Ich sehe Rory nun mit ganz anderen Augen. Der große, grimmige Mann, der eher verschlossen ist und so einsam lebt, hat tiefen Schmerz erlebt und versucht, diesen so gut es geht zu unterdrücken und zu verdrängen. Jeder im Dorf kennt seine Geschichte und respektiert ihn, sie verstehen aber auch das er lieber alleine ist.
Ich kann es einfach nicht verstehen, wie jemand seinem Kind so etwas antun kann. So ich das verstanden habe war es nur einmal und als sein Vater betrunken ist, doch das entschuldigt das Verhalten nicht. Niemand hat seine Kinder oder einen anderen Menschen zu misshandeln.Die Tage vergehen und ich falle abends immer todmüde ins Bett. Die Vormittage am Gemüsebeet und Nachmittags im Pub zu arbeiten schlaucht mich immer noch sehr.
Die Agentur aus Edinburgh hatte sich gemeldet. Die britische Staatsangehörigkeit zu beantragen wäre das Einfachste und sollte ich jetzt so schnell wie möglich machen, denn noch ist Großbritannien Mitglied der EU und damit gäbe es kein Problem mit einer doppelten Staatsangehörigkeit.
Den Preis fand ich auch angemessen und so gab ich den Auftrag in die Wege, alles zu erledigen. Wenn das durch ist, würde ich mich endgültig in Deutschland abmelden. Rory hatte zugestimmt, erstmal seine Adresse für den Antrag anzugeben, bis ich eine eigene Wohnung gefunden hatte.Langsam wird es immer kühler und kühler in Schottland. Der Herbst nähert sich und die Bäume verfärben sich in alle möglichen Rottöne. Ich liebe den Herbst, diesen Wandel den die Natur vollzieht und den Wechsel zwischen warmen und kalten Temperaturen.
Die Agentur meinte, ich könnte ruhig für ein paar Tage nach Deutschland fliegen, da ich einige Sachen holen wollte und so sitze ich nun auf meinem Bett und klicke mich durch die Flugpreise von Edinburgh nach Deutschland aus.„Hm. Den Sonntag könnten Tim oder ich dich abholen. Einer von uns hat da frei". Leyla habe ich auf Lautsprecher gestellt und das Handy liegt auf meiner Matratze neben meinem Laptop. Ich würde bei ihr und Tim unterkommen, solange ich in Deutschland bin und meine Sachen aus meiner alten Wohnung holen würde.
„So schlimm wäre es ja nicht, ich könnte auch mit der S-Bahn fahren. Ich reise ja nur mit Handgepäck".
Ich höre Leyla im Hintergrund mit Töpfen hantieren. Sie muss in der Küche stehen und kochen.„Ich kann mir da bestimmt was freischaufeln. Hat ja auch Vorteile, selbständig zu sein", höre ich Tim sagen und ich lächle. Was bin ich froh, die Beiden vor zig Jahren mal verkuppelt zu haben.
„Alles gut, macht euch keinen Stress!", sage ich und lege die Flugbuchung in den Warenkorb. „Muss eh Fred anrufen ob er dabei sein will oder ob er mir da vertraut mit den Sachen".
Leyla schnaubt. „Ich komme mit, der kann was erleben wenn er Stunk macht".Parallel rufe ich mir die Spedition auf, die meine Sachen transportieren und für den Übergang lagern würde. Natürlich ist die Lagerung nicht umsonst, aber ich würde bestimmt nicht meine Sachen in Deutschland lassen, die ich gekauft hatte. Es sei denn, Fred würde sie mir abkaufen.
„Gut. Ich buche den Flug", sage ich und klicke mich durch die Buchungsschritte, bis ich die Buchungsbestätigung per E-Mail bekommen habe.„Sehr schön. Hast du Fred schon angerufen?". Seufzend fahre ich mir durchs Haar. „Nein, noch nicht. Wollte ich aber jetzt machen".
„Meld dich danach!".
Ich lege auf und scrolle mit zitternden Fingern zu Freds Namen durch. Das obligatorische ‚Schatz <3' hatte ich bereits vor Wochen abgeändert und zu Freds vollem Namen umgewandelt.
Frederik Schnieder.Ich drücke auf den Wählbutton und warte. Es klingelt. Und klingelt. Und klingelt. Er hatte noch nie viel auf eine Mailbox gegeben und gefühlt nach einer Ewigkeit, hebt er ab.
Ich höre ihn am anderen Ende der Leitung atmen, er sagt aber nichts.
„Hi Fred", sage ich mit zitternder Stimme und höre das scharfe Einatmen, als er meine Stimme hört.„Wie geht es dir?", frage ich und weiß selber, wie lahm meine Frage ist. Ein Schnauben. „Du fragst mich ernsthaft, wie es mir geht? Das hat dich die letzten Wochen nicht interessiert".
Ich seufze lange. „Ich weiß. Und es tut mir leid, wirklich". Fred sagt nichts. „Ich würde am Sonntag nach Deutschland fliegen und möchte meine Sachen abholen. Geht das in Ordnung?", frage ich und warte, bis er antwortet. Ich will ihn nicht bedrängen.„Das heißt also, das es mit uns vorbei ist?". Ich möchte den Mund öffnen und etwas sagen, schaffe es aber nicht. Ich schaffe es nicht, zu lügnen .
„Hab es schon geahnt. Was willst du denn abholen, alles was du bezahlt hast?". Er klingt resigniert und kühl. „Ich nehme dir nicht von jetzt auf gleich deine Küche weg. Oder das Sofa. Vielleicht können wir uns da einigen, dass du mir das abkaufst. Natürlich haben die nicht mehr den Wert wie damals beim Kauf, das weiß ich auch. Ich würde gerne meine Klamotten und dein paar persönliche Gegenstände abholen. Ich habe bereits eine Spedition bestellt, die die Sachen abholen wird sobald alles gepackt ist".Leyla würde Gott sei Dank einige Umzugskartons holen. „In Ordnung. Ich lasse dich dann die Tage aus dem Mietvertrag streichen, glaube du musst da bestimmt was unterzeichnen".
„Denke auch. Du bekommst natürlich die Schlüssel dann, sobald ich weg bin. Wenn alles gut läuft, kommt die Spedition am vorletzten Tag, wo ich noch da bin".
Ich spiele mit den Fransen meiner Tagesdecke, die ich auf meinem Bett liegen habe. „Möchtest du dabei sein wenn ich packe oder vertraust du mir da?".Fred schnaubt verärgert. „Natürlich vertraue ich dir da. Den Sonntag bin ich da, aber die anderen Tage muss ich arbeiten".
Ich seufze erleichtert. Ich hatte befürchtet, dass er komplett ausrastet und mich beschimpft, weil ich gefragt habe. „Gut. Ich melde mich nochmal, welche Uhrzeit ich ungefähr ankommen werde".
„In Ordnung. Entschuldige mich bitte, aber ich muss jetzt erstmal einiges verdauen".
„Natürlich Fred, entschuldige. Bis Sonntag".Er legt einfach auf. Ein riesiger Felsbrocken purzelt von meinem Herz und ich falle seufzend in meine Kissen. Ein riesiger Damm von Emotionen bricht mit einem Mal und weinend bleibe ich liegen. Ein Zittern erfasst mich und eine Gänsehaut jagt über meinen Körper.
So erleichtert war ich schon seit Langem nicht mehr. Ich hatte kaum geahnt, wie schwer mein Gewissen auf mir lastet, aber reinen Tisch eingeschenkt zu haben, bringt mich zum Lächeln.Nach einigen Minuten versiegen meine Tränen und ich setze mich langsam auf. Wische die Nässe von meinen Wangen und aus meinen Augenwinkeln und atme tief durch.
Mein neues Leben kann beginnen.
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A scottish Love
RomantikCornelia "Lia" hat ihr Leben satt. Hals über Kopf lässt sie ihr Leben in Köln stehen und liegen und flüchtet. Flüchtet nach Schottland, wo sie als Kind immer mit ihren Eltern ihren Urlaub verbracht hat. Mallaig, den kleinen Ort in den Highlands und...