Kapitel 4

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Die Tage verschwimmen ineinander. Vormittags arbeite ich wie verabredet im Gemüsebeet, Rory ist meistens auf dem Hof unterwegs und führt Reparaturarbeiten aus. Morgens ist er in der Regel bei seinen Schafen draußen auf der Weide und taucht erst gegen zehn Uhr auf.
Die ersten Tage konnte ich mich kaum bewegen vor Muskelkater, ich war die körperliche Anstrengung einfach nicht gewohnt. Das Arbeiten in der Werbeagentur hatte mich mental verausgabt, jetzt bin ich körperlich am Ende. Ich schaffe es nie, länger wie acht Uhr abends auf den Beinen zu bleiben und schlafe meist zwölf Stunden durch.

Heute ist es Samstag und ich habe frei. In der Küche bereite ich mein Lunchpaket vor, denn ich möchte heute ein wenig wandern gehen. In meine Thermoskanne, die ich in einem Kiosk in Mallaig erworben habe, fülle ich heißen Kakao ein.
Eine Wanderroute führt ein wenig an der Küste entlang, bevor sie ins Hinterland abzweigt und dann wieder nach Mallaig zurück.

Ich höre, wie Rory die Treppe zum Garten hinauf stapft und die Terrassentür öffnet. "Guten Morgen", murmelt er und schüttet sich etwas Kaffee ein, den ich eben frisch aufgebrüht habe.
"Guten Morgen. Ich werde gleich ein wenig wandern gehen. Nur, damit Sie Bescheid wissen". Er nickt bloß, setzt sich an seinen Küchentisch und vertieft sich in seine Zeitung.

Ich schnüre meinen Rucksack zu und gehe nach vorne, wo ich meine Schuhe stehen habe. Gott sei Dank habe ich beim Packen an meine dicken Wanderschuhe gedacht.
Ich ziehe die Tür hinter mir zu, ohne auf Wiedersehen zu sagen und orientiere mich kurz, in welche Richtung ich laut Karte los wandern muss. Dann gehe ich los. Mein Handy habe ich extra zuhause gelassen und nur meine Kamera eingepackt.

Gefühlt eine Ewigkeit laufe ich durch die wunderschöne schottische Landschaft. Das satte Grün, welches sich so weit das Auge gucken kann erstreckt, ragt rechts und links von mir kilometerweit den Horizont entlang.
Die frische Luft dringt mir in die Nase und ich merke mit jedem Schritt, den ich tue, wie ruhig ich werde. Kein Herzrasen mehr, wie ich es sonst hatte nur weil ich mich auf den Weg zur Arbeit gemacht habe. Keine Schnappatmungen und Panikattacken, die mich nachts wach gehalten haben. Die Energielosigkeit, die mich öfters eingeholt hatte, ist wie weggeblasen.

Ein altes Lied von Olof Thunman, welches ich auf den Wanderungen mit meinen Eltern früher ständig gesungen hatte, fällt mir wieder ein. Auch wenn es einige Zeit gab, in der das Lied von Kreisen unserer grauenhaften Geschichte gesungen wurde, so verbinde ich doch Kindheitserinnerungen mit dem Lied.
Im Frühtau zu Berge wir gehn, vallera, es grünen die Wälder, die Höhn, vallera. Wir wandern ohne Sorgen und singen in den Morgen noch ehe im Tale die Hähne krähn.
Ihr alten und hochweisen Leut, vallera, ihr denkt wohl, wir sind nicht gescheit, vallera! Wer sollte aber singen, wenn wir schon Grillen fingen in dieser herrlichen Frühlingszeit!
Werft ab alle Sorgen und Qual, vallera, und wandert mit uns aus dem Tal, vallera! Wir sind hinausgegangen, den Sonnenschein zu fangen: Kommt mit und versucht es doch selbst einmal!

Fröhlich trällernd wandere ich weiter und entdecke bald einen passenden Platz, wo ich mein vorbereitetes Picknick ausbreite und mich genüsslich auf meine Decke lege.
Es muss so Mittags sein, die Sonne steht relativ hoch am Himmel. Die Strahlen kitzeln mich im Gesicht und erwärmen mich. Ich esse langsam und in völliger Stille umhüllt die Hälfte meines Proviants auf und trinke meinen Kakao. Die Kanne erwärmt meine Hände ein wenig und ich wundere mich kaum, dass es in Schottland trotz Sommers eher kühl ist.

Ich höre ein Rascheln zu meiner Rechten und entdecke ein Schottisches Moorschneehuhn, welches ohne mich aus den Augen zu lassen durch das Gehölz streift. Auf meinem Weg war ich an Hochlandrindern vorbeigekommen, ein Rotmilan hatte mich überflogen und natürlich jede Menge Schafherden. Ich erkenne gerade die verschiedenen Vogelarten immer noch, mein Vater hatte auf unseren zahlreichen Wanderungen früher mit großer Leidenschaft alle beobachtet und uns erklärt.

A scottish LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt