen Bewegungen mit dem Kopf durchführen." Ich lachte ironisch. "Wär mir gar nicht aufgefallen...", murmelte ich sarkastisch und lehnte mich wieder zurück in das weiche Kissen. Ich atmete erleichtert auf. Es fühlte sich an als würde ich auf einer Wolke liegen, die mit mir über die Köfpe der anderen hinweg schwebte.
Als der schmierige Arzt für einen kurzen Moment die Klappe hielt, hatte ich Zeit nachzudenken und es kamen die ersten wichtigen Fragen auf. Warum war ich überhaupt in einem Krankenhaus, nachdem es offensichtlich war, dass ich keine Krankenversicherung hatte? Normalerweise hätte ich jetzt noch immer mit angeknackster Schädeldecke auf der Straße liegen und mich während meinen letzten Atemzügen von wildfremden, schaulustigen Idioten begaffen lassen sollen.
"Ihre Schädeldecke ist zwar nicht vollständig gebrochen, doch sie hat Einiges abbekommen. Sie haben die OP aber überstanden und nun beginnt der Heilungsprozess, also sollten Sie in den nächsten Wochen keine zu anstrengenden Tätigkeiten durchführen." Er blätterte die erste Seite nach oben, über den oberen Rand des Klemmbretts und blickte mit nachdenklichem Blick auf das Blatt, das nun zum Vorschein gekommen war. "Soll ich irgendjemanden für Sie anrufen?"
Ich warf ihm einen ernsten Blick zu und schüttelte den Kopf. Ich bezweifelte, dass es meine Eltern interessierte, was passiert war nachdem sie mich ohne eine Träne zu vergießen auf die Straße gesetzt hatten. Sie sahen, dass ich wegen dem Verschwinden von Kayla langsam zerbrach und anstatt mir Hilfe zu besorgen und zu versuchen mich wieder auf den richtigen Weg zu bringen, setzten sie mich auf die Straße.
"Okay...vor der Tür warten schon seit Stunden zwei Männer, soll ich sie zu Ihnen lassen?" Zwei Männer? Klang im ersten Moment nicht wirklich gut, doch konnte es überhaupt noch schlimmer werden? Ich lag hier, angezapft an einen Tropf Kochsalzlösung und Moprhium, hilflos und mit Höllenschmerzen. "Ja...okay..." Ich rutschte nervös hin und her und versuchte meinen Kopf in eine Position zu bringen, in der er mir keinen Stich versetzte.
Vergebens. Bei der kleinsten Bewegung kniff ich schon wieder schmerzerfüllt die Augen zusammen und schnappte erschrocken nach Luft. Der Arzt kam noch einmal auf mich zu, ging zu dem Tropf auf der linken Seite des Bettes und drehte an einem kleinen, hellblauen Rädchen, das an dem Schlauch befestigt war der bis in meinen Unterarm führte.
Kurz danach machte er sich aus dem Staub. Die Tür ging auf und ich hörte ihn mit jemanden reden, konnte dessen Stimme jedoch nicht erkennen. Allein das angestrengte Zuhören und nachdenken versetzte mir einen weiteren Stich in die Schädeldecke. Ich gab auf, lehnte mich nach hinten und starrte geradewegs in die Wand vor mir. Zwar konnte ich so nicht bis zur Tür schauen, doch ich hatte in dieser Position am wenigsten Schmerzen.
Wie willst du die Krankenhauskosten bezahlen?
Die Stimme in meinem Kopf kam wie aus dem Nichts. Ich riss erschrocken die Augen auf. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Ich war so abgelenkt von dem Arzt, der auf mich einredete und den Schmerzen, die mir beinahe den Verstand raubten, dass ich an eine der wichtigsten Sachen gar nicht dachte. Ich wollte mir gar nicht erst ausmalen, was passieren würde, sofern ich diese Kosten nicht übernehmen konnte.
"Wie geht es dir, Davina?", hörte ich eine bekannte und doch fremde Stimme. In Zeitlupte drehte ich den Kopf Richtung Tür. Plötzlich standen vor mir der große, korpulente Sektenführer und der Junge, der mir eingeredet hatte er wüsste wie ich mich fühlte und, dass diese vermeintliche Schule vermutlich meine einzige Chance sein würde. Marcus war sein Name, soweit ich mich erinnern konnte. Ich richtete mich langsam auf. "Ging mir nie besser.", antwortete ich lakonisch.
Der Mann lachte leicht und Marcus schüttelte schmunzelnd den Kopf. Marcus kam mir vor wie der kleine Laufbursche und Schoßhund des korpulenten Mannes. Er hatte ihn geschickt, um mit mir zu reden und auch jetzt war er wieder dabei. Wieso genau er und nicht einer der anderen Schüler? Auf die durchgedrehte Emo-Tante konnte ich gerne verzichten, doch wieso nicht einer der anderen?
Wieder bahnte sich eine Schmerzwelle an. Das Nachdenken bekam mir nicht gut. Sie bäumte sich über mir auf, hing in gefährlicher Höhe über meinem Kopf und wartete nur darauf mit voller Wucht über mir hereinzubrechen.
Doch sie tat es nicht. Sie schien wie eingefroren und wie aus dem Nichts fühlte ich mich blendend. Die Schmerzen waren beinahe wie in Luft aufgelöst. Auch die negativen Gedanken und dutzenden Fragen, die mir durch den Kopf gingen, hatten sich aus dem Staub gemacht. Verwirrt blickte ich zu dem Tropf schräg über mir und dann wurde mir der Grund für den plötzlichen Gemütswechsel bewusst: Mir schoss nun die doppelte Dosis an Morphium durch die Adern. Ich musste grinsen.
"Es war wirklich knapp...hätte Marcus dich nur zehn Sekunden später gefunden, wärst du jetzt wahrscheinlich tot."
Die Gleichgültigkeit, mit der er diesen Satz über die Lippen brachte erschütterte mich gar nicht mehr, nachdem ich wusste was in seiner angeblichen Akademie vor sich ging. Er hatte mit dem Tod kein Problem und wie es schien auch mit dem Töten nicht. Ebenso wahrscheinlich Marcus und all die anderen psychotischen 'Schüler' in dieser Sekte.
"Sowas hört man natürlich immer gern.", entgegnete ich mit unüberhörbarem Sarkasmus in der Stimme. "Also, warum habt ihr die Samariter gespielt? Um mir das Gefühl zu geben ihr seid netter, als ihr ausseht? Oder um mich zu erpressen?" Der dicke Mann schüttelte lachend den Kopf und setzte sich an den kleinen hölzernen Tisch neben meinem Bett. "Nein, um dich umzulegen, weil du zu viel weißt.", meinte Marcus. Ehrlich gesagt war ich mir für einen Moment nicht sicher, ob das ein Scherz gewesen sein sollte, oder ob er es tatsächlich ernst meinte.
Master Lin drehte sich zu ihm um und gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. "Marcus macht nur Witze. Natürlich sind wir nicht hier, um dir etwas anzutun..." Im selben Atemzug wechselte mein Blick zu Marcus, der fragend die Schultern nach oben zog. "...wir wollten dich auch nicht erpressen. Ich...beziehungsweise wird die Schule für die Krankenhauskosten aufkommen, das heißt jedoch nicht, dass wir dich damit zwingen wollen zu uns zu kommen. Es ist deine Entscheidung und du hast es in der Hand, ob du diese Chance ergreifen, oder weiterhin durch die dunklen Gassen von San Francisco tümpeln willst." Beide schauten mich eindringlich an, als wollten sie versuchen meine Gedanken zu lesen.
"Schön."
Fragezeichen bildeten sich über ihren Köpfen und man sah ihnen die Verwirrung auch an den Gesichtern an. Die Augenbrauen tief in die Stirn gezogen und die Nase komisch gekräuselt. "Wie bitte?", fragte der dicke Mann und streifte sich über den kleinen Ziegenbart am Kinn.
"Ihr habt es geschafft. Ich mach's. Ich komme mit."
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Deadly Mission
FanfictionDas Verschwinden ihrer kleinen Schwester wirft Davina voll und ganz aus der Bahn. Vollgepumpt mit Alkohol und Drogen begeht sie eines Nachts den größten Fehler ihres Lebens.. Doch genau dieser Fehler erweckt das Interesse von Master Lin, der Direk...