Kapitel 31

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Zwar ist die Wärme der Sonne nicht so prickelnd, wenn man leicht verkartert ist, doch die frische Seeluft wiegt das wieder auf. Und die große Sonnenbrille hilft.
Und obwohl die vielen Menschen auf dem Markt ablenkend sind, weiß ich nicht, was ich davon halte. Normalerweise bekam ich bis vor kurzer Zeit noch Panik in Menschenmassen, aber seit ich mich in New York immer auf einen Spaziergang geschlichen habe sobald Bram nicht aufgepasst hat und den Job im Café angefangen habe, macht es mir nicht mehr so viel aus. Ich verzichte manchmal sogar auf Brams führende Hand, was mir auf einmal gut kommt.
Nach all dem will ich ihm nicht das Gefühl geben, dass alles wieder normal wäre. Bis das passiert, wird es grundsätzliche Änderungen geben müssen.

Ihm gefällt mein Verhalten nicht - das zeigt er genau - aber er sagt nichts und versucht es einfach irgendwie besser zu machen, indem er mich auf gewisse Gebäude oder Pflanzen aufmerksam macht oder über unsere Tagesplanung redet, obwohl ich nicht viel beisteuere.
„Der Markt wurde mir vom Haushälter empfohlen." zeigt er an mir vorbei zu kleinen überdachten Tischen am Seitenrand, die vor frischen Früchten fast umkippen. „Wir könnten schon mal was für heute Abend kaufen." klingt er gedankenveloren und legt die Hand zwischen meine Schulterblätter, um uns dahinzuführen.
Nur mäßig akzeptiere ich es einfach, doch kann das Brennen an der Stelle nicht ignorieren. Ich spüre wieder das Verlangen des Besäufnisses.
Vollkommen desinteressiert stelle ich mich vor dem zahlreichen Angebot und sehe die Straße entlang noch viele weitere solcher Stände mit verschiedenen Sachen. Normalerweise wäre ich bei sowas vor Aufregung nicht aufzuhalten, aber diesmal bin ich viel zu betrübt und kaputt. Ich glaube, nichts wird mich wieder so schnell zurückholen.

Während Bram ein Netz mit seiner Auswahl füllt sehe ich mich um und halte mich verloren an meiner kleinen Umhängetasche fest, die auch jetzt wieder auf Brams Zuweisung hin meine kleine Pistole beinhaltet - weil er ausnahmsweise keine mitnehmen konnte - und mein Portemonnaie. Auch jetzt habe ich das Handy meines Bruders mitgenommen, aus Angst, ich könnte es spontan gebrauchen. Und zugegebenermaßen gibt es mir inzwischen ein sichereres Gefühl. Schlichtweg der Gedanke hilft mit Kelly reden zu können.
Mich trauend sehe ich mir die Menschen genauer an, die in Strömen vorbeilaufen. Einige davon scheinen wohlhabende Touristen zu sein, doch der Großteil besteht aus Einwohnern. Wie oft er mir schon erzählt hat, dass alle hier freundlich und zuvorkommend sind. Und das ist anzumerken. Gefühlt jeder hier lächelt mich an, was aber auch an dem langen roten Kleid liegen könnte. Leise seufzend sehe ich mir die vielen sorglosen Gesichter an und frage mich, wie andere es schaffen unbeschwert zu leben. Wo bin ich falsch gegangen? Etwas beschleicht mich, doch bevor ich darauf komme, spüre ich schon Brams Hand in meiner und werde mit einem warmen Lächeln seinerseits weiter die Straße hinunter geführt.

Argwöhnisch sehe ich durch die sich kurz spaltenden Hausdächer, die ein wenig Sicht auf das Meer freigeben. Es ist wunderschön mit seinem strahlenden Blau, aber sofort entwickelt sich ein unwohles Gefühl in mir und ich bin erleichtert, als die Häuser wieder zunehmen und uns ummanteln.
Der Markplatz auf den wir treten ist groß und voller Cafés. Jedes nur mäßig besucht. Ich merke, wie ungewohnt es für mich ist, dass mal nicht überall Prada- oder Guccie-Läden herumlungern. Hier ist es so friedlich und heimisch, dass ich mich ein wenig ärgere es nicht vollkommen genießen zu können.
"Lass uns hier eine Pause machen." steuert er mich plötzlich zur Seite, direkt auf einen Außenplatz eines riesigen Cafés.
Wie ein Gentleman zieht er mir den metallischen Stuhl zurück und lässt mich Platz nehmen, bevor er sich selbst an den runden Tisch setzt. Nicht überzeugt von seinen Ideen heute sehe ich mich mit verzerrten Lippen um. Hier hat man einen perfekten Überblick. Nicht zu viele Menschen, alles weit auslaufend und ich kann schon in die Abzweigungen hineinblicken. Es ist erstaunlich, wie groß Ligurien eigentlich ist.
Egal, wo ich hinsehe, es stehen überall mediterrane Häuser. Selbst für die Verkäufer.
"Jetzt mach doch nicht so ein Gesicht." bückt er sich gut gemeint in meine Sicht, aber keiner von uns kann direkt in die Augen des anderen sehen, durch unsere aufgesetzten Sonnenbrillen. Und das finde ich gut so. Bei mir, weil ich nicht zeigen will, wie verkatert ich wirklich bin weder preisgeben will, wie zerstreut ich mich in diesem Moment fühle. Bei ihm, weil ich so nicht von seinem schönen Braun eingelullt und wieder für Wochen verzaubert werden kann. Seine Augen waren immer eine Schwachstelle von mir.
„Dann gib mir einen Grund." brumme ich und setze mich wieder normal hin.
„Einen Grund?" sieht man sofort seine Brauen unter der engen Sonnenbrille krümmen. „Willst du mich verarschen? Wozu habe ich uns hierhergebracht?"

Won't lose youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt