Kapitel 39

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Schwer schluckend lasse ich mich von Kelly an der Hand zur Bar führen.
Alles ist dunkel gehalten und sieht recht verbraucht aus. Das hilft mir nicht in meiner Reue und Angst gegenüber diesem Abend. Es ist eher unwahrscheinlich, dass hier jemand freiwillig aus Brams Kreisen herkommt, aber meine Paranoia will das nicht einsehen. Sie will dauerhaft um mich sehen und malt sich Szenarien aus, in denen ich zugedröhnt in der nächsten Gasse brutal zerstückelt werde.
„Ich beginne meinen Abend immer mit einem Shot und etwas süßem. Hast du Präferenzen?" dreht Kelly ihren Kopf zu mir nachdem sie alles mit einem aufgeregten Grinsen betrachtet hat.
"Ich richte mich nach dir." meine ich gedrückt, weshalb wir bei der Bar anhalten, wo sie die Getränke bestellt. Also an meiner 'Partylaune' muss ich noch arbeiten. So werde ich niemals loslassen können. Hoffentlich hilft der Alkohol.

"Ich kann immer noch nicht glauben, dass du diese Bar nicht kennst, obwohl du in New York lebst. Bist du 70 Jahre oder warum bist du so langweilig?"
Mit verzerrten Brauen bringe ich ein wehmütiges Lächeln zustande. "Naja, solche Bars hatte Bram nicht besuchen wollen. Er hatte mich in Roof-Top-Bars oder in die ausgebuchten Restaurants geführt."
"Also überall dorthin, wo nur Schnösel hingehen.." spricht sie dazwischen.
Mir ist bewusst, das es nicht persönlich gemeint war, dennoch presse ich die Lippen zusammen und versuche nicht beleidigt auszusehen.
"Bram war nicht so. Er ist schon ein wenig abenteuerlustig." Vielleicht ein bisschen zu abenteuerlustig. Zu Claea willst du immerhin immer noch nicht gehen.
"Okay, stopp. Ich wollte den Namen heute eigentlich gar nicht mehr hören." hebt Kelly die Hand abwehrend vor mein Gesicht. "Das alles ist doch Geschichte, oder?" neigt sie den Kopf, als wäre die einzig mögliche Antwort "Ja.", aber ich gerate ins Wanken. Angespannt sehe ich sie an und spüre, wie sich mein Puls beunruhigend erhöht.

Ich will ihr zustimmen, aber ein zu großer Teil in mir weiß nicht, was ich will. Es wäre viel zu schmerzhaft, eine Trennung jetzt laut auszusprechen - Warum? Habe ich solche Bedenken oder Liebe ich ihn einfach noch mehr, als ich es glaube?
Seufzend will sie schon was sagen, als unsere Getränke hingestellt werden. Sofort schiebt sie mir den Tequila Shot hin. „Den brauchst du jetzt." brummt sie und hebt ihren eigenen an.
Bei dem Anblick werden Erinnerungen wach. Tequila wollte ich eigentlich aus dem Weg gehen, aber ich beschwere mich zurzeit gefühlt über alles bei Kelly, weshalb ich einfach mitmache.

Der Alkohol hilft tatsächlich ein wenig. 2 Cocktails weiter und eine tanzende Kelly in meinem Blickfeld sind eine gute Ablenkung, aber den Blick über die Schulter verhindert es nicht.
Dauerhaft frage ich mich, was passieren wird, wenn ich wirklich loslasse, wie Kelly es auf der Tanzfläche tut. Werde ich eine tolle Nacht haben, so wie ich sie schon lange brauche, oder werde ich erneut in meinem Leben verschleppt?
Sofort will jemand vor meinem inneren Auge aufblitzen, doch ich halte es unter Tränen rechtzeitig zurück.
Nein, an die Zeit denken wir nicht. Ansonsten breche ich zusammen.
Mit lang gezogenen Gesicht sehe ich in dem verdunkelten Raum nach größerer Ablenkung. Da denke ich lieber an die Zeit, als das mit Bram angefangen hat. Im Gegensatz zu jetzt war das damals eine schöne Zeit, auch wenn ich es nicht als solche wahrgenommen habe. Meine Hände formen sich unbewusst zu Fäusten, als eine innere Spannung in mir aufkommt. Dabei halte ich die Augen auf eine Gruppe von Jungs, die erheitert dummes Zeug reden und lachen, während ich versuche auszumachen, ob sie mir wehtun werden.
War die Zeit mit Bram schön?
Etwas in mir will bei dieser unloyalen Frage brechen, aber ich will mich zwingen, das ernsthaft zu bedenken.

Das Misstrauen mit Elena und die Lügen über unsere damalige Zeit haben mich in diese Bedenken geworfen.
Sie haben gezeigt, dass ich womöglich zu naiv war. Hatte er mich überhaupt geliebt?
Noch mehr Tränen sammeln sich in meinen Augen und ich habe Schwierigkeiten nicht das Gesicht zu verziehen. Hatte Lennard, als er noch freundlich war, auf der Insel umsonst für mich gekämpft?

Won't lose youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt