KAPITEL 20| Aby

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Aubrey 'Aby' Baker
Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, Seattle
29. Januar

Als mein Telefon um punkt sieben Uhr klingelte schreckte ich auf. Ich erschrak. Dabei hatte ich mir so gewünscht das mein Telefon klingeln würde. Zu schnell hatte ich mich daran gewöhnt, dass es nicht jeden Tag um sieben klingelte oder das Sky morgens am Tisch saß.
Doch heute klingelte mein Handy und ich starrte es einige Sekunden lang an. Fassungslos. Nach dem vierten Klingeln wachte ich aus meiner Trance auf, schnappte mir das Telefon und ging mit zitternder Stimme ran. "Ja?" 
Sky sagte nichts, doch ich hörte sofort ihr leises Schluchzen. Es war das erste Mal seit Alaska, dass ich mitbekam wie sie weinte. Wirklich weinte. Keine Tränen der Wut, keine Tränen im Streit, sondern echte, wirkliche Trauer. 
"Sky? Rede mit mir." Bat ich sie leise, doch ihr Schluchzen wurde nur lauter. Langsam begann es in meinem Magen zu rumoren. "Geht es dir gut? Wo bist du?" Fragte ich weiter und konnte nicht umhin etwas panisch zu klingen. Aber noch immer kam von Sky nicht mehr als ein leises Schluchzen. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich hörte, wie ihr Schluchzen leiser wurde und sie endlich mit mir sprach.
"Ich weiß nicht warum ich überhaupt hier bin, Aby." Begann sie leise. "Ich dachte ich würde hier... Keine Ahnung was ich dachte." Fügte sie hinzu. Ich schwieg, lauschte ihren Worten, ließ sie reden. "Ich vermisse ihn, dabei kenne ich ihn nicht." Ihre Stimme wurde fester, wurde aber immer wieder von leisen Schluchzern und langem Schniefen begleitet.
"Er ist ein fremder und trotzdem bin ich wegen ihm durchs ganze Land gefahren." Erklärte sie mir und ich lächelte traurig. "So bin ich doch nicht." 
Sie klang selbst so überrascht, schockiert von sich selbst. "Ich erkenne mich selbst nicht mehr. Und jetzt ist da noch dieser Wurm." Ich nickte. 
Sky war immer perfekt. Gradlinig und durchdacht. Sie blieb stets im Hintergrund und machte was man von ihr verlangte. Ich hatte mich daran so gewöhnt, dass es für mich normal geworden war. Doch es war nicht normal immer perfekt zu sein. Alles was man tat mit einer Akkuratesse zu tun, die der Perfektion der Sache viel zu nah kam. Und doch hatte Sky das über fünfundzwanzig Jahre lang geschafft. 
Aber genau diese verkopfte Haltung, diese Gedanken hatte sie immer davon abgehalten das zu tun, was normale Menschen in ihrem Alter taten. Ich hatte sie immer mitgeschleppt, damit sie Spaß hatte, doch sie hatte keinen Spaß. Sie war da und wachte über mich und auch über Bailey, wie die Erwachsene die sie war. Schon mit Zwölf. 
Und vielleicht war es an der Zeit das sie endlich mal nach ihrem Alter handelte. Das sie Dinge erlebte, die Leute wie wir erleben sollten. Ein aufregendes Leben führte. Ein schönes, lautes, buntes Leben. Damit hatte sie angefangen, weil ich Herz oder ihr Bauch es ihr sagte. Vielleicht war der Wurm nun ihr kleines, spontanes Bauchgefühl. Doch ihr Kopf kämpfte dagegen an, weil sie eigentlich nichts anderes wollte, als Parker. Dabei hatte sie gewusst, dass sie Parker dort nicht finden würde.
"Ich weiß nicht, ob ich das alles schaffe." Flüsterte sie und die Trauer in ihrer Stimme versetzte mir einen Stich. Nur glaubte ich nicht daran, dass ihr Verständnis nun half. Also holte ich tief Luft. "Sky, hör mir zu:..." Begann ich und konnte regelrecht sehen, wie sie langsam nickte. Sie wollte das ich ihr erzählte, dass sie zurückkommen sollte, dass sie wieder in ihr altes Leben zurückmusste, dann würde alles gut werden. Aber diesen Gefallen konnte ich ihr nicht tun, denn ich glaubte nicht, dass alles gut werden würde. 
"Das was du und Parker habt - hattet - kann niemand wirklich verstehen." Begann ich vorsichtig. Damit hatte Bailey recht. Ich verstand es nicht, doch wenn es jemanden wie Sky so durchschütteln konnte, dann hieß das schon was. "Aber du liebst diesen Mann und keiner, ich zu aller letzte, werden dir einen Vorwurf daraus machen." Fuhr ich langsam fort. Ich wollte das sie jedes meiner Worte genau hörte. "Zum ersten Mal in deinem Leben tust du etwas nur für dich. Du denkst nicht ewig darüber nach. Denkst es nicht kaputt, sondern du tust etwas. Erlebst etwas." Erklärte ich ihr und beneidete sie wirklich darum. Bei meinem ersten Liebeskummer hatte ich einfach drei Wochen auf der Couch gesessen und Eis in mich hineingestopft. Irgendwann hatte es nachgelassen. Aber ich war siebzehn gewesen und der Junge ein Arschloch. Ich hatte ihn nie wirklich geliebt. Eigentlich hatte ich noch nie wirklich geliebt. 
"Zum ersten Mal in deinem Leben tust du nichts rationales. Du denkst nicht darüber nach, wägst es ab, rechnest dir irgendwas aus. Du machst es einfach. Und Sky...?" Sie schnaubte. "..., damit tust du zum ersten Mal etwas nachvollziehbares. Etwas das ich verstehen kann. Auch wenn ich es nicht verstehen kann." Sie lachte auf, leise und traurig, doch immerhin ein Lachen. "Ich war noch nie verliebt. Nicht so. Nicht mit Herz und Seele. Kopfüber und ohne doppelten Boden." Gab ich zu. "Und ich weiß, dass ich Angst hätte. Verdammt ich würde mir in die Hosen machen." Wieder ein lachen, kräftiger diesmal. "Aber du warst schon immer stärker als ich." Diesmal lachte sie nicht. "Auch wenn du mir das nicht glauben willst." Fügte ich hinzu. "Du warst immer mein Fels in der Brandung, Sky. Ohne dich wäre ich nicht da wo ich bin. Aber nicht weil du rational bist. Nicht weil du schlau bist, Sky." Jedes meiner Worte entsprach der Wahrheit. Der absoluten, ungeschönten Wahrheit. "Sondern weil du stark bist. Weil du mutig bist. Weil du die Welt hinnimmst und trotzdem das Gute darin findest. Und weil du liebst. Bedingungslos und ehrlich. Und wenn du jemanden liebst, dann kannst du damit nicht aufhören, egal was diese Person dir antut. Denn deine Liebe hält ewig und das ist das schwerste was ein Mensch tun kann." 
Meine Stimme war mit jedem Wort lauter geworden, war fester und sicherer geworden, als hätte ich ewig darauf gewartet das auszusprechen. 
"Was wenn es zu schwer geworden ist? Wenn ich es nicht mehr kann?" Fragte sie leise, doch ihre Tränen waren versiegt, das konnte ich hören. "Du machst weiter. So wie du es immer getan hast." Gab ich aus. "Denn genau das ist es was wir machen. Weiter. Immer weiter. Du und ich gegen den Rest der Welt. Und wenn der kleine Wurm da ist, wird er die beste Mama und die aller coolste Tante haben, die es je gab." Denn das war es was wir immer taten. Was wir immer getan hatten. Wir würden nicht ewig zu zweit sein. Aber wir würden immer zueinander halten. Immer miteinander kämpfen und uns gegenseitig beschützen. Wir gegen den Rest der Welt. 

Freezin' Soul ( Freezin' 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt