Kapitel 15

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Es ist ungewohnt, wieder in Deutschland zu sein. Als Erstes fällt mir die Lautstärke auf, die ich vernehme, als ich aus dem Flughafengebäude in Köln trete. Die Autobahn direkt am Flughafen verursacht so eine enorme Lautstärke, dass ich unbewusst zusammenzucke. Die Wochen in Schottland hatte ich mich so an die Stille und Ruhe gewöhnt, dass ich mir wie in New York vorkomme.

Leyla und Tim stehen mit ihrem Wagen im Kurzparkerbereich und winken hektisch, als sie mich sehen. Ich renne förmlich mit meinem kleinen Handgepäckskoffer in der Hand auf sie zu und schließe beide gleichzeitig in meine Arme.
Der vertraute Duft, den Leyla verströmt, schießt mir in die Nase und ich fange sofort an zu weinen. Gott bin ich in letzter Zeit nah an Wasser gebaut.

"Gott hab ich dich vermisst", quiekt sie und ich bemerke auch Tränen in ihren Augen. Sie trägt ihr langes, glattes Haar zu einem Zopf zusammen und ist dick eingemummelt in ihren Wintermantel, obwohl wir zehn Grad haben.
"Hört auf zu heulen, sonst heule ich gleich mit". Tim grinst mich breit an und klopft mir auf die Schulter. Ich schneide ihm eine Grimasse und überlasse ihm meinen Koffer, den er in ihren Kofferraum hebt.

Wir steigen ein und Tim schleust sich in die Menge von Taxen ein, die auf das Gebäude zusteuern. Die gesamte Fahrt über muss ich berichten und alles bis ins kleinste Detail beschreiben. Insbesondere das Leben auf dem Hof, Tim ist ebenfalls auf einem aufgewachsen.
"Wann können wir dich eigentlich mal besuchen?", fragt Leyla, als wir in die Straße zu meiner alten Wohnung abbiegen und ich zucke mit den Schultern. "Noch habe ich keine eigene Wohnung und Rory hat nicht so viel Platz".

Tim grinst mich über den Rückspiegel an. "Rory also. Habt ihr schon ...?". "Gott, du bist ja genauso neugierig wie Leyla. Aber nein".
Leyla kichert und beugt sich zu ihm hinüber. "Dauert bestimmt nicht mehr lange", flüstert sie und ich gebe ihr einen leichten Schlag auf die Schulter. "Was denn, ich gehe davon felsenfest aus!".

Mein Handy piept und ich schaue auf das Display. Es ist eine Nachricht von Aiden. "Ich habe gehört, du bist momentan in Deutschland. Das du mir aber ja wieder kommst", schreibt er und schickt mir ein Bild hinterher, wo er an einem Rand der Ölplattform sitzt und seine Beine ins Leere baumeln. Er grinst breit und zaubert mir auch ein Lächeln auf die Lippen.
"Ist er das?". Ich schüttle den Kopf und Leyla schnappt gespielt empört nach Luft. "Lia, zwei Männer auf einmal, wie ungezogen von dir".

Ich winke ab. "Das ist Aiden. Er ist die meiste Zeit nie da, da er auf einer Ölplattform arbeitet. Er ist der Bruder einer Freundin und war nur nett zu mir".
Verschwörend wackelt sie mit den Augenbrauen. "Nett also. Na, da bin ich ja mal gespannt". Ihr Grinsen verrät alles. Nach Leyla würde es jetzt vermutlich heißen, mach dir doch Spaß mit Beiden, aber das bin ich nicht.

Tim hält vor dem Wohnhaus, in dem meine alte Mietwohnung liegt und wir steigen aus. Jede Treppenstufe in den ersten Stock hinauf fühlt sich an, als ob ich den höchsten Berg der Welt besteigen würde und mit zitternder Hand klopfe ich an der Tür.
Ich habe zwar noch einen Schlüssel, würde aber nicht einfach aufmachen. Schritte, dann öffnet Fred die Tür.

Mein Exfreund schaut uns nacheinander an. "Hallo ihr", brummt er und lässt uns eintreten. Erschrocken sehe ich, wie eingefallen sein Gesicht ist, seine Wangen unrasiert und sein Deckhaar total wirr vom Kopf absteht.
In der Wohnung herrscht ein strenger Geruch und Leyla fächelt sich entsetzt vor der Nase herum. "Lüftest du eigentlich nie?", schnauzt sie Fred an und öffnet erstmal in der gesamten Wohnung alle Fenster.

Fred zuckt bloß mit den Schultern und tapst ins Wohnzimmer. Überall wo ich nur hingucke liegt Müll herum und ich schüttle den Kopf. Natürlich erinnere ich mich, dass ich immer geputzt hatte und das es jetzt so aussieht, erschreckt mich.
"Kommt. Fangen wir an". Wir hatten die Umzugskartons direkt mit hochgebracht und beginnen im Schlafzimmer. Meine Kleidung, ich habe den Großteil ja schon mitgenommen, ist schnell verpackt, genauso wie sämtliche Taschen.

Die Ordner nehmen etwas mehr Platz ein, zumindest alles, was ich an Ordnern mit wichtigen Dokumenten besitze. Hierzu schreibe ich mir parallel heraus, was ich an Versicherungen besprechen muss, was ich behalten oder kündigen kann und und und.
Mein Büro ist fast schon leer. Meine Ex-Chefin hatte schon ihr Equipment wieder abgeholt oder hatte es besser gesagt abholen lassen. Nur mein Drucker steht einsam noch herum, den ich direkt mit einpacke.

Ich glaube nicht, wie schnell wir meine persönlichen Sachen zusammengepackt haben. Aus der Küche nehme ich kaum etwas mit außer meinen Mixer und meine Tuppersachen. Meine Filme und meinen Bluray-Player packe ich ebenfalls ein.
Fred sitzt die ganze Zeit auf dem Sofa und schaut uns stumm dabei zu. Die alten Familienfotos befinden sich bereits in den Kartons und der Schmuck meiner Familie liegt eh im Bankschließfach. Das würde ich morgen abholen und im Handgepäck mitnehmen. Außerdem muss ich mit der Bank klären, wie das abläuft sobald ich ein britisches Bankkonto habe.

Seufzend und drei Stunden später stehe ich vor Fred. "So. Ich habe alles soweit verpackt. Die Spedition wird kommen und alles mitnehmen, wenn du nicht da bist sag bitte Bescheid, dann öffne ich ihnen die Tür".
Er schaut mich an und nickt bloß. "Was hast du dir überlegt für die Möbel? Ich hatte die Küche, das Bett und das Sofa bezahlt".
Fred greift in seine Jackentasche und holt einen Umschlag hervor. "Ich habe mir die Rechnungen angesehen und dir einfach die Hälfte von allem abgehoben. Das ist doch fair, oder?".

Erstaunt nehme ich den Umschlag entgegen und schaue hinein. Ich habe den genauen Wert nicht mehr im Kopf, vertraue ihm aber.
"Mehr wie fair". Tim und Leyla warten draußen im Hausflur auf mich. Freds Blick gleitet an mir vorbei zum Fenster und ich presse die Lippen aufeinander.

"Dann, wünsche ich dir alles Gute!", wispere ich und er nickt. "Dir auch". Ich flüchte beinahe aus der Wohnung und als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, schlucke ich den dicken Kloß im Hals herunter.
"Komm. Gehen wir was Essen".

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Seufzend stehe ich vor dem Flughafengebäude und umarme Leyla. Die letzten Tage waren aufwühlend vergangen, aber alles ist nun geregelt. Auch das Stadtbüro habe ich informiert und das entsprechende Formular zur Abmeldung mitgenommen, sobald ich eine neue Wohnung habe und der Antrag der Staatsbürgerschaft durch ist.
"Komm gut an. Und sobald du eine Wohnung hast, buchen wir den nächsten Flug nach Schottland".

Ich nicke und nehme auch Tim zum Abschied in den Arm. "Halt uns auf dem Laufenden. Und denk daran, wenn du wiederkommen willst, du kannst immer bei uns unterkommen".
Ich atme tief ein und lächle. "Danke. Aber ich weiß, dass es das Richtige ist". Ich nehme mir meinen Handgepäckskoffer und winke, als ich das Flughafengebäude betrete. Meine Füße tragen mich wie von Selbst zu den Sicherheitschecks, da ich gestern selbst eingecheckt habe und als ich nach zwei Stunden im Flieger sitze und dieser abhebt, schaue ich nachdenklich aus dem Fenster.

Mein neues Leben kann nun endgültig beginnen.

A scottish LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt