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Kapitel Einundzwanzig
» Unendlich hohe Klippen «

Kälte. Eisige Kälte. Diesmal kam sie jedoch nicht von außen. Sie kam nicht aus der Luft, sondern aus mir. Diese Kälte kam aus meinem Körper. Seit ich den Abzug dieser Waffe gedrückt hatte, breitete sie sich in mir drin aus. Die Außentemperatur lag bei über fünfzehn Grad und dennoch hatte ich Gänsehaut. Es war, als würde ich in mir erfrieren.

Ich konnte an nichts anderes denken. Andauernd sah ich es vor mir. Wieder und wieder. Das Blut an der Wand und der leblose Körper auf dem Boden. Direkt daneben die Waffe, die ich ausgelöst hatte. Ich – eine Mörderin. Immer mehr bekam ich das Gefühl wirklich auf diese Schule zu gehören, was im ersten Moment vielleicht positiv klingen mag, doch das war es nicht. Ganz und gar nicht.

Menschen, die auf diese Schule gehörten waren kaltblütig und skrupellos. Dieser Schule zuzusagen und Master Lin zu versprechen man würde bleiben war, als würde man den Teufel zum Tanz auffordern. Schon bevor ich zugesagt hatte wusste ich, dass es ein Fehler sein würde. Ich wusste es und ging das Angebot dennoch ein.

In den letzten Wochen hatte ich gelernt Menschen zu vergiften. Menschen zu quälen und hinterrücks zu überfallen. Doch das alles war nichts gegen das, was ich heute getan hatte, denn heute hatte ich das Gelernte in die Tat umgesetzt. Ich hatte diese Waffe abgefeuert, als der Mann auf Marcus losgehen wollte. Ohne zu zögern. Und das war fast das Schlimmste an daran. Ich hatte nicht gezögert. Hatte diesem Menschen das Leben genommen, ohne vorher über die Folgen nachzudenken.

Er war ein Mensch mit Familie gewesen. Mit Leuten, die ihn liebten und früher, oder später vermissen würden. Ich war der Grund wieso das letzte Treffen mit seiner Familie das letzte auf ewig gewesen war. Niemand hatte die Chance gehabt sich von ihm zu verabschieden und das alles ging auf meine Kappe.

"Du bist schon wieder so still...", murmelte Marcus leise. Seine Stimme klang wie leise Hintergrundmusik. Sie war da, aber ich achtete nicht darauf. Ich versank lieber immer weiter in diesem tiefen schwarzen Loch voller Selbsthass und Schuldgefühlen, in das ich geschubst worden war, als ich den Abzug betätigte. Jemand verpasste mir nur den leisesten Hauch eines Stoßes und schon verlor ich das Gleichgewicht und fiel. Immer tiefer hinunter in die Dunkelheit.

"Du musst dir keine Gedanken machen. Es war richtig so. Du hast mir das Leben gerettet. Zwei Mal."

Als der Motor des Wagens abgestellt wurde und es plötzlich totenstille war, riss es mich zurück in die Realität. Für einen Moment stand ich zwischen den Welten. Auf der einen Seite riss mich eine unsichtbare Kraft weiter in die Tiefe meiner Gedanken und auf der anderen zerrte Marcus' Stimme an mir, um mich zurück in die Realität zu holen.

"Ich habe jemanden erschossen, Marcus. Es gibt Menschen, die sowas nicht ganz so leicht wegstecken, weißt du?", zischte ich bissig und schaute durch die Windschutzscheibe hinauf in den Nachthimmel, den dunkle Gewitterwolken zierten. Sie schwebten über uns wie ein Omen des Unheils. "Und du denkst ich stecke sowas leichter weg? Du denkst ich könnte ohne schlechtes Gewissen einen Menschen erschießen?"

Schluckend schaute ich zu Marcus. Ich schüttelte schweigend den Kopf. So hatte ich das nicht gemeint und das wollte ich ihm auch sagen, doch aus irgendeinem Grund bekam ich plötzlich keinen Ton mehr aus mir heraus. Als hätte man meine Lippen aneinander geklebt. Die Worte blieben mir im Rachen stecken.

"Auch ich hatte keine Ahnung, um was es auf der Kings wirklich geht, aber es war meine einzige Chance. Diese Schule hat mich verändert. Ich habe Dinge getan, die mich in meinen Träumen verfolgen. Jede Nacht und jeden Tag, sobald ich die Augen schließe. Also nein, ich stecke sowas auch nicht leicht weg. Was du getan hast war notwendig. Du hast mir meinen verdammten Arsch gerettet und gleichzeitig die Aufgabe erfüllt, wegen der wir überhaupt herhekommen sind."

Deadly MissionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt