„Meine Eltern sind tot", murmle ich und eine unheimliche Stille breitet sich in der Küche aus. Selbst die sonstigen Tiergeräusche von draußen sind verstummt.
„Das tut mir leid, das wusste ich nicht", flüstert er und seine große, breite Hand legt sich auf meine. Ich spüre die Tränen, die meine Wangen hinunter kullern und ich schaue mit zusammengepressten Lippen zu ihm auf.„Wie denn auch", sage ich und versuche zu lächeln. Ich wische mir mit der freien Hand die Tränen weg und ziehe schniefend die Nase hoch. Völlig undamenhaft, aber egal.
Rorys Kiefermuskeln zucken. „Was ist passiert?", fragt er und ich schaue aus dem Fenster. „Es war ein Feuer. Ich hatte bei einer Schulfreundin übernachtet, als es ausbrach. Ein Kurzschluss an einem uralten Toaster. Sie sind noch im Schlafzimmer an dem Rauch erstickt".Rory schaudert leicht und rückt mit seinem Stuhl näher heran. Ohne abzuwarten schlingt er seine kräftigen Arme um mich und drückt mich an seine Brust. Weinend vergrabe ich mein Gesicht in seinem Hemd, spüre deutlich wie der Stoff unter meinem Gesicht nasser und nasser wird.
Beruhigend streicht seine Hand über meinen Hinterkopf und ich versuche, tief einzuatmen und mich zu beruhigen.„Geht es wieder?", fragt er nach einer Weile und ich hebe schniefend den Kopf. „Ja. Danke". Sanft lässt er mich wieder los und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht. Beinahe zärtlich legt er sie hinter meinem Ohr ab und streicht danach die Tränen von meinen Wangen.
„Sorry. Ich glaube, ich habe schon lange nicht mehr darüber geredet". Ich versuche, ein Lächeln aufzusetzen und schaue zu ihm auf.„Darf ich fragen, wo du ...?". Er rückt wieder etwas von mir ab und greift hinter sich, wo er den Wasserkocher anstellt. Vermutlich, um mir einen Tee zu kochen.
„Bei meiner Oma. Sie hat mich sofort aufgenommen und war meine einzig noch lebende Verwandte". Rory hebt eine Augenbraue. „War?".
Ich nicke und er presst schweigend die Lippen aufeinander.Ich klopfe mir auf die Oberschenkel und versuche, das Zittern meines Körpers zu unterdrücken. „So. Können wir das Thema wechseln? Sonst heule ich nur noch hier rum", meine ich und Rory lächelt sanft.
„Okay. Was möchtest du denn wissen?", fragt er stattdessen und kippt in eine Tasse das kochende Wasser mit dem Teeaufguss zusammen.„Hm. Am liebsten alles. Wer ist dieser Einsiedler, der meist grimmig herumläuft und nie ins Dorf geht?", frage ich mit neckischem Unterton und er streckt mir die Zunge heraus. Das erste Mal, dass ich ihn überhaupt so erlebe. Er wirkt richtig jung, wenn er so gelöst ist.
Er reicht mir die Tasse und räumt dann den Tisch mit dem dreckigen Geschirr ab.„Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Auch auf diesem Hof. Meine Eltern hatten allerdings einen viel größeren Hof wie ich jetzt". Gründlich aber schnell spült er die Teller ab.
„Ich habe einen großen Bruder. Jules ist sein Name".
„Jules? Wie Jules Verne?". Er nickt und ich bemerke, dass seine Schultern vor Lachen zucken. „Er mochte den Namen als Kind nie. Hat sich aber schnell dran gewöhnt. Meine Mutter hatte den Namen ausgesucht, wohingegen mein Vater mir einen typischen, schottischen Namen verpasst hat".Routiniert trocknet er alles ab und stellt es zurück in die Schränke. „Meine Mutter kam aus demselben Grund wie du nach Schottland. War rastlos und wollte Abstand gewinnen. Damals natürlich noch schwieriger wie heute, aber sie hat es geschafft. Und ist der Liebe wegen geblieben".
Hm. Ich trinke schnell einen Schluck Tee, um die verräterische Röte zu verbergen, die sich auf meine Wangen schleicht und senke den Blick ein wenig.„Zuerst kam Jules, er ist fast drei Jahre älter wie ich. Und dann kam ich. Damals hatte mein Vater neben Schafen noch Rindvieh und Schweine. Es ging ihnen sehr gut".
Gedankenverloren lehnt er an der Theke und schaut aus dem Fenster in die dunkle Nacht hinaus. „Dann wurde meine Mutter krank. Brustkrebs. An sich gut heilbar, aber man hat es zu spät bemerkt. Sie starb, als ich 14 Jahre alt war".Mir schießen die Tränen in die Augen und schniefe. Rory greift nach einem Taschentuch und reicht es mir. Er weint nicht, aber vielleicht hat er den Tod seiner Mutter auch anders überwunden.
„Das tut mir leid", flüstere ich und er presst die Lippen aufeinander. „Es kam zu plötzlich. Mein Bruder und ich hatten von jetzt auf gleich den Hof schmeißen müssen, weil mein Vater wochenlang sein Zimmer nicht verlassen hatte. Aus Trauer hat er das Trinken angefangen".Oh scheiße. Langsam krempelt Rory den Ärmel seines rechten Armes hoch und zeigt mir kleine, rundliche Narben. Brandnarben von Zigaretten.
„Es ist nur einmal passiert. Jules hatte mich sofort weggeholt und wir sind bei Ealasaid und ihrer Familie untergekommen. Mein Vater hat eine Anzeige wegen Kindesmisshandlung erhalten und musste wegziehen. Jules ist in dem Jahr 18 geworden und mein Vormund. Wir haben den Hof übernommen, mussten allerdings die Rinder und die Schweine verkaufen und die Ställe umbauen. Es gab zu viele Baustellen, die unser Vater während Mutters Krankheit vernachlässigt hatte".Langsam kommt er zum Tisch und setzt sich. Auf dem Tisch liegen noch einige Krümel, die er langsam und gedankenverloren zusammenschiebt. Immer und immer wieder.
„Das Dorf hat uns gut geholfen. Alle haben mit angepackt oder haben uns Nebenjobs gegeben, damit wir den Hof halten konnten. Als ich 18 wurde und damit Jules nicht mehr mein Vormund war, wollten wir unseren Vater nochmal aufsuchen. Wir hatten gehört, dass er sich in eine Therapie begeben hätte, um seiner Alkoholsucht entgegen zu wirken".Jetzt bemerke ich Tränen in seinen Augenwinkeln. „Allerdings mussten wir feststellen, dass er 1 Tag zuvor an einem Autounfall verstorben ist. Nur die Lebensversicherung, die er zwei Jahre zuvor abgeschlossen hatte, rettete den Hof".
Ich kann nicht an mir halten und weine einfach stumm vor mich hin. Mein Herz fühlt sich an, als ob es von innen heraus zerrissen wird, so sehr leide ich gerade mit ihm mit.„Wir haben alle Schulden des Hofes beglichen. Jules lernte eine Frau kennen, eine Architektin aus den USA. Dort lebt er jetzt mit seiner Familie, hat dort einen eigenen Hof und schickt mir ab und an Geld herüber, wenn es bei mir etwas knapper wird. Weil vielleicht der Wollverkauf nicht so gut läuft oder ich etwas reparieren lassen muss".
Schnell, in der Hoffnung wahrscheinlich das ich seine Tränen nicht bemerkt habe, wischt er sie weg und greift in seine Hosentasche nach seiner Geldbörse.Er holt ein kleines Foto hervor, wo ich zwei kleine Kinder darauf erkennen kann, einen Jungen und ein Mädchen. „Das sind mein Neffe und meine Nichte, Ben und Lisa. 5 und 3 Jahre alt".
Lächelnd nehme ich das Foto entgegen. Ich kann die Familienähnlichkeit erkennen, dasselbe kantige Kinn und die roten Locken.
Er reicht mir ein weiteres Foto, welches seinen Bruder mit seiner Frau zeigt. Hier sehe ich die Familienähnlichkeit noch deutlicher, sogar die gleiche Augenform haben sie.„Wir sehen unserem Vater sehr ähnlich", erzählt er mir und nimmt die Fotos vorsichtig zurück. Wie ein kleines Heiligtum.
„Ich sehe sie, so oft es geht. Meistens besuchen sie mich, da sie Angestellte für den Hof haben und die sich um alles in ihrer Abwesenheit kümmern. Das ist hier etwas schwierig".
Rorys Augen flimmern und es scheint, als ob er wieder in der Gegenwart angekommen ist. „Wie alt bist du eigentlich?", frage ich, erstaunt darüber das ich es bis jetzt nicht wusste.„29". Oh. Damit hätte ich nicht gerechnet, er ist nur etwas älter wie ich. „Dann hast du ja nächstes Jahr dein Rathausfegen", sage ich grinsend und er verdreht die Augen. „Wie gut, dass diese Tradition hier kaum einer kennt", meint er zwinkernd und ich lächle. Na das werden wir ja noch sehen.
„Ich würde gerne schlafen gehen. Bis morgen", sagt er flüsternd und erhebt sich. Ich schaue ihm nach, wie er in Richtung Flur geht und lächle, als er sich nochmal umdreht.
„Schlaf gut", flüstert er mir zu und lächelt zurück. „Du auch!".
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A scottish Love
RomansaCornelia "Lia" hat ihr Leben satt. Hals über Kopf lässt sie ihr Leben in Köln stehen und liegen und flüchtet. Flüchtet nach Schottland, wo sie als Kind immer mit ihren Eltern ihren Urlaub verbracht hat. Mallaig, den kleinen Ort in den Highlands und...