KAPITEL 11| Sky

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Skyler 'Sky' Baker
Große neue Welt, Staunton
28. Januar

Ich war eigentlich schon überall in Amerika gewesen. Doch noch nie war ich in der kleinen Stadt in Virginia. Ehrlich gesagt, war ich überrascht von dem kleinen Ort, der gleichzeitig aufregend und verschlafen wirkte. 
Die Stadt lag im Herzen des Shenandoa Valleys und gerade Mal 24.000 Einwohner nannten diesen Ort ihr Zuhause. Ich war aus dem Bus gestiegen und ein eigenartiges Gefühl packte mich sofort. 
Jim hatte mir die Adresse gegeben und ich hatte ohne weiter darüber nachzudenken meine Sachen gepackt. Dabei wusste ich nicht Mal was genau ich hier eigentlich tat. Ich lächelte als ich durch die Straßen lief und mich einfach treiben ließ. Es war noch früh und die Sonne brach gerade über den Horizont. Sanft beleuchtete sie die Straßen, die ruhig und verlassen vor mir lagen. Mit einem erleichterten Seufzen griff ich nach meiner Kamera. Das Gefühl den Auslöser zu drücken verursachte mir eine Gänsehaut. Hier zu sein verursachte mir eine Gänsehaut. 
Ich fragte mich bei jeder Straße, ob Gabe schon mal hier war. Vermutlich kannte er jede Ecke dieser Stadt. Dabei hatte er mir nichts von seiner Heimat erzählt. Er vermisste sie nicht so sehr, wie er seine Familie vermisste. 
Das Klicken des Auslösers gab mir ein gutes Gefühl. Seltsam wenn man bedachte, dass ich sie erst zuhause lassen wollte. Was mich am Ende dazu bewogen hatte mitzunehmen, wusste ich nicht mal so recht. 
Doch ich würde mich für immer an diesen Ort erinnern und ich hatte Bilder  an denen ich mich festhalten konnte. 
Als ich auf die Uhr blickte und bemerkte das die Sonne mittlerweile schon am Himmel stand, ich aber noch immer durch die Straßen, vorbei an den bunten Häusern, ging, war es schon weit nach acht Uhr. 
Erschöpft suchte ich mir ein kleines Café, dass in einem rosafarbenen Eckgebäude war und setzte mich mit meinem Rucksack an einen Tisch. Ich musste mir zurechtlegen, was genau ich sagen wollte, wenn ich Gabes Familie tatsächlich fand. 
Jim hatte mir eine Adresse gegeben die allerdings schon ein paar Jahre alt war. Ich hatte keine Wahl als meinem Bauchgefühl zu vertrauen, das mir sagte, dass sie noch hier waren. Irgendwo in dieser kleinen, schönen Stadt. Und ich wollte sie finden. 
Ich wusste das alles tat ich nur für mich. Doch mir war klar, dass ich ihnen sagen wollte, das er lebte und das es ihm gut ging. Irgendwie. Und dass er sie liebte und vermisste und das es ihm leidtat. Ich hatte spüren können, dass er es bereute seine Schwester verlassen zu haben. Und ich wollte das sie es wusste. Denn es reichte das es einen Menschen auf der Welt gab, der ihn hasste. Und vielleicht, nur vielleicht wollte ich ein Gesicht sehen, das seinem ähnlich war. Nur ein kleines bisschen. Ziemlich egoistisch, das wusste ich selber.
Vielleicht hatte Gabe recht, vielleicht ging es ihnen besser ohne ihn. Vielleicht lebten sie ein gutes Leben. Vielleicht würde ich stören. Doch solange nicht jeder Teil, der auch nur im geringsten mit Gabe in Verbindung stand, ablehnte, würde ich es weiter versuchen.
Ich bestellte mir einen heißen Kakao und versuchte die Kälte aus mir zu vertreiben. Ich hatte die Kälte beinahe vergessen. Wie früher. Im Sucher meiner Kamera hatte nichts anderes Platz. Nur das was ich sehen konnte. 
Dazu bestellte ich mir einen Blaubeermuffin, doch die Übelkeit packte mich bevor ich auch nur ein Stück probieren konnte. 
Ich kramte die Adresse aus meiner Tasche und gab sie in mein Telefon ein. Von hier aus war sie nur einen Block entfernt. Die Übelkeit nahm zu, mischte sich mit Aufregung, Angst, Panik und auch etwas Vorfreude. 
Ich war nicht gut darin mit Menschen zu reden. Weder mit Fremden noch mit anderen. Ich hatte immer Aby gehabt, die hatte das übernommen. Aber genau das wollte ich nicht mehr. Und was sollte ich diesen Fremden Leuten erzählen? 
Hey, ich bin die Frau die mit ihrem Sohn/ Bruder geschlafen und jetzt bin ich schwanger. Wollte nur mal gucken wie es euch so geht? Ziemlich bescheuert und doch konnte ich nichts dagegen tun.  Denn genau das war es, was ich jetzt machte. 
Ich drückte mich noch über eine Stunde davor loszugehen, doch irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Mit einem tiefen Atemzug strich ich mir über den Bauch. Irgendwie beruhigte mich diese kleine Geste. "Na los." Flüsterte ich endlich, erhob mich, stopfte den Muffin in meine Tasche und verließ das kleine Café. 
Mit bebenden Schritten wandte ich mich nach rechts und folgte meinem Handy Richtung Innenstadt. Die alten Gebäude wurden älter und die Dekorationen verschnörkelter. Und mit jedem Schritt den ich näher an das Gebäude machte, bebten meine Finger noch mehr. Meine Knie zitterten und ich knetete nervös meine Finger. 
Mit einem vibrieren verkündete mir mein Telefon das ich mein Ziel erreicht hatte. Langsam blickte ich an dem großen Backsteinhaus hinauf. Es fügte sich nahtlos neben anderen Häusern ein, hatte diesen unverkennbaren englischen Gründerstil und ragte über mir auf, wie es auch die Kenai Mountains getan hatte.
Wieder zögerte ich. Versuchte mir etwas einfallen zu lassen, warum ich das hier nicht tun sollte oder auch warum ich es tun sollte. Doch meine Gedanken waren einfach leer. Also ging ich mit einem nicken zur Eingangstür und stellte fest, dass es nur einen Namen am Klingelschild gab. Ein wirklich großes Haus für nur eine Familie. Wenn ich daran dachte, wie groß Gabes Haus war. Eine kleine Hütte mitten im Nirgendwo im krassen Kontrast zum großen Backsteingebäude in der Innenstadt. Einer kleinen Stadt, doch trotzdem... Vermutlich hatten dieses Haus mehr Leute im letzten Monat betreten als Gabe in den letzten Jahren gesehen hatte.
Und egal wie viele Gründe ich suchte, nicht zu klingeln, war es der Name am Klingelschild der mir die Tränen in die Augen trieb. Es gab tausende Menschen im Land die seinen Namen trugen und doch wusste ich, dass dies nicht nur der gleiche Name war. Das hier war sein Name. Das hier war seine Familie. Das waren seine Leute und sie waren das nächste, das ich ihm kommen konnte. Jedenfalls in den nächsten acht Monaten. 
Als ich den Arm hob und mit meinem Finger die Klingel berührte, gaben meine weichen Knie fast unter mir nach. Ich hatte keine Ahnung was ich erwarten sollte. Was ich erwarten konnte und was genau ich eigentlich sagen sollte. Doch ich wollte einfach nur ein freundliches Gesicht sehen. Ein Gesicht, dass seinem ähnlich war. Nur ein kleines Bisschen. Das würde mir schon reichen.

Freezin' Soul ( Freezin' 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt