KAPITEL 25| Sky

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Skyler 'Sky' Baker
Hier, Staunton
1. Februar

Annie starrte mich an. Lange musterte sie mich. Das Essen war schon lange kalt. Hörbar schluckte sie. Ich konnte die Tränen in ihren Augen sehen. Sie war fassungslos. Hin- und hergerissen. 
Dann plötzlich, als hätte es Klick gemacht lächelte. Ihr ganzes Gesicht erstrahlte förmlich. "Erzähl mir was von ihm!" Bat sie aufgeregt. Alexander schüttelte nur den Kopf. "Du auch noch? Ich dachte du würdest ihr den Scheiß ausreden." Rief er und sprang vom Stuhl auf, der laut scheppernd zurück kippte und auf den Boden schlug. 
"Wir wissen doch gar nicht wer das ist!" Sprach er weiter. "Irgendein dahergelaufenes Flittchen klingelt an der Tür und möchte was..." Wütend schnaubte er und fuhr sich durch die Haare. 
Eigentlich hätte ich beleidigt sein sollen, das wäre de natürliche Reaktion. Doch ich war es nicht. Denn seine Worte waren vielleicht hart, aber nicht falsch. Er wollte seine Familie beschützen. Ich hätte meine auch beschützt. "Sky ist mein Gast." Ermahnte Miranda ihn kalt, er schnaubte. "Siehst du echt nicht wie dämlich das ist?"  Fragte er mit einem kalten verbitterten Lächeln. "Gabriel kommt nicht wieder. Er hat sich entschieden und ist vor Jahren einfach verschwunden." Erklärte er genervt. Doch ich erkannte den Schmerz der über sein Gesicht huschte. 
Und plötzlich war es mir klar. Hier ging es nicht um mich. Denn Alexander vermisste Gabe auch. Als er gegangen war hatte er auch ihn verlassen und ich riss nur alte Wunden wieder auf. Wunden die er wahrscheinlich für geheilt gehalten hatte. 
"Und jetzt ist Sky hier. Ist es so schlimm, dass wir einfach nur hören wollen, wie es ihm geht?" Rief Miranda fragend und starrte Alexander an. Doch er schien nicht zu wissen was er darauf antworten sollte. 
Es war eigenartig. Denn der einzige Mensch im Raum, der wollte das ich ging, dass ich einfach verschwand, war der Mensch im Raum, den ich am meisten verstand. Er war Gabe so ähnlich und das tat weh. 
"Weißt du..." Begann ich und brachte die angespannte Stimmung zum kippen. "...du bist ihm so ähnlich. Nicht nur vom Aussehen. Ihr seht euch alle so ähnlich." Flüsterte ich leise. Mit gesenktem Blick knetete ich meine Finger. "Die Art wie du redest. Deine Gesichtsausdrücke. Alleine wie du dich bewegst." Fügte ich hinzu und lächelte verlegen. "Ich dachte er hätte das von der Armee. Aber du bist ihm so ähnlich." Erklärte ich und konnte nicht mehr gegen die Tränen ankämpfen. Doch ich wollte das hier nicht sagen, um ihn umzustimmen. Ich wollte... Keine Ahnung, was ich wollte.
"Er glaubt, dass ihr alle besser ohne ihn dran seid. Das seine Entscheidungen euch Schaden. Also wollte er irgendwohin, wo seine Entscheidungen niemandem Schaden können." Erklärte ich und schnaubte verbittert. "Das Problem ist, dass seine Entscheidungen ihm selbst schaden. Und dass er seine Familie verlassen hat, war so ziemlich die Schlimmste. Er dachte er tut das aus Liebe. Aber eigentlich tut er alles aus Angst." Es war das erste Mal, dass ich solche harten Worte benutzte. "Er hat Angst vor sich selbst und dem Leben das er führen könnte." Erklärte ich weiter. Alle drei, selbst Alexander, hing an meinen Lippen.
"Er hat Bilder von seiner Familie und von der Armee in einer kleinen Kiste..." Langsam hob ich den Blick und holte das zerknitterte Foto aus meiner Tasche. "Ihr seit alle in dieser Kiste." Tränen brachen aus mir heraus. "Nur ich nicht. Von mir hat er kein Foto." Flüsterte ich und kämpfte gegen den Druck in meiner Brust an, der in meinen Hals hochwanderte. Schmerzhaft schluckte ich. "Er liebt euch. Ich wollte nur, dass ihr das wisst." Erklärte ich und erhob mich langsam. Ich sollte gehen. Ich sollte nach vorne Schauen. Nicht so tun, als sei die Welt ein toller Ort, denn das war sie nicht. Manchmal eben nicht. Und das war okay. Solange man das wusste. Solange man darauf vorbereitet war. 
Und wenn mir jemand sagte, dass meine Mutter irgendwo war und lebte. Wenn jemand mir sagte, er kannte sie und das sie uns liebte. Ich hätte demjenigen auch glauben wollen. Denn egal wie dunkel die Welt war. Die Liebe erleuchtete alles. Die Liebe zu Aby, die Liebe zu einer Familie, die Liebe zu einem Freund, einem Haustier. Ohne Liebe blieb nichts mehr. Ohne Liebe gab es auch kein Hass. Nur monotones Rauschen. Denn Ohne Dunkelheit kein Licht. Ohne Licht kein Schatten.
Und wenn meine Worte, jemandem halfen, dann waren es notwendige Worte. Worte die ich jederzeit wieder sagen würde, auch wenn sie mich selbst verletzten. Auch wenn ich darunter leiden würde. Denn hier ging es nicht um mich. Nicht mehr. 
"Ich werde hochgehen und meine Sachen packen." Erklärte ich ernst, lächelte Miranda an und dankte ihr leise. Doch bevor ich den Raum verlassen konnte, klingelte es an der Tür. 
Für einen langen Augenblick bewegte sich keiner von uns. Wir alle standen da und versuchten die eigenartige Stimmung zu ertragen, die sich zwischen uns, um uns herum, ja in jedem Zentimeter des Raumes verteilt hatte. 
Irgendwann aber riss sich Alexander los. Er ging mit lauten, langen Schritten aus dem Esszimmer. Seine Schritte knallten auf den weißen Fließen der Eingangshalle. Bei jedem Schritt zuckte ich zusammen. Gänsehaut überkam mich und ein eigenartiges Gefühl überkam mich. Ich spürte etwas, dass niemand anderes zu spüren schien und warum auch immer, trieb es mir die Tränen ins Gesicht. 
Panik, Angst, Vorfreude, Erleichterung. Alle Gefühle wurden wild durcheinander gewirbelt und ergaben keinerlei Sinn mehr in mir. Gleichzeitig überrollte mich eine neuerliche Welle der Übelkeit. Mit zitternden Fingern strich ich über meinen Bauch, doch diesmal konnte mich diese Geste nicht beruhigen. Irgendwas stimmte nicht. Irgendwas passierte hier gerade und ich war nicht darauf vorbereitet. Irgendwie war ich in letzter Zeit auf nichts mehr vorbereitet. 

Freezin' Soul ( Freezin' 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt