In der Stille der Nacht

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Es war still in Magnus Club. Zumindest so still wie es nach einem geschäftigen Tag in einem Burlesqueclub nur sein konnte. Die Instrumente waren wieder in ihren Koffern verstaut und ruhten dort bis die Musiker mit ihren geschickten Fingern ihnen erneut die Klänge der zwanziger und dreißiger Jahre entlocken würden. Die Tänzer und Kabarettisten hatten sich ihrer glitzernden Kostüme wieder entledigt und diese gegen ihre normale, weniger auffällige Kleidung eingetauscht. Gemeinsam mit allen anderen helfenden Händen waren sie wieder in ihr normales Leben außerhalb des funkelnden Daseins des Clubs zurückgekehrt. Sie würden erst am nächsten Abend wieder in ihre schillernden Rollen schlüpfen, um die Gäste mit ihren erotischen Tänzen und anderen Belustigungen zu erfreuen.

Für die meisten Angestellten des Clubs barg die Stille nach Feierabend nichts Besonderes. Schließlich war sie etwas, dass viele gar nicht einmal wahrnahmen. Doch für Alec war diese alles umfassende Stille etwas, das ihn im Hier und Jetzt ankerte. Sie hüllte ihn ein, wie eine warme Decke und ließ ihn die Geschäftigkeit des Alltages für einen Moment vergessen.

Bereits während der Zeit, in der er im Restaurant seiner Eltern gearbeitet hatte, war er häufig derjenige gewesen, der hinter allen zugeschlossen hatte. Oft hatte er Izzy und Jace nach Hause geschickt, um die letzten Handgriffe im völligen Alleinsein zu Ende zu bringen. Er hatte es nicht getan, weil er die Gesellschaft seiner Geschwister nicht ertragen konnte. Ganz im Gegenteil. Doch Alec war schon immer jemand gewesen, der seine Gedanken dann am besten sortieren konnte, wenn er ganz alleine war und so war es hier in seinem neuen Leben nicht anders.

Maia und Bat hatten es erst für einen Scherz gehalten, als er ihnen gesagt hatte, er würde die Bar alleine aufräumen und für den nächsten Tag vorbereiten wollen. Doch nachdem er ihnen versichert hatte, dass es ihm nichts ausmachen würde, waren sie in ihren wohlverdienten Feierabend gegangen.

Alec war immer noch erstaunt, wie schnell er sich in das Clubleben eingefunden hatte. Dabei waren seit seinem ersten Arbeitstag erst eineinhalb Wochen vergangen. Es kam ihm auf jeden Fall so vor, als würde er schon wesentlich länger hier arbeiten. Manchmal war es im Leben einfach so, dass man an einen neuen Ort kam und sich sofort und ohne große Schwierigkeiten in das Gefüge des Bestehenden eingliederte. Dass seine Kollegen ihn mit offenen Armen akzeptiert hatten und ihn behandelten, als wäre er schon immer einer von ihnen gewesen, trug auf jeden Fall auch immens dazu bei.

Alec schnappte sich den Eimer mit dem Putzwasser und einen sauberen Lappen. In Gedanken versunken, ging er von einem Tisch zu dem nächsten, um die Spuren von verschütteten Getränken zu beseitigen, die die Gäste an diesem Abend hinterlassen hatten. Normalerweise erledigte das Reinigungspersonal diese Aufgabe und huschte am folgenden Morgen einmal durch den Club wie kleine unsichtbare Wichtel. Doch Alec fand in dieser einfachen, ja fast schon stupiden Tätigkeit einen besonderen Frieden und er hoffte, dass es ihm auch nach dem heutigen anstrengenden Tag half wieder herunterzukommen.

Nicht zum ersten Mal brachte diese Feierabendstille ihm das näher, das er in der Hektik des Alltages oft verlor: sich selbst. Hier in dieser Stille, die nur von dem gelegentlichen Brummen der beiden Kühlschränke und dem leisen Gegurgel der Geschirrspülmaschine begleitet wurde, fand er Zeit über das nachzudenken, was ihm wirklich beschäftigte. In dieser Stille konnte er seine Gedanken und Gefühle reflektieren und das Chaos in seinem Inneren neu sortieren. Besonders das Gefühlschaos, welches Magnus in ihm auslöste, seit sie sich zum ersten Mal getroffen hatten.

Mit jedem neuen Tag warf das wachsende Interesse an seinem Boss Alec immer mehr aus der Bahn und seit Samstag war es sogar noch einmal sprunghaft gewachsen. Langsam war Alec sich nicht mehr sicher, was er in dieser Hinsicht unternehmen sollte. Es ignorieren oder seinen Gefühlen und Sehnsüchten folgen?

Es verunsicherte ihn zunehmend, dass er nicht wusste wie Magnus dazu stand. Sicherlich, Magnus flirtete mit ihm und zeigte ihm, dass er ihn attraktiv fand. Doch war es wirklich echtes Interesse oder einfach nur Magnus leichte und unbeschwerte Art, die er mehr oder weniger jedem seiner Mitarbeiter gegenüber zeigte? Alec wollte sich nicht in eine unangenehme Situation bringen, in dem er seinen Boss offenbarte, dass er sich zu ihm hingezogen fühlte, nur um am Ende abgewiesen zu werden.

Boylesque (🇩🇪)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt