Kapitel Dreizehn
» Der Neue «Er war es tatsächlich. Der leichte Dreitagebart und die verbissenen Lippen. Und die Platzwunde am Hinterkopf. Die Blutlache auf dem Boden. Alles sah aus wie in jener Nacht. Ich hielt den Atem an und mir stiegen die Tränen in die Augen. Plötzlich wurde es dunkel. Das Licht ging aus und ich konnte nicht einmal mehr die eigene Hand vorm Gesicht erkennen. Durch diese Finsternis rutschte mir das Herz in die Hose.
Ich wollte schreien, doch wieder einmal bekam ich kein Wort aus mir heraus. Es fühlte sich an, als wäre die Zeit für einen Moment stehengeblieben, bis mich auf einmal etwas am Fußgelenk packte. Ich blickte nach unten und der Mann starrte in meine Richtung. Die blutunterlaufenen Augen hatte er weit aufgerissen. "Das wirst du noch bereuen!", knurrte er drohend. Ich sprang einen Meter zurück und taumelte rückwärts durch die weiße Tür auf den Flur hinaus.
Über mir hingen die Kronleuchter, die die Flure der Schule erhellten und unter meinen Füßen befand sich der lange rote Teppich, mit dem beinahe der gesamte Boden in der Schule ausgekleidet war. Einen Flur weiter konnte ich zwei Mädchen miteinander reden hören. Alles schien beim Alten zu sein. Kein toter Typ auf dem Boden, keine Blutlache. Nichts.
"Wow, alles gut?"
Erschrocken sprang ich auf und drehte mich zur Stimme in meinem Rücken um. Ich hatte diese Stimme noch nie zu zuvor gehört. Nicht in einem der Kurse, nicht aus einem der Zimmer. Ich streifte mir die Bluse zurecht und kratzte mich nachdenklich am Hinterkopf, während ich einen gewissen Sicherheitsabstand zu dem Fremden hielt. "Alles prima..." Schnell wischte ich mir die Augen trocken.
"Das klang nicht ganz so glaubwürdig..." Ich schüttelte den Kopf und machte eine abweisende Handbewegung. Langsam trat ich nach vorne an die Tür zum Treppenhaus, aus der ich getaumelt kam und öffnete diese erneut. Vorsichtig schielte ich durch den schmalen Spalt. Weiter wollte ich sie nicht öffnen. Das Licht brannte und der Betonboden war sauber. "Suchst du was?", fragte mich der unbekannte Junge und ich schüttelte sofort den Kopf. "Nein, alles gut. Ich dachte nur...ich hätte etwas gesehen."
Der Junge nickte leicht und streifte sich eine seiner langen schwarzen Strähnen aus dem Gesicht. "Wir kennen uns noch nicht, ich bin Ash", sagte er und hielt mir seine rechte Hand unter die Nase. Skeptisch musterte ich ihn, bevor ich die Geste erwiderte. "Davina", entgegnete ich lakonisch, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
"Ich...bin neu hier und habe gehofft jemand könnte mich vielleicht etwas herumführen..."
Er schien froh und munter zu sein, kein Anzeichen dafür, dass auch ihm an seinem ersten Tag eine Klinge an die Kehle gehalten wurde. Normalerweise hätte ich in diesem Moment sofort den Kopf geschüttelt und verneint, doch aus irgendeinem Grund konnte ich es nicht. Mein eigener erster Tag war ebenfalls noch nicht lange her und ich konnte mir gut vorstellen, wie verwirrend das alles für ihn sein musste.
Also entschied ich mich dazu meine hilfsbereite Seite ans Steuer zu lassen und nickte freundlich. "Natürlich, warum nicht?" Er schaute mich überrascht an. Scheinbar hatte er mit einer anderen Antwort gerechnet. Ich deutete mit dem Zeigefinger den Flur hinunter und zuckte mit dem Kopf. "Folg mir." Und das tat er auch.
"Du bist also keine Ratte?", fragte ich ihn neugierig. Irgendetwas an ihm kam mir etwas spanisch vor. Wenn er keine Ratte war und sein Vater ihn hierhergeschickt hatte, dann wurde er mit Leuten wie Viktor oder Saya bestimmt schon bekannt gemacht. Wieso fragte er also mich um Rat?
Er kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf und wusste nicht so ganz, was er sagen sollte. "Keine...was?" Ich runzelte die Stirn. Es fiel mir schwer seine Ahnungslosigkeit zu glauben. "Ratte. Du sagtest dein Vater hat dich hierhergeschickt..." Seine Augen wurden groß. Er sah mich an, als hätte er keine Ahnung gehabt wovon ich sprach. "Sagte ich das? Ich meinte Master Lin."
Ich hätte schwören können, dass er vor wenigen Minuten noch etwas anderes behauptet hatte, doch vielleicht hatte ich mich nur getäuscht. Immerhin saß der Schock bei mir noch immer ziemlich tief, auch wenn in diesem Treppenhaus nichts außer Staub und Spinnweben gewesen war.
Nett wie ich war begleitete ich ihn durch das gesamte Schulgebäude und zeigte ihm die wichtigsten Dinge wie Master Lins Büro, die Klassenzimmer und die Bibliothek. Viel mehr gab es auch nicht zu sehen, um ehrlich zu sein. Auf der ganzen Tour stellte sich mir die Frage, wieso er genau mich als seinen Gebäude-Guide ausgewählt hatte. Immerhin gab es hier dutzende Schüler, die schon deutlich länger auf dieser Schule waren als ich.
Als wir auf der unteren Etage ankamen, wo sich links und rechts die Schlafzimmer befanden, warfen uns einige Schüler komische Blicke zu. Viktor stand links an der Wand, schlürfte an dem Strohhalm in seinem Becher und musterte uns beide von oben bis unten.
Kurz danach kehrte er uns den Rücken zu, ging zurück in sein Zimmer und ich hörte leises Getuschel. Ich war mir fast hundertprozentig sicher, dass es dabei um den Fremden und mich ging. Auf dieser Schule verbreiteten sich solche Dinge wie ein Lauffeuer.
Augenverdrehend lief ich weiter und blieb am Ende des Flur stehen. "Du solltest bei Master Lin nach deiner Zimmernummer fragen...die Leute hier sehen es nicht gern, wenn man unangekündigt in ihr Zimmer platzt." Der Junge nickte leicht, streifte sich eine Strähne seiner schwarzen Locken aus dem Gesicht. "Gibt es überhaupt irgendetwas, das man hier machen kann ohne jemanden zu verärgern?"
Er schmunzelte leicht und ich schüttelte lachend den Kopf. "Nein, nicht so wirklich. Du kannst versuchen niemanden direkt in die Augen zu sehen, das könnte vielleicht die einzige Möglichkeit sein niemanden an den Kopf zu stoßen." Er nickte leicht und schaute sich um. "Danke für deine Hilfe..." Ich schüttelte beschwichtigend den Kopf. Er drehte sich mit einem leichten Lächeln von mir weg und lief den Flur hinab. Wahrscheinlich zu Master Lins Büro.
Ich kratzte mich im Nacken, warf einen Blick auf die Uhr und machte mich verwirrt auf den Weg in die Cafeteria, als ich sah, dass ich für mein Mittagessen noch ziemlich gut in der Zeit war. In meinem Kopf ratterte es durchgehend. Tausende Fragen peitschten auf mich ein.
"Alles gut bei dir?" Erschrocken blickte ich auf. Marcus und Billy saßen vor mir an einem der Tische und warfen mir verwirrte Blicke zu. Ich nickte. "Ich denke schon. Habt ihr etwas von einem neuen Schüler mitbekommen?", fragte ich neugierig und setzte mich neben Billy an den Tisch.
Beiden schauten sich gegenseitig fragend an und schüttelten im selben Atemzug den Kopf. "Nicht das ich wüsste. Wieso? Hast du jemanden gesehen?" Ich nickte leicht und lehnte mich nach vorne auf den Tisch. "Als ich aus dem Treppenhaus kam...er stand plötzlich hinter mir und wollte, dass ich ihm die Schule zeige. Und er scheint keiner von uns zu sein..."
Marcus runzelte die Stirn. Er lehnte sich ebenfalls nach vorne, um leiser reden zu können. "Was? Wieso hat er dann dich gefragt? Und woher weißt du, dass er keiner von uns ist?" Ich zuckte mit den Achseln. "Er meinte sein Vater hätte ihn auf diese Schule geschickt und als ich ihn fragte, ob er zu uns gehört, hat er nur verwirrt den Kopf geschüttelt."
Wieder warfen sich die beide bedeutungsvolle Blicke zu. "Das ist kein gutes Zeichen...", murmelte Billy leise. Marcus nickte leicht und ich saß ahnungslos daneben, während mein Blick immer wieder zwischen den beiden hin und her sprang. "Warum das?" Beide zuckten mit den Achseln.
Marcus streifte sich die Haare nach hinten und schob sich die Ärmel seines Sweatshirts nach vorne. "Keine Ahnung...normalerweise wird ein neuer Schüler angekündigt. Wie bei dir, an dem Tag, an dem Master Lin sich dazu entschieden hatte dich zu uns zu holen, wussten schon alle, dass jemand Neues kommen wird. Aber jemand, der einfach so auftaucht, das war noch nie ein gutes Zeichen..." Billy kratzte sich an der Schläfe.
"Vor allem, wenn er keiner von uns ist, was ist er dann?" Wir zuckten alle drei im selben Moment mit den Achseln. Ich hatte ein ungutes Gefühl, was diesen Neuen anging. Irgendetwas war hier im Busch und ich wusste nicht, ob ich herausfinden wollte was es war. Vielleicht wäre es sogar besser gewesen sich nicht einzumischen, doch meine Neugier war zu groß.
"Wir sollten ihn im Auge behalten...", murmelte ich leise und Marcus schüttelte den Kopf. "Wenn du keinen Ärger haben willst, dann halt dich lieber raus. Keiner hier sieht es gern, wenn eine Ratte sich in Angelegenheiten einmischt, die sie eigentlich nichts angehen." Billy nickte zustimmend, bevor er mir einen eindringlichen Blick zuwarf.
Tief im Inneren wusste ich, dass er recht hatten...
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Deadly Mission
FanfictionDas Verschwinden ihrer kleinen Schwester wirft Davina voll und ganz aus der Bahn. Vollgepumpt mit Alkohol und Drogen begeht sie eines Nachts den größten Fehler ihres Lebens.. Doch genau dieser Fehler erweckt das Interesse von Master Lin, der Direk...