Kapitel 11

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Ich flitze schnell in mein Zimmer hoch und logge mich mit meinem Laptop im WLAN ein. Am liebsten würde ich per Videokonferenz ihm direkt alles sagen, aber das finde ich einfach so unsympathisch, das ich den Gedanken gleich wieder verwerfe.
Also suche ich mir alle Informationen für eine Abmeldung meiner Wohnung und damit eine endgültige Auswanderung heraus. Allerdings gestaltet sich das alles etwas schwieriger, wie ich gedacht habe, da der Brexit kurz bevorsteht. Ich finde heraus, dass es in Edinburgh eine Agentur gibt, die das alles übernimmt und kontaktiere sie direkt per E-Mail. Notfalls würde ich die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen, wenn das das Einfachste ist.

Ich will nicht mehr zurück. Jedes Mal, wenn ich auch nur im Entferntesten daran denke, wieder in Deutschland zu leben, fühlt es sich in meiner Brust so an, als würde ich erstickt werden.
Als ich die E-Mail fertig habe, schalte ich den Laptop wieder aus und informiere Leyla per WhatsApp über meine Pläne. Natürlich hat sie damit gerechnet und es auch nicht anders erwartet. Ich solle sofort Bescheid sagen, was ich alles nun beantragen und machen muss.

Catriona hat mir ebenfalls geschrieben. Sie würde mich um halb sieben am Hof abholen, damit ich etwas trinken könnte. Sie hätte ihren Bruder engagiert, uns zu fahren.
Also alles durchgeplant. Danach gehe ich hinunter in die Küche, um mir etwas zu Abendessen zu kochen. Rory ist nicht da, ich höre aber den Fernseher im Wohnzimmer.

Nachdenklich rühre ich in der Nudelsauce. Würde ich es wirklich fertig bringen, britische Staatsangehörige zu werden? Auch, falls ich die Deutsche nicht behalten darf? Ich meine, ich möchte mich selbst wieder finden, aber bedeutet das nicht auch, seine Identität aufzugeben? Sich selbst aufzugeben?
Als die Nudeln fertig sind, schütte ich sie ab und verdränge diese Gedanken erst einmal. Die Agentur wird sich melden, was ich zu tun habe und wie das Ganze ablaufen muss. Und wenn es heißt, erst einmal einige Jahre hier zu leben und etwas aufzubauen, bis ich Staatsbürgerin werden kann. An ein Arbeitsvisum oder so komme ich bestimmt.

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Am nächsten Abend stehe ich zweifelnd vor dem Spiegel und betrachte mich von allen Seiten. Ich habe mich extra mal schick gemacht, wobei ich nicht weiß ob es für Mallaig nicht schon zu schick ist. Eine etwas flatterige Bluse über einer engen Jeans mit Boots und einer dünneren Jacke, die ich eher sporadisch dabei habe. Im Pub wird es richtig warm werden, vermute ich, und dennoch weiß man nie.
Meine Haare habe ich mal wieder mit dem Glätteisen etwas bearbeitet und mir schöne Wellen gezaubert. Das einzige an Frisur, was ich kann.

Ich lege etwas Lipgloss auf, denn außer Mascara und dem trage ich nie Make-Up und gehe dann mit meiner kleinen Handtasche, dem Handy und etwas Bargeld die Treppe hinunter.
Rory sitzt wieder im Wohnzimmer, aber Kate begrüßt mich schwanzwedelnd am Fuß der Treppe. "Na meine Süße", begrüße ich sie und hocke mich hin, damit ich ihr gut die Brust kraulen kann.
"Lia?". Rorys Kopf taucht im Türrahmen auf und als ich mich erhebe, weiten sie sich kurz. Aber nur kurz.

"Wenn was ist, ich hab mein Handy hier liegen", brummt er und verschwindet genauso schnell wieder im Wohnzimmer, wie er auch aufgetaucht ist.
Ich muss lächeln über seine Fürsorge, die er sonst nie so an den Tag legt oder an die große Glocke hängt und spüre wieder dieses Flattern in meiner Brust.
Denk nicht mal daran! Ich kraule Kate ein letztes Mal, da höre ich Reifen, die auf dem Kies draußen zum Stehen kommen. Kate bellt kurz, bleibt dann aber am Fuß der Treppe liegen.

Ich gehe hinaus und gehe auf das Auto zu. Es ist ein moderner Sportwagen, Marke keine Ahnung und noch weniger Ahnung von dem ganzen Rest. Aber ich erkenne Aiden, der am Steuer sitzt und fröhlich lächelt.
Catriona kann ich aber nicht erkennen. Ich öffne die Beifahrertür und steige ein. "Halò. Wollte Catriona mich nicht abholen?", frage ich ihn und nehme sofort den angenehmen Duft wahr, den er versprüht. Eine Mischung aus einfach nur Mann und Aftershave.
"Die kam nicht aus den Puschen. Hat mich gebeten, dich auch abzuholen". Aiden legt den Rückwärtsgang ein und ich sehe, wie eine Gardine am Wohnzimmer wackelt. Rory hat nachgesehen.

Als Aiden auf der Straße ist und das Gaspedal durchdrückt, werde ich in den Sitz gepresst und ein kleines Quieken entfährt mir.
Aiden lacht. "Sorry, hätte dich vorwarnen sollen". Geübt fährt er in die Kurven und wieder hinaus, ohne das ich mich einmal auch nur unsicher fühle. Ich entspanne zunehmend und lege meine Hände ruhig in meinen Schoß.

"So. Da wir ja jetzt noch ein paar Minuten für uns haben, darf ich dir doch bestimmt ein paar Fragen stellen, oder?". Aiden schaut immer wieder, soweit es ihm möglich ist, mit verschmitzten Blick zu mir herüber. Ich schmunzle und ziehe fragend eine Augenbraue hoch.
"Ich kann ja entscheiden, welche ich beantworte", sage ich und drehe mich ihm etwas zu. Ich hatte noch nie Probleme, auf dem Beifahrersitz nicht auf die Straße gucken zu können. Autofahren war noch nie ein Problem für mich.

"Hm". Aiden runzelt kurz die Stirn. "Wie alt bist du eigentlich?". Lachend lehne ich meinen Kopf gegen die Kopfstütze. "27. Und du?".
"33". Oh, hätte ihn etwas jünger eingeschätzt. "Bist du älter wie Catriona?". "Hey, ich stelle hier die Fragen", meint er lachend und trommelt mit seinen Fingern zum Rhythmus der Musik auf das Lenkrad.
"Aber ja, ich bin fünf Jahre älter".

Catriona ist definitiv mein Alter. Aiden überholt auf einer geraden Strecke einen Trecker und drosselt dann wieder das Tempo.
"Wieso bist du weg aus Köln?", fragt er unverblümt und ich presse die Lippen aufeinander. Genau, womit ich gerechnet habe. Aber wieso sollte ich jetzt lügen?
"Ich habe mich eingesperrt gefühlt. Ausgehöhlt und vollkommen leer. Ich brauchte Abstand". Er nickt bloß und senkt die Stimme.

"Und jetzt geht es dir wieder besser?", fragt er mit einem sanften Unterton und ich nicke. "Ja. Schottland hat mir ein Stück von mir Selbst zurückgegeben. Ob ich jemals zurückgehe, weiß ich nicht. Unwahrscheinlich bis jetzt".
Es stiehlt sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen. "Sehr schön", höre ich ihn auf Gälisch flüstern und verkneife mir eine Antwort. Soll er doch denken, ich würde ihn nicht verstehen.

Ich erkenne schon die Lichter von Mallaig, als wir um eine Kurve biegen. "Und was hast du gemacht? Also beruflich? Ich bin ja auf einer Ölplattform beschäftigt".
"Das weiß ich. Deine Mutter war sehr gesprächig an meinem Krankenbett". Aiden verdreht die Augen. "Ich hoffe, sie hat nur Gutes erzählt?".
"Natürlich".
Er schüttelt den Kopf. "War ja klar".

"Ich habe Mediendesign studiert und ein paar Jahre in einer Werbeagentur in Köln gearbeitet. Und gekellnert habe ich auch während meines Studiums".
Wir passieren den Ortseingang von Mallaig. "Hm. Du könntest bestimmt für Kathy arbeiten. Die hat eine Werbeagentur in Inverness. Ich kontaktiere die mal".
Ich schaue ihn verwundert an. "Bist du jetzt mein persönlicher Agent für die Arbeitssuche?", frage ich lachend und er grinst.

"Fragen kann man ja. Außer, du möchtest nicht in deinen alten Job zurück". "Hm. Doch. Aber noch nicht jetzt. Ich melde mich, wenn ich wieder bereit bin, okay?".
Aiden nickt und schon hält er vor dem Pub. "Gut. Dann brauche ich aber deine Nummer".
Er schnallt sich ab und wendet sich mir zu. Seine Augen fixieren mich und ein Schauer läuft mir über den Rücken.
"Okay". Meine Stimme ist leicht krächzig und ich räuspere mich kurz. Flink tippt er meine Nummer in sein Handy ein und steckt es dann mit einem triumphierenden Lächeln weg.

"Viel Spaß und bis später", flüstert er und ich steige mit wackeligen Knien aus. Die kühle Abendluft kühlt sofort meine erhitzten Wangen und ich winke, als er davon fährt.
Dann betrete ich den Pub. Stickige Luft schlägt mir sofort entgegen und eine Lautstärke, die ich von diesem Ort noch nicht gewöhnt bin.
Die Einheimischen, egal ob jung oder alt, sitzen fröhlich schwatzend am Tisch und das Klirren von Gläsern erfüllt den Raum mit der Musik als Hintergrundgeräusch.

Geillis eilt geschäftig durch die Lücken und serviert das Bier. Fearghas steht wie immer zapfend hinter der Theke und winkt, als ich die Stube betrete.
"Lia", höre ich Catriona quer durch den Raum brüllen und als mein Blick auf ihren Tisch fällt, bahne ich mir einen Weg zu ihr. Natürlich folgen mir einige Augenpaare, doch keiner sagt etwas oder beginnt zu flüstern.
Am Tisch sitzen neben Catriona noch zwei weitere junge Frauen. Die Dame von der Kasse und eine, die ich auch noch nie gesehen habe.

Catriona erhebt sich und nimmt mich in den Arm. "Lia, darf ich dir meine Freundinnen vorstellen. Fiona". Das ist die Verkäuferin, die mich kennend angrinst. Ihr braunes Haar trägt sie wie fast alle in einem Zopf zusammen.
"Und das ist Ivera". Die kleine rothaarige Frau mit der Stupsnase lächelt und reicht mir ihre Hand zum Schütteln.
"Setz dich. Wir haben dir direkt ein Bier mitbestellt".
Tatsächlich steht schon ein Bier vor dem leeren Stuhl und ich setze mich neben Catriona und Ivera.

"Catriona hat schon erzählt, du kommst aus Deutschland. Erzähl mal", war das Erste, was sie zu mir sagt und so beginne ich zu erzählen.

A scottish LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt