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Kapitel Fünf
» Die Nachfolgen «

Es war dunkel. Stockdunkel und eisig kalt. Windstill. Kein Mucks war zu hören. Weder Lärm von der Straße, noch das Knacken der Holzmöbel. Verwirrt rieb ich mir die Augen und rappelte mich auf. Ich schaute mich um. Neben mir stand ein leeres Bett, voll aufgebettet mit Laken und allem drum herum, als würde es nur auf einen Besitzer warten. Durch das Fenster fiel der hellblaue Schein des Mondes in mein kleines Zimmer, auf den nussbraunen Parkettboden.

Alles fühlte sich merkwürdig an. Als wäre ich gar nicht ich selbst. Als steckte ich in einem anderen Körper, den ich nicht selbst steuern konnte. Ich wollte auf dem Bett liegen bleiben, doch mein Körper wollte aufstehen und ich konnte dem Drang nicht widerstehen. Langsam hievte ich mich auf die Beine und lief durch die schmale, kurze Diele entlang, bis zur Tür.

Es war noch immer totenstill. Seit meine Eltern mich vor die Tür gesetzt hatten, gab es für mich keine ruhige Nacht mehr. Entweder war es der Lärm von der Straße, der mich wach hielt, oder das Geschrei der betrunkenen Partywütigen aus den Seitengassen. Selbst als ich noch bei meinen Eltern wohnte, war es nachts nicht annähernd so still, wie jetzt. Ich hätte eine Stecknadel fallen hören. Wahrscheinlich sogar ein Sandkorn.

Langsam öffnete ich die Tür zum Flur. Ein leises Knarzen ertönte und durchbrach die dicke Wand der Stille. Dieses Knarzen war beinahe kaum hörbar und dennoch kam es mir vor, als würde ich damit das ganze Haus aufwecken. Ich ging einen Schritt nach vorne und stand mitten im Flur. Links und rechts von mir war es stockdunkel. Noch dunkler, als im Zimmer vorhin. Ich schluckte schwer.

Mein Hirn wollte meinen Beinen den Befehl geben wieder zurück ins Zimmer zu gehen, doch irgendeine unsichtbare Kraft hielt mich davon ab. Diese Kraft drückte mich förmlich in die krähenschwarze Finsternis des Flurs. Angst kochte in mir hoch, wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Mir wurde heiß, obwohl noch immer Gänsehaut auf meinen Unterarmen zu sehen war.

Und wie aus dem Nichts ertönte plötzlich eine Stimme. Eine bedrohliche, männliche Stimme, die mir auf irgendeine Art und Weise bekannt vorkam. 'Davina. Komm zu mir.' Ich schnappte nach Luft und hielt den Atem an. Wieder lief ich wir ferngesteuert in die Richtung, aus der ich die Stimme vermutete. Der Flur wurde dunkler und dunkler, bis schließlich überhaupt nichts mehr zu sehen war. Außer ein minimaler, roter Lichtstreifen, der sich unter einer der Türen durch drückte.

Mach es nicht. Geh nicht hin. Leg dich wieder in dein Bett und schlaf weiter. Immer wieder redete die Stimme meines Verstands auf mich ein, doch leider vergebens. Egal wie sehr ich mich davon abhalten wollte, nach der Türklinke zu greifen, ich konnte es nicht. Es passierte wie von selbst. Ich drückte sie langsam nach unten und öffnete die Tür. Dunkelrotes Licht kam mir entgegen, welches mir im ersten Moment fast das Augenlicht raubte. Sofort kniff ich meine Augen zusammen und hielt mir eine Hand vors Gesicht.

'Sieh' mich an. Schau dir mit eigenen Augen an, was du mir angetan hast.'

Die Stimme wurde immer lauter und aggressiver, als würde jemand unmittelbar hinter mir stehen, doch es war weit und breit niemand. Ich schluckte nervös. In Zeitlupe nahm ich die Hand vom Gesicht und schaute mich um. Im nächsten Moment erstarrte ich zur Salzsäule. Ich konnte keinen Faser meines Körpers mehr bewegen, als ich entdeckte, wo ich hier gelandet war. Es sah aus wie der Innenhof der Schule. Die großen Drachenstatuen und dieser Baum mit den hellen Kirschblüten kamen mir auf jeden Fall sofort bekannt vor.

'DAVINA!', schrie die Stimme plötzlich und ich zuckte erschrocken zusammen. Nun wusste ich auch, woher ich diese Stimme kannte und warum sie mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. Doch das war unmöglich. Das konnte nicht wahr sein.

Mit zitternden Knien schwankte ich auf den leblosen Körper zu, der mitten im Raum auf dem Steinboden lag. Ich wusste insgeheim, was mich erwarten würde, doch ich konnte nicht anders, als mich vorsichtig über den Körper zu beugen. Wenige Sekunden später bereute ich es schon. Es drückte mir die Tränen aus den Augen, als ich das blutüberströmte Gesicht des Widerlings erkannte, der mich von der Party nach Hause bringen wollte – der jedoch andere Absichten hatte, als ich im ersten Moment dachte.

Seine Augen waren weit aufgerissen. Blut tropfte aus seinem Mundwinkel, auf den dunklen Boden und sammelte sich zu einer kleinen Pfütze an. Mein Magen drehte sich um. Der Vulkan der Angst brach nun aus. Sie schoss in die Luft und prasselte kurz daraus auf mich herab, wie ein Hagelschauer. Meine Finger zitterten.

'Siehst du, was du mir angetan hast?'

In dem Moment spürte ich einen leichten, eiskalten Atem im Nacken. Erschrocken fuhr ich umher. Ich war allein. Bis auf den Mann auf dem Boden, war ich allein. Existierte diese Stimme nur in meinem Kopf? Aber sie hörte sich so realistisch an. So wütend und voller Hass. "Was willst du von mir?!", schrie ich unter Tränen und trat einen Schritt zurück. Zack. Etwas packte mich an meinem rechten Sprunggelenk. Etwas Eiskaltes, das sich anfühlte wie eine Fußfessel.

Langsam senkte ich den Kopf. Es war eine Hand. Eine schrumpelige, kreidebleiche Hand. Ich hätte nie gedacht, dass es jemals einen Moment geben würde, in dem ich mir eine Fußfessel wünschte. Doch dieser Fall war gerade eingetreten. Sein Kopf war in meine Richtung gedreht und seine leeren, emotionslosen Augen starrten mich an. Seine zweite Hand packte meinen anderen Fuß. Ich schrie auf. So laut ich konnte. Schrie mir beinahe die Seele aus dem Leib. Ich fühlte förmlich, wie meine Stimmbänder beinahe auseinander gerissen wurden.

'Du wirst dafür büßen, Miststück.'

Im nächsten Moment flog die Tür auf. "Was ist los? Alles in Ordnung?" Verwirrt sah ich mich um. Ich saß in meinem Bett. Schweißgebadet. Die Schweißperlen hingen mir noch auf der Stirn und mein Herz pochte mir gegen die Brust. In meinem Hals steckte ein großer Kloß, weshalb ich kein Wort aus mir herausbrachte. Meine Atmung war unregelmäßig und schnell.

Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter und zuckte zusammen. "Du hast geschrien, wie ein Baby.", meldete sich eine Stimme aus dem Hintergrund und ich blickte auf. Eine weibliche Stimme. Die Biker-Braut mit dem übertriebenen Lippenstift, die mir den Arsch gerettet hat. Noch immer verstand ich nicht so richtig, was hier vor sich ging. Ich wusste nicht mehr was real war und was nicht.

"Wo ist er? Ist er hier?", flüsterte ich stotternd und mit brüchiger Stimme. Ein Arm legte sich un meine Schulter. "Hier ist niemand außer wir.", hörte ich Marcus' Stimme neben meinem Ohr. Eine gewisse Erleichterung breitete sich in mir aus. Die Tür des Zimmers ging auf und jemand Fremdes betrat den Raum. "Was ist denn hier los? Wer schreit hier rum?" Ich schluckte nervös. Im Augenwink erkannte ich, wie Marcus den Kopf schüttelte. "Fehlalarm. Ihr könnt wieder verschwinden.", knurrte er leise und stand auf.

Aus der Dunkelheit kam ein Lachen. "Bist du ihr neuer Bodyguard, oder was? Du bist zwar selber noch nicht lange hier, aber lange genug um zu wissen, wie es hier läuft. Jeder ist auf sich allein gestellt.", zischte die dumpfe, rauchige Stimme mit dem russischen Akzent, zu der ich kein Gesicht erkennen konnte. Die Worte wiederholten sich in meinem Kopf. Jeder ist auf sich allein gestellt. Ich musste erneut schlucken. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass auf dieser Schule etwas ganz und gar nicht stimmte. Irgendetwas stinkte hier bis zum Himmel und ich war mir nicht sicher, ob ich dem auf den Grund gehen wollte, oder es einfach auf mich zukommen lassen.

"Verzieh' dich einfach, Viktor." Die Stimme lachte. "Und was macht sie überhaupt hier?! Saya! Das ist eine Ratte und du stellst dich auf ihre Seite?" Kurz darauf fiel die Tür ins Schloss und das chinesische Mädchen trat aus dem Schatten. Dicht gefolgt von Marcus. Sie stellten sich vor mein Bett, verschränkten die Arme vor der Brust und musterten mich. "Was ist passiert?", fragte das Mädchen neugierig. Ich schüttelte beschwichtigend den Kopf. "Nur ein Alptraum. Plagen mich seit meiner Kindheit, ist nicht weiter schlimm.", log ich, in der Hoffnung sie würde nicht weiter nachharken. Doch genau das tat sie. Wie ein ermittelnder Detektiv lief sie vor mir auf und ab.

Mir wurde alles ein wenig zu viel. Meine Gedanken drifteten ab und mein Hirn stellte sich in den Standby-Modus. Ich bekam nichts um mich herum mit und sah nur noch dieses Bild vor Augen. Dieses eine Bild, das den Vulkan der Angst erneut aufbrodeln ließ. Diese leeren Augen. Die kreidebleiche Haut und das dunkelrote Blut – verteilt auf seinem ganzen Gesicht. Ich erinnerte mich an seine Worte.

Du wirst es bereuen.

Deadly MissionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt