Kapitel 1

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Summend sitze ich noch immer hinter meinem Lenkrad und steuere meinen Corsa über die Autobahn. Ich hatte vor fast einer Stunde die Grenze (das war sie ja nicht wirklich) zu Schottland passiert und habe laut Navi noch weitere vier Stunden vor mir.

Fred hatte nicht mehr angerufen. Meine Botschaft war recht deutlich gewesen und er war nicht der Mensch, der viel trauerte oder diskutierte. Ausnahmsweise schätzte ich das gerade sehr. Meiner besten Freundin Leyla hatte ich bereits gestern Abend geschrieben. Überrascht war sie nicht gewesen und sie wollte es mir auch nicht ausreden.
Meld dich, wenn du es für richtig hältst. Und wenn du sicher angekommen bist, sonst mache ich mir Sorgen!". Und dafür war ich auch ihr sehr dankbar. Sie hatte sofort verstanden, dass ich jetzt Zeit für mich brauche.

Ich passiere Glasgow, ohne anzuhalten. Halte mich immer schön auf der Autobahn, ohne viel nach rechts und links zu schauen und fahre irgendwann auf eine A road. Den Linksverkehr hatte ich bereits nach einer Stunde drin und fädelte mich überall ohne Probleme ein. Ich will einfach ankommen, mein Ziel nicht aus den Augen verlieren und möglicherweise doch wieder nachdenken. Ob es richtig ist, was ich hier tue.

Doch irgendwann meldet sich meine Blase. Also halte ich in einem kleinen Örtchen nach einem Restaurant Ausschau, finde aber nur ein Café. Ich parke meinen Wagen und bemerke sofort die Blicke, die mir zugeworfen werden. Es ist ungewöhnlich, dass hier ein Auto mit Lenkrad auf der linken Seite auftaucht, immerhin befinde ich mich schon nahe den Highlands.

Ich betrete das Café und steuere auf die Theke zu, wo eine junge Frau gerade Tassen poliert oder abtrocknet, genau kann ich es nicht erkennen.
„Entschuldigung. Ich suche die Toilette", versuche ich es mit meinem eingerosteten Englisch und die junge Frau dreht sich zu mir mit hochgezogenen Augenbrauen um.
„50 Pence", sagt sie und deutet auf ein Schild, welches die Kosten für nur Toilettengänger ausweist. Siedend heiß läuft es mir den Rücken herunter, ich habe total vergessen meine Euros einzutauschen!

„Verdammt", fluche ich leise auf Deutsch und fahre mir durch die Haare. „Akzeptiert ihr auch Euros? Ich habe vergessen, zu tauschen".
Die Frau schüttelt den Kopf, deutet dann aber durch das Fenster. „Du kannst dort tauschen", sagt sie und dankend nicke ich ihr zu.

Das es sich hier um einen Kiosk handelt, wo ich tauschen kann, verwundert mich. Hinter dieser Theke sitzt auf einem Barhocker ein ebenfalls junger Engländer, seine schwarzen Dreadlocks reichen bis über die Ränder des Hockers hinaus.
„Latha Math!", sagt er und lächelt breit. An seiner Lippe trägt er ein Piercing, ebenso wie an der Augenbraue. Die bunten Klamotten hängen lässig an ihm herab, sie scheinen einige Nummern zu groß zu sein.

Ich weiß noch, dass ‚Latha math' Guten Tag auf gälisch heißt und nicke lächelnd zurück. „La'a ma", sage ich und der Mann grinst breiter. „Kimmer a ha schiiw?".
Okay, jetzt verlässt mich mein Gälisch. „Entschuldigung, ich bin Deutsche und spreche kaum Gälisch", stottere ich auf Englisch hinaus und der Mann lacht.
„Ach so, sag das doch gleich!". Grinsend steht er auf und erstaunt stelle ich fest, dass er ganz schön groß ist. Ich lege den Kopf etwas in den Nacken.

„Ich bin Alai. Und du bist?". Ich lächle nun ebenfalls. „Lia!". „Willkommen in Schottland Lia. Was verschlägt dich denn hierher?".
„Ich brauche mal eine Auszeit. Und ich war früher fast jedes Jahr hier, verbinde nur schöne Erinnerungen mit Schottland".
Wieso in Gottes Namen erzähle ich ihm das? Es geht ihn eigentlich nichts an, was ich hier mache. Aber ich habe sofort ein gutes Gefühl bei ihm.

„Ah schön. Was kann ich für dich tun?", fragt Alai dann und ich deute auf das Café. „Die junge Frau hat mich hierher geschickt, weil ich vergessen habe Euros einzutauschen. Und ich muss dringend auf die Toilette".
Alai verdreht die Augen. „Nimm es Aignéis nicht übel, sie ist immer etwas skeptischer gegenüber Fremden".
Er deutet auf den Flur hinter sich. „Du kannst auch gerne hier auf Toilette gehen, brauchst dafür auch nichts zahlen".

Als ich alles erledigt habe, tausche ich bei Alai meine Euros gegen Pfund um. „Sind das die schottischen Pfund?", frage ich und stolz nickt er. „Wenn schon, dann auch das richtige Geld", meint er und wackelt mit den Augenbrauen, bis ich lachen muss.

„Also. Darf ich fragen, wo du hinmöchtest?". Lässig stützt er sich mit den Ellbogen auf seinem Tresen ab. „Ich möchte nach Mallaig hoch. Wo genau bin ich momentan eigentlich?", frage ich und schaue mich in seinem Kiosk nach einer Postkarte oder so um.
„In Inverarnan. Hast noch ein weites Stück vor dir. Willst du heute noch ankommen?".

Ich nicke. „Das wäre schön oder zumindest mein Wunsch. Vielleicht muss ich vorher auch anhalten und irgendwo übernachten".
Alai schüttelt den Kopf. „Brauchst du nicht. Trink einfach ein, zwei Kaffee unterwegs und du bist in Nullkomma nichts da".
Ich lächle. „Okay. Danke nochmal!". Grinsend streckt er mir seine Hand entgegen, die ich mit einem Schütteln erwidere.
„Mach's gut und komm heile an. Und ärgere dich nicht zu sehr mit denen da oben herum, die sind noch grummeliger wie unsere Aignéis hier".

Ich winke zum Abschied und überquere wieder die Straße, um in meinen Corsa zu steigen, noch kurz zu tanken und loszufahren. Grüne Wälder erstrecken sich rechts und links von mir, immer wieder unterbrochen von riesigen Weiden mit Schafen. Süße schwarzbeinige Schafe, die Lämmer haben sogar weiße Flecken auf ihren Beinen. Ich muss mich unbedingt informieren, was das für eine Rasse ist.

Nach und nach lichten sich die Wälder und riesige Hügel erklimmen sich einen Weg zum Himmel. Überzogen von grünen Pflanzen wachsen sie immer weiter und weiter, bis ich mich irgendwann mitten in ihnen befinde. Umgeben von majestätischer Natur fahre ich mit heruntergelassenem Fenster durch die Highlands, beobachte amüsiert die Highland Rinder, die an den Straßenrändern auf Weiden friedlich grasen. Sehe die kleinen süßen Kälber mit ihren Minihörnern.

Ich passiere Fort William, wo ich mich als Kind immer gefragt habe wo das uralte Gefängnis stehen soll. Halte mich immer weiter auf der Landstraße, passiere Glennfinnan mit dem weltberühmten Viadukt. Zumindest weltberühmt, wenn man Harry Potter Fan ist und die Szene aus ‚die Kammer des Schreckens' liebt, wo Harry und Ron beinahe vom Hogwartsexpress in dem Auto überfahren werden. Halte mich immer weiter an Seen und Küstenstraßen, bis ich bald das Schild sehen kann ... Mallaig. Ich habe es geschafft.

A scottish LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt