KAPITEL 24| Aby

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Aubrey 'Aby' Baker
Im Gefühlschaos, Seattle
31.Januar

"Du hast mit ihm gesprochen?" Wollte ich wissen und blinzelte ein paar Mal. Natürlich war das ja das Ziel gewesen, aber irgendwie haute es mich um, dass es jetzt tatsächlich geklappt hatte. Und das vergleichsweise schnell. 
Sky war über einen Monat vermisst. Erst nach drei Wochen hatte man mit Parker Kontakt aufnehmen können. Beziehungsweise hatte er Kontakt aufgenommen. 
Langsam ließ ich mich auf das Sofa sinken. Vielleicht hatte er auch erst so spät Kontakt aufgenommen. Vielleicht hatte Sky erst dann Kontakt aufnehmen wollen. Ich schluckte. 
"Sadie hat mit ihm gesprochen." Erklärte Silver gerade und ich lächelte. Sofort kam mir ihr rotes Haar und das niedliche Lächeln in den Sinn. Zeitgleicht spürte ich den kleine Anflug von Eifersucht. Reiß dich am Riemen, Aby! 
"Es geht ihm wohl gut. Sie hat ihm deine Nachricht überbracht, doch nicht weiter darauf reagiert." Mist! Ich hatte die Entscheidung, dass Sky ihm selbst von dem Wurm erzählen sollte, akzeptiert und ihm eine recht kryptische Nachricht hinterlassen. Vielleicht war sie zu kryptisch. Oder aber es interessierte ihn nicht, was Sky ihm so wichtiges sagen wollte. 
Mir war klar, dass Sky niemals nach Alaska gegangen wäre. Also für immer. Dort würde sie ihren Job nicht machen können und sie würde mich nicht verlassen wollen. Auch wenn ich wollte, dass sie glücklich war, war ich leider egoistisch genug dieses Opfer ihrerseits nicht anzuzweifeln. Aber ich hatte irgendwie gehofft, dass Parker weniger egoistisch war. Ich hatte gehofft er würde Sky mehr wollen, als seine Einsamkeit. Doch anscheinend war das nicht so.
"Hat er noch etwas gesagt?" Fragte ich ihn leise. Hoffte er würde meine Gedanken zerstreuen. Hoffte er würde mir irgendwas sagen, das mir ein gutes Gefühl gab. Aber das waren eine Menge Hoffnungen und wenige Tatsachen.
"Sadie konnte mir nicht alles ganz genau sagen. Wir haben nur kurz telefoniert. Aber ich wollte dich auf den neuesten Stand bringen. Ich melde mich sobald ich mehr weiß." Erklärte er und ich lächelte leicht. "Danke, Silver." Flüsterte ich dankbar. Ich war ihm wirklich dankbar. "Tut mir leid, Schneeflöckchen." Sagte er zärtlich und seine Stimme beruhigte meine Nerven. Bevor einer von uns auflegen konnte sagte ich noch schnell: "Ich freue mich darauf dich endlich wieder zu sehen." Doch die plötzliche Wucht meiner Gefühle, die Scham darüber das ich das wirklich gesagt hatte und dieses abstruse, warme Gefühl, dass mich ausfüllte, ließen mich das Telefon nehmen und den roten Knopf zu drücken. 
Panisch legte ich das Telefon auf den Tisch und starrte es an wie eine giftige Schlange. Was war das denn?
Ich war nicht so der Gefühlsduselige Mensch. Das lag mir einfach nicht. Ich hatte ein gesundes Gefühl für Beziehungen aber mochte keinen Kitsch und auch keine übertrieben romantischen Gesten. Doch das schlimmste waren diese extrem kitschigen Worte, Sätze, Liebesbekundungen. Gerade wenn man darüber nachdachte, dass ich Norman Silver ja kaum kannte. Das ich ne ganze Ecke von ihm weg lebte und er verdammt nochmal nicht mein Ritter in glänzender Rüstung war. Liebe auf den ersten Blick gab es nicht. Und liebe aufs erste hören schon gar nicht. Und wenn wir schon dabei waren, es gab auch kein Schicksal oder Vorhersehung oder was auch immer die Leute sich hatten einfallen lassen, um sich besser zu fühlen.
Es gab nur Biologie. Anziehungskraft und gesellschaftliche Normen. Ob es mir passte oder nicht. Ich mochte Männer und ich mochte Sex. Ja und manchmal mochte ich eben Sex mit einem bestimmten Mann. Doch nicht weil ich unsterblich in ihn verliebt war. Und ich sagte ihm auch nicht, dass das für immer war. Kein Happy End. Jedenfalls nicht wie im Märchen. Und doch hatte ich ihm mit einer Sehnsucht, die mich selbst überraschte, mit der ich selbst nicht gerechnet hatte, gesagt das ich mich auf ihm freute. Was bedeutete, dass ich ihn vermisste. Was zwar stimmte, aber noch immer kein Grund war es ihm auch zu sagen. Und jemanden zu vermissen, bedeutete meist, etwas viel bedeutenderes. Etwas auf das ich nicht vorbereitet war. Etwas, dass mir jetzt gerade absolut nicht in den Kram passte. Oder jemals. 
Ich hatte andere Dinge im Kopf, um die ich mir Gedanken machen musste. Wichtige Dinge. Wie Sky. Auch heute hatte sie mich um Punkt Sieben Uhr angerufen. Obwohl noch vieles ungeklärt war, fühlte es sich irgendwie an als wäre doch ein Stück Normalität zurückgekommen. 
Sie hatte mir von Parkers Familie erzählt. Nachdem sie gestern einen kleinen Nervenzusammenbruch hatte. Ich hatte selbst nicht verstanden warum sie das hatte tun wollen. Doch ich verstand, dass sie ihm näher sein wollte. Und das seine Familie ihr das Gefühl gab, ihm näher zu sein verstand ich auch. Doch sie realisierte auf harte Weise, dass er nicht zu ihr kommen würde. Denn wenn er seine Familie verlassen hatte, warum sollte er wegen ihr zurückkommen? Mir wären tausend Gründe eingefallen, doch Sky sah nicht einen davon. 
Für sie schien es noch schwerer geworden zu sein. Sie hatte mir von seinem Bruder erzählt. Er schien ihm ziemlich ähnlich zu sein. Nun und er schien ein ziemliches Arschloch zu sein. Es brach mir das Herz, dass sie weinte und doch war es das erste Mal, dass ich sie wirklich weinte und es schien für sie eine Erleichterung zu sein. Auch mir waren die Tränen gekommen.
Ich brauchte keinen Ritter in glänzender Rüstung, keinen Prinzen auf dem weißen Schimmel. Aber Sky verdiente einen Ritter, sie verdiente einen Prinzen. Sky verdiente die Welt. Sky verdiente eine große Familie, denn das ist es was sie wollte. Ich war keine Idiotin und kannte meine Schwester gut genug. Als sie jünger war, hatte sie sich immer ausgemalt, wie es wäre wenn unsere Mutter wieder auftauchen würde. Sie hatte romantische, naive Ideen. Der weder ich, noch unsere gestörte Mutter und schon gar nicht das Leben gerecht werden konnten. Und genau deswegen hatte sie es verdient, dass sie all das bekam.
Und auch wenn ich gerne diejenige wäre, die ihr das geben konnte, so war ich doch nicht dazu in der Lage. Aber Parker, ob er nun da war oder nicht, hatte ihr das gegeben. Er hatte ihr eine Familie gegeben. Und damit meinte ich nicht seine Mutter, seinen Bruder oder seine Schwester. Ich meinte den kleinen Wurm. Ich meinte das Baby, dass Sky lieben würde und das Sky ebenso lieben würde. Bedingungslos. So wie Sky unsere Mutter liebte. Und schlimmer als sie konnte Sky nicht werden. Sky würde all das sein, was unsere Mama nie gewesen war. Und zwar einfach nur für uns da. 



Freezin' Soul ( Freezin' 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt