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Kapitel Zwei
» Der Psycho-Trupp «

Das schweigende Mädchen schob den Vorhang aus dicken Plastikstreifen beiseite. Wortlos folgte ich ihr, was ich wenige Sekunden später bereute. Der Geruch von altem Fleisch und getrocknetem Blut stieg mir in die Nase. Von der Decke hingen diverse Tierkadaver, aufgehängt auf spitzen Haken aus Metall. Ich verzog das Gesicht. Auf einem blutverschmierten Brett lag ein großes Beil und der Boden sah aus wie auf einem Schlachtfeld. Blutverschmiert und dreckig und in der Ecke kroch sogar Schimmel die Wände hoch.

Wo bin ich hier gelandet? Diese Frage brannte mir unter den Nägeln, doch ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass ich keine Antwort bekommen würde. Erst auf den zweiten Blick sah ich die dunklen Schatten am Ende des Raumes. Wir liefen um die Kadaver herum, die ich angewidert musterte. Dieser Laden löste ein mulmiges Gefühl in mir aus. "Das soll sie sein?", zischte eine männliche, tiefe Stimme. Sie klang bedrohlich und genervt. Ich fuhr umher und mein Blick fiel auf den Jungen mit der Sturmfrisur. Verwirrt musterte ich ihn. Das schwarzhaarige Mädchen mit chinesischer Abstammung nickte nur.

"Was ist das hier? Eine Sekte? Ein Clan? Bin ich euer Menschenopfer?" Die Fragen sprudelten aus mir heraus und ich gestikulierte wild mit den Händen. Meine Augen waren weit aufgerissen. Mein Körper bebte wie noch nie. Immer wieder sah ich vor meinem inneren Auge die Bilder dieses Kerls aufflackern, der in seiner eigenen Blutlache lag. Ich schluckte schwer und schüttelte leicht den Kopf. Erst jetzt wurde mir bewusst, was ich getan hatte. Jetzt, wo ich all diese widerlichen Tierkadaver und das Beil sah. Die Polizei hat ihn mit Sicherheit schon gefunden und war nun auf der Suche nach mir.

"Und Master Lin ist sich sicher, dass er sich nicht vertan hat?", zischte die dunkelhaarige Emo-Braut, die ihre Augen zusammenkniff. Sie analysierte jeden Faser meines Körpers. Das Mädchen mit dem Motorrad stellte sich vor mich und verschränkte die Arme vor der Brust und. Der Junge mit dem grünen Irokesen tat es ihr gleich. Alle Augenpaare waren auf mich gerichtet. Mein Blick hingegen fiel auf einen Jungen im Hintergrund.

Dunkelbraune Locken hingen ihm in die Stirn und verdeckten den kleinen Teil einer langen Narbe, die von seiner Stirn, über sein Auge nach unten, bis auf Höhe seiner Nasenspitze zog. Die Iriden seiner Augen hatten beinahe dieselbe Farbe wie seine Pupillen – schwarz – was sein gesamtes Erscheinungsbild noch düsterer und unheimlicher wirken ließ. Seine Nase war beinahe einen Tick zu groß für sein Gesicht mit den scharfen Wangenknochen, die der Traum eines jeden Bildhauers gewesen wären. Ich musterte ihn. Er presste seine vollen Lippen aufeinander, sodass sein auffallend ausgeprägter Amorbogen für einen Moment verschwand. Mit nachdenklichem Gesichtsausdruck zog er die dunklen Augenbrauen in die Stirn.

"Setz dich.", meldete sich der Typ mit dem Irokesen und deutete auf den klapprigen Holzsessel mitten im Raum. Ich hatte ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Genau so fangen die meisten Horrorfilme an. Und diese Filme enden meist in einem Desaster. Menschenopfer und unheimliche Rituale waren nur der Anfang. Doch einen Vorteil hatte dieser ganze Mist – hier war ich vorerst sicher vor der Polizei. Hier zwischen Tierkadavern und diesem merkwürdigen Trupp, blieb mir nichts anderes übrig, außer das Positive an der Sache zu sehen.

Ich setzte mich verwirrt auf den Sessel und sah mich um. Der dunkelhaarige Lockenkopf stand noch immer im Hintergrund und schien mit seinen Gedanken in eine andere Welt abgedriftet zu sein. Er gab keinen Ton von sich und beobachtete die ganze Sache aus sicherer Entfernung, während seine Freunde voll zur Sache gingen. Die Emo-Braut kaute geräuschvoll ihren Kaugummi und stakste langsam um den Stuhl herum, auf dem ich saß.

Die chinesische Motorradfahrerin lehnte am Tisch, wenige Zentimeter entfernt von dem ausgebluteten Kadaver eines Schweins. Der Typ mit der Sturmfrisur knirschte nervös mit den Zähnen und zuckte mit dem Unterkiefer, als wäre er auf Droge. Und der mit dem Irokesen trommelte mit den Fingern auf dem Skateboard herum, das er unter seine linke Achsel gekemmt hatte.

Eine gefühlte Ewigkeit standen sie vor mir und starrten mich schweigend an. Ich wurde langsam nervös und war kurz davor aufzustehen, jedoch wollte ich keine blutige Nase riskieren. Die Emo-Braut sah aus, als könnte sie mir mit einem Schlag meinen Nasenknochen bis ins Hirn hinauf schieben. Und der Junkie mit der Sturmfrisur wirkte auf mich sowieso unberechenbar. Wo bin ich hier nur gelandet und was ist das für ein völlig beschissener Tag? Die Hoffnung, dass alles nur ein Traum war, war noch nicht voll und ganz gestorben. Doch mit jeder zusätzlichen Minute – die ich hier saß – schwand sie mehr und mehr. Bis sie sich schließlich in Luft auflöste. Das hier war kein Traum. Die Blutflecken auf meinen Händen, der Dreck auf meinen Klamotten und diese semi-unheimliche Gang aus Teenagern. Es war alles real.

"Marcus, rede mit ihr." Der Lockenkopf zuckte zusammen, blickte auf und runzelte die Stirn. "Ich? Wieso ich?", zischte er leise und rollte mit den Augen. Die Motorradfahrerin zuckte mit den Achseln und fuchtelte mit ihren Fingern vor meinem Gesicht herum. "Du bist doch auch quasi...ihr kommt doch beide...na du weißt schon." Der Junge lachte auf, sprang von dem Tisch, auf dem er saß, und trat einen Schritt nach vorn. Er schüttelte den Kopf und warf der Schwarzhaarigen einen undeutbaren Blick zu. "Ich weiß genauso viel über sie, wie ihr auch. Wieso soll ich das regeln?" Er kratzte sich an der langen Narbe.

Alle vier Augenpaare waren auf ihn gerichtet, als warteten sie auf etwas. Marcus – das war doch sein Name? – schien nicht überwiegend interessiert zu sein. Dunkle Augenringe zierten sein Gesicht, wie ich jetzt erkennen konnte, nachdem er ins Licht getreten war. Er wirkte müde. Seine Haut war blass und seine Augen milchig. Die Motorradfahrerin trat ebenfalls einen Schritt nach vorn. "Und was sollen wir jetzt mit ihr machen?" Die Emo-Braut kam mit einem unheimlichen Grinsen auf mich zu. "Master Lins Auftrag ist erfüllt, möglicherweise ist es besser auf ihn zu warten.", meldete sich der aufgeschreckte Typ mit dem Irokesen. "Ich bin dafür sie auf das vorzubereiten, was sie auf der Kings erwarten wird..."

"Ich kann euch hören, das ist euch doch bewusst, oder?", zischte ich und musterte die beiden, die direkt vor mir standen. Die Emo-Braut lachte auf und rollte mit den Augen. Sie presste ihre Lippen fest aufeinander. "Frech. Ich kann sie jetzt schon nicht leiden." Mir rutschte ein unabsichtliches Lachen über die Lippen und kniff die Augen zusammen. "Denkst du mich interessiert es, wer mich leiden kann und wer nicht? Höchstwahrscheinlich kannst du sowieso nicht einmal dich selbst leiden.", zischte ich.

In dem Moment packte mich eine Hand an der Schulter und ich spürte etwas eisig Kaltes an meinem Hals. Sofort riss ich die Augen wieder auf und blickte nach unten. Eine Klinge. Diese Verrückte hielt mir eine Klinge an die Kehle. Schweißperlen lösten sich aus meinem Haaransatz und krochen langsam über meine Stirn. "Petra!", zischte das Mädchen mit dem roten Lippenstift. "Na? Ist dir das Lachen vergangen?" Sie drückte das Messer gegen meine Haut und ich sah mein Leben vor meinem inneren Auge vorbeiziehen.

Von der Geburt, über meinen ersten Schultag zu meinem ersten Kuss, bis zu meinem Abschluss der Mittelstufe. Und da wurde der Film meines Lebens unterbrochen. Ich wurde zurück in die Realität katapultiert. Zurück in diesen muffigen Laden, voll mit psychotischen Jugendlichen, die mir augenscheinleich an die Gurgel wollten. Ich blickte direkt in ihre hellbraunen Augen, gezeichnet von Wahnsinn. Etwas sagte mir, dass sie mich ohne zu zögern töten würde.

Wie konnten die restlichen Vier wortlos daneben stehen und ihr dabei zusehen, wie sie kurz davor war jemand Unschuldigen zu töten? Unschuldig. War ich das? Nein. Ich war nicht unschuldig. In keinster Weise. Dieser Mann vor dem Club. Ich war schuld daran, dass er heute das letzte Mal in einem Club war. Dass er heute seinen letzten Drink trank und das letzte Mal in seinem Auto saß. Mein Kopf verdrängte diese Tatsache seit Stunden, doch langsam sickerte die Realität zu mir durch. Wie durch einen feinen Sieb. Stück für Stück wurde mir klar, was ich getan hatte.

Und dann war da noch diese Klinge an meinem Hals, die sich immer weiter in meine Haut bohrte. Ein Schmerz, den ich nicht beschreiben konnte, breitete sich dort aus, wo Petra ihre Klinge in meinen Hals drückte. Ich kniff die Augen zusammen, doch die Tränen pressten mir die Lider wieder auf. Sie quollen mir aus den Augenhöhlen und es gab kein Halten mehr. "Petra, reiß dich zusammen!" Meine Arme und Beine, nein – mein ganzer Körper war wie gelähmt, sodass ich mich nicht wehren konnte. Jemand packte die verrückte Goth-Tussi an den Schultern und riss sie nach hinten. Ich atmete erleichtert auf, als das Messer sich immer weiter von meinem Hals entfernte. Etwas Warmes kitzelte auf meiner Haut und floss langsam über mein Dekoltee. Verwirrt hob ich die Hand, fasste mir an den Hals und blickte nach unten. Ich schluckte schwer. Blut tropfte mir vom Finger.

"Musst du gleich wieder übertreiben?", zischte Marcus, der mich anscheinend vor dieser geistig gestörten Tante gerettet hat.

Plötzlich sprang die kleine Tür hinter ihnen auf.

Deadly MissionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt