KAPITEL 4| Gabe

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Gabriel 'Gabe' Parker
Einsam, Alaska
19. Januar

Leere. Obwohl alles genau so war, wie es vorher war. War alles doch anders. Ich war alleine. Und ich hätte nicht geglaubt, dass mich das so aus der Bahn werfen würde, doch das tat es. Selbst Rufus lag den ganzen Tag im Bett. Als würde sie wiederkommen, wenn wir es uns nur doll genug wünschten. Gestern war er aufgestanden und zum Bett getrottet. Etwas wackelig auf den Beinen. Er hatte sich langsam hinauf gewuchtet und war seitdem nur wenige Male aufgestanden.
Ich allerdings schaffte es nicht mich in das Bett zu legen in dem ich Sky so nah gewesen war. Seit zwei Tagen schlief ich auf der Couch und tat so als wäre sie noch immer nur ein paar Meter von mir entfernt. Kaum schaffte ich es mich für die wichtigen Dinge zu motivieren. Ohne Sky war die Luft raus. Ich war wie ein kleiner Junge, der absolut bescheuert einem Mädchen hinterher trauerte. ich war erwachsen und sollte mich zusammenreißen, aber ich schaffte es nicht und das machte mich wütend. Ich war doch kein kleiner Junge mehr.
Nie, nie zuvor hat sich etwas so falsch angefühlt und alleine das zu denken, trieb mich weiter hinab. Immer wieder dachte ich an Billy. Und seit Sky weg war, waren die Albträume zurückgekehrt, die ich vor Jahren zuletzt hatte. Es war als wären die letzten Jahre nicht passiert. Jeder Tag war noch langweiliger als der letzte. Noch langatmiger, noch eintöniger, noch belangloser. Und doch hoffte ich jedes Mal, wenn ich durch die Tür kam, dass Sky auf der Couch sitzen würde und eins meiner Bücher lesen würde. Ich hoffte sie würde aufblicken, mich ansehen und das sanfte Strahlen würde in ihren Meerblauen Augen stehen. Auf ihren Lippen würde das sanfte Lächeln erscheinen und ich würde wissen, dass ich keine Chance mehr hatte. Sie hatte mich am Haken.
Doch jeden Tag kam ich durch die Tür hinein und nichts. Niemand saß auf meiner Couch. Kein Strahlen, kein Lächeln. Nur ein anklagender Blick und ein verachtendes Schnauben, weil ich nicht die Person war, die auch Rufus unbedingt wiedersehen wollte.
Ich hatte vorher noch nie jemanden vermisst. Jedenfalls nicht so. Ich kannte den Begriff Heimweh aus der Armee ziemlich gut. Aber das hier war etwas völlig anderes. Neuerdings aber kam mir meine Familie immer wieder in den Sinn. Ich stellte mir die Frage, ob Sky recht gehabt hatte, als sie sagte ich sei egoistisch gewesen. Wahrscheinlich wusste ich das selbst irgendwie. Denn alles was Sky gesagt hatte war richtig.
Also schrieb ich das erste Mal in Acht Jahren einen Brief. Und ich beschloss ihn auch abzuschicken, sobald die Schmelze begann. Doch bis auf die Adresse fiel mir kein Wort leicht. Ich hatte keinen von Ihnen Acht Jahre gesehen. Vor allem meine Schwester war ein Mensch den ich nicht kannte. Für sie war ich ein Fremder und ich hasste mich seltsamerweise dafür. Ich hatte gesehen, wie verantwortlich Sky sich für ihre Schwester fühlte. Wie tief und innig sie sich liebten. Aubrey war wirklich eine Löwenmutter. Dabei hatte ich sie nur kurz kennengelernt. Doch der Blick mit dem sie mich bedacht hatte, löste in mir noch jetzt eine Gänsehaut aus.
Ich wünschte ich hätte das auch für meine kleine Schwester getan. Doch ich war gegangen, zu beschäftigt mit meinen Gefühlen, das ich nun keinen blassen Schimmer hatte, wer sie überhaupt war.
Ich hatte geglaubt es wäre besser so. Das ich irgendwie gefährlich war. Doch wenn mir Billys Tod eins gezeigt hatte, dann nur das ich niemandem wehtun wollte. Nie wieder und wenn ich mir sicher war, dass ich das nicht tun würde, warum konnte ich dann nicht zu meiner Familie gehen?
Schlagartig wurde mir bewusst, dass egal was ich immer gedacht hatte, das es nur Schwarz und weiß gab, nicht so einfach war. Denn was wäre die Alternative gewesen? Den Jungen liegen lassen? Ihn zu schultern? Ich war lange genug medizinischer Offizier gewesen. Ich wusste das er nicht überlebt. Selbst wenn er in diesem Moment ins Krankenhaus gekommen wäre, so hätte ich nicht garantieren können, dass er überlebt. Ein Bauchschuss und ein solcher Blutverlust?
Also hatte Sky recht? Hatte ich mich selbst bestrafen wollen für etwas, das ich nicht hätte ändern können?
Eine unehrenhafte Entlassung war für mich nicht Strafe genug und deswegen hatte ich mich hier Acht Jahre verschanzt und nicht nur Billy enttäuscht, sondern auch meine kleine Schwester, meine Eltern? War ich egoistisch, weil ich ihnen verboten hatte mich zu lieben? Weil ich ihnen vorgeschrieben hatte, was sie zu fühlen haben? War es das? Und wieder kam ich zu dem Entschluss das Sky recht hatte und ich unrecht. Und obwohl ich jeden Menschen dafür bis jetzt gehasst hatte, konnte ich nicht anders als Sky dafür zu bewundern. Sie hatte mich in drei Wochen durchschaut. Einfach so. Dabei war ich immer so stolz darauf nicht durchschaubar zu sein. Aber nicht nur das sie mich lesen konnte, wie ein offenes Buch, hatte sie mich um den kleinen Finger gewickelt. Dieses unscheinbare Ding.
Ich erinnerte mich wie ängstlich sie mich gemustert hatte, wie ich sie hatte loswerden wollen. Mir hätte klar sein sollen, als sie die Schultern gestrafft hatte, tief einatmete und mir dann ihren Namen sagte, dass ich von ihr überrascht würde.
Es lag an meiner Arroganz, dass ich sie nicht hatte kommen sehen und sie so unterschätzt hatte. Wie auch nicht. Denn sie war nicht das was man erwartete wenn man sie sah.
Sie war eine dieser Personen die einem nicht auffielen, wenn der Raum voll war. Sie war eine dieser Personen, die in der hinteren Ecke stand und sich raushielt. Sie war unscheinbar und zurückhaltend.
Das Problem damit aber war, dass man, wenn man sie einmal ansah nicht mehr loskam. Denn sie trug diese Maske so makellos, mühelos und tadellos, dass sie perfekt in der Menge unterging und sich dahinter verstecken konnte.
Doch hier hatte es keine Menge gegeben. Sie hatte sich selbst in den Arsch getreten und einen Schritt nach vorne gehen müssen, weil es nichts gab, wohinter sie sich hatte verstecken können. Und auch wenn sie immer wieder versucht hatte ihre Maske aufzusetzen hatte sie nicht mehr gepasst. Also hatte sie diese Maske irgendwann abnehmen müssen und darum beneidete ich sie. Um ihre Stärke und ihren Willen. Denn Sky war furchtlos, während ich, der große Gabriel Parker, Angst vor der großen weiten Welt hatte. 

Freezin' Soul ( Freezin' 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt