Kleiner Stern

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Dimitrij- vor 10 Jahren

Der Schnee knirscht unter meinen Stiefeln als ich die leeren Straßen entlang gehe. Es hat vor nicht einmal einer Stunde geschneit.
Ich vergrabe meine behandschuhten Hände in den Taschen meines Mantels der mir fast bis zum Boden reicht und mich vor der Kälte schützt. Ich bin in Gedanken versunken, als plötzlich jemand in mich reinläuft. Ich sehe mit gerunzelter Stirn nach unten. Zu meinen Füßen sitzt du. Ich schätze dich auf gerade mal elf. Wieso bist du alleine zu dieser Uhrzeit draußen? Du siehst erschrocken nach oben und beginnst eine Entschuldigung zu stammeln. Deine Stimme ist sanft und kindlich.

Sie gefällt mir.
Doch mir fällt auf, dass du mir nicht direkt in die Augen siehst. Hast du etwa Angst vor mir? Das brauchst du doch nicht.
Ich werde dir nichts tun.
Mir entgeht dein Zittern nicht. Dir ist kalt.
Ich gehe vor dir in die Hocke, streiche dir sanft die wirren Locken aus dem Gesicht und lege meine Hand auf deinen kleinen Kopf.
Du weitest leicht die Augen. Als ich genauer hinsehe, erkenne ich, dass sie nicht braun sind, sondern die Farbe von Bernstein haben.

Faszinierend.

Eine Unschuld und Zerbrechlichkeit spiegelt sich in ihnen wieder, die den Wunsch in mir wecken, jedem eine Kugel in den Kopf zuschießen, der es wagt, dich mir wegnehmen zu wollen.

Ich schenke dir ein kleines Lächeln, das breiter wird als ich sehe wie du es schüchtern erwiderst. Mein Blick fällt auf deine Hände. Vorsichtig greife ich nach einer und umschließe sie mit meiner.
Sie ist verdammt kalt und klein. Ein tiefes Seufzen verlässt meinen Mund, ehe ich mich wieder zu voller Größe aufrichte.
„Was machst du hier alleine?", frage ich dich und sehe dich mit hochgezogener Augenbraue an. Ich sehe mich um. Die Straßen sind verlassen und nur spärlich beleuchtet.

„Das ist kein Ort für so ein kleines Mädchen wie dich.", erkläre ich dir und der sanfte Tadel in meiner Stimme lässt dich meinen Blick meiden. Ich grinse belustigt in mich hinein. Dann greife nach deiner Hand um dich auf die Beine zu ziehen.
„Ich... wollte nach Hause...", beginnst du leise zu erzählen und siehst zu Boden.
„Hast du es denn noch weit?", frage ich dich und du schüttelst den Kopf.
Wieder seufze ich und drücke dir meine Handschuhe in die zitternden Hände. Verwirrt siehst du mich an.
„Zieh sie schon an, Kleine.", sage ich und vergrabe meine Hände in meinen Manteltaschen.
„Ich... kann das ni-", setzt du an, wirst aber von mir unterbrochen, „du kannst und du wirst.", der Unterton in meiner Stimme duldet keinen Widerspruch.

Du blinzelst einige Male, schluckst und ziehst dir dann die Handschuhe über. Sie sind dir viel zu groß, aber sie werden dich vor der Kälte schützen.
„Und jetzt ab mit dir nach Hause, Kleines.", mit diesen Worten gehe ich an dir vorbei doch halte inne, als ich du mich fragst, wie ich heiße.

Mit einem Grinsen drehe ich mich halb zu dir.
„Unwichtig. Morgen wirst du mich schon vergessen haben.", sage ich und du willst schon widersprechen, als du den Mund wieder schließt und mir ein breites und ehrliches Lächeln schenkt.
„Ich danke Ihnen.", bedankst du dich, drehst dich um und läufst davon. Ich sehe dir hinterher und bemerke, wie sich eine unstillbare Gier in meinem Inneren ausbreitet.
Mein Monster hat Blut geleckt.

*

Ich nehme einen kleinen Schluck aus dem Glas und schon setzt das Brennen in meinem Hals ein, als ich den Alkohol schlucke.
Ich habe an unsere erste Begegnung gedacht Olivia.
Ich habe dich nicht vergessen, das konnte ich überhaupt nicht. Denn du, Olivia, hast dich wie ein Brandzeichen in mein Gedächtnis gebrannt.
Du hast mir schlaflose Nächte bereitet. Die Tatsache, dass du nicht bei mir warst, jemanden anderen angehimmelt hast, hat mich rasend vor Eifersucht gemacht.

Ich habe dich aus der Ferne beobachtet, bin dir wie ein Stalker hinterher geschlichen, sogar bis vor deine Haustüre.
Der Drang, dich einfach zu packen und dich mit nach Russland zu nehmen, war groß Olivia. Ich hatte Mühen, ihm zu widerstehen.
Denn dein Weltbild wäre in tausend kleine Teile zerbrochen, hätte ich meinen anfänglichen Plan in die Tat umgesetzt.
Das Weltbild in denen es nur gute, ehrliche und gerechte Menschen gab.

Doch erst im Nachhinein, habe ich gemerkt, dass es ein Fehler war, dich in Chicago zu lassen. All das Leid wäre dir erspart geblieben, hätte ich mir dich einfach genommen und wie das Monster, das in meinem Inneren tobt, in meine Höhle verschleppt.
Logan hätte dich nie geschändet und deine Eltern hätten dir nie vor Augen geführt, dass du größte Fehler in ihrem Leben bist.

Ich hätte dir das Leben gegeben, dass du verdienst. Ich hätte dich mit Liebe und Zuneigung überschüttet.
Ich hätte dir alles gegeben, was du dir gewünscht hättest.
Du wärst glücklich bei mir gewesen.
Viel glücklicher als du es je in Chicago gewesen wärst.

Ich erhebe mich aus meinem Stuhl, stehe auf, gehe zum großen Fenster und schaue nach draußen, in die ferne Dunkelheit.
Die Sterne stehen hoch oben am Himmel und werfen ihr Licht auf die Welt.
Ohne sie wäre unser Planet ein dunkler und kalter Ort.
Meine Mundwinkel zucken nach oben, als ich dich mit den Sternen vergleiche.
Ja Olivia, du bist mein kleiner, persönlicher Stern.

Ich seufze drehe mich um gehe zu meinem Schreibtisch, schnappe mir das leere Glas und fülle es zu Hälfte mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit.
Ich lehne mich gegen meinen Schreibtisch und schließe die Augen. Wieder wandern meine Gedanke zu dir. Du schläfst bestimmt schon, denn es ist gerade genau halb zwei in der Früh, wie mir ein kurzer Blick auf meine Uhr, die mein Handgelenkt umschließt, verrät.
Ich denke an unsere kleine Session.
Du warst ein braves Mädchen und hast mich stolz gemacht.

Ich will mich gerade weiter in meinen Gedanken verlieren, als die Tür plötzlich aufgeht und Wladimir hineintritt.
Ein besseres Timing konnte er sich wohl nicht aussuchen.
Ich unterdrücke meinen Ärger über seine Störung und frage ihn stattdessen, was er will.
„Igor und seine Sippschaft sind gerade eingetroffen.", erklärt er, wie gewohnt kühl, und sieht mir geradewegs in die Augen, sucht nach einer Reaktion meinerseits.

Mit einem lauten Knall zerspringt das Glas an der gegenüberliegenden Wand und der Alkohol hinterlässt einen hässlichen dunklen Fleck.
Ich balle die Hände zu Fäusten zusammen, sodass meine Fingerknöchel weiß hervortreten. 
„Hat er gesagt, was er will?", presse ich zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor.
„Er hat nur gesagt, dass er die Familie besuchen will." Wladimir schnaubt und betont das Wort „Familie" abfällig.
Ich nicke nur.
„Pass auf, dass Olivia nicht in die Nähe von ihnen kommt." Mit diesen Worten gehe ich an meinem besten Freund vorbei und mache mich auf dem Weg zu Igor, um herauszufinden, was dieser Mistkerl wirklich hier will.

Ich weiß...- es ist lange her und das tut mir auch wirklich wirklich leid.
Doch die Motivation hat mir in letzter Zeit gefehlt und da der Präsenzunterricht wieder angefangen hat, bin ich auch nicht wirklich zum Schreiben gekommen.

Ich war auch lange am Überlegen, ob ich die Geschichte lösche, da sie mir nicht mehr gefällt. Doch dann habe ich mich dazu entschieden, sie ein klein wenig umzuschreiben.

Ich hoffe aber, euch gefällt dieses Kapitel. Bis zum nächsten Mal.

Frisson-sinful pleasureWo Geschichten leben. Entdecke jetzt