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Kapitel Elf
» Weg mit dem Dreck! «

In dem Moment, in dem mir der metallische Geruch von getrocknetem Blut und von altem Fleisch in die Nase stieg, stellte sich mir die Frage ob das die richtige Entscheidung war. Wollte ich wirklich jegliche menschliche Moral aufgeben, nur um ein Dach über dem Kopf und ein warmes Bett zu haben? War das nicht in irgendeiner Art und Weise egoistisch?

So war ich nicht. Ich war kein egoistischer, unmoralischer Mensch. Im selben Atemzug sah ich ihn wieder vor mir. Das blasse, leblose Gesicht. Das Blut tropfte vom Bordstein und seine Hand hing vom Bürgersteig auf die Straße. Du bist ein Monster, flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf. Es war die Stimme der Vernunft. Die Stimme, die mir seit Tagen klarmachen wollte, dass diese Schule nicht der richtige Ort für mich sei.

Doch ich konnte nicht anders. Ich konnte nicht wieder zurück zu dieser schäbigen Matratze. Zurück zu dem Psycho, der mich vor wenigen Tagen beinahe umbgebracht hätte. Noch immer spürte ich bei jeder kleinsten Kopfbewegung einen unaushaltbaren Schmerz. Trotz der drei angeblichen Schmerztabletten, die ich täglich schlucken musste.

Ich war schwach und hilflos. Nicht einmal den Kopf hätte ich schnell in Richtung meines Angreifers drehen können, ohne daran beinahe zu Grunde zu gehen. Mir blieb also keine andere Wahl als diese Schule. Zwar gab es dort auch an jeder Ecke Gefahren, doch die Chance auf offener Straße den Schädel eingedrückt zu bekommen war deutlich geringer.

Manchmal musste man egoistisch sein, um sich selbst zu schützen. Und genau aus diesem Grund stand ich nun wieder hier, in der prunkvollen Eingangshasse. Über meinem Kopf ein pompöser Kronleuchter, an den Wänden hingen Gemälde, die mit Sicherheit von großem Wert waren und vor mir auf dem Boden erstreckte sich ein langer roter Teppich, der mir den Weg wies. Den Weg in mein neues und hoffentlich besseres Leben.

Endlich konnte ich die Straße und all ihre Gefahren hinter mir lassen und stattdessen stürtzte ich mich kopfüber in einen neuen Kessel voller Gefahr und Angst. Ich erinnerte mich an den psychotischen Blick dieser Emo-Braut. Sie hätte mir auf der Stelle ein Messer in die Brust gerammt, wäre sie mit mir allein gewesen. Ich wagte sogar zu vermuten, dass sie nicht einmal gezögert hätte.

Und obwohl Marcus freundlich wirkte, sah man ihm an, dass er auch sein Päckchen zu tragen hatte. Ein großes Päckchen. Auch er hatte dieses wahnsinnige Funkeln in seinen tiefgrünen Augen, welches mir verriet, dass auch er höchstwahrscheinlich kein Problem damit gehabt hätte mich umzulegen.

Alle hier waren wie tollwütige Rottweiler, die nur auf den entscheidenden Befehl warteten um Zähne fletschend in den Kampf zu ziehen. Und Master Lin war vermutlich der einzige Mensch, der ihnen diesen Befehl erteilen konnte. Mit ihm durfte ich es mir also auf keinen Fall verscherzen, wenn ich hier lebend wieder rauskommen wollte.

"Es freut mich, dass du dich für uns entschieden hast. Du wirst nicht enttäuscht werden, das verspreche ich dir." Master Lin blickte über seine rechte Schulter zu mir nach hinten. Auf den schmalen Lippen lag ein freundliches Lächeln. Kaum zu glauben, dass er Direktor einer Schule für Menschen war, die kaltblütig Leute aus dem Weg räumten. "Das hoffe ich", murmelte ich mehr zu mir selbst als zu ihm.

Marcus steuerte geradewegs auf die erkerartige Auswölbung in der Wand zu, hinter der sich die versteckte Wendeltreppe zu den Schlafsälen und Unterrichtsräumen befand. Master Lin hingegen bog links ab und drückte die Tür zu seinem Büro auf.

Ich folgte ihm in den großen Raum, der eine Mischung aus Wohnzimmer und Büro war. Auf der einen Seite verliehen die kleinen Kerzen und die schönen Gardinen dem Raum etwas Gemütliches. Und auf der anderen Seite gleichten der Schreibtisch, die vielen Ordner und Akten und der große Drucker das Gemütliche wieder ein wenig aus.

Deadly MissionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt