Überraschung

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Ein lautes Donnern ließ mich aus meinem Traum hochschrecken.
Ich saß für einen kurzen Augenblick orientierungslos in meinem Bett, bis es wieder donnerte.
Ich presste mir die Handflächen auf die Ohren, versuchte das Zittern, dass durch meinen Körper rauschte, so gut es geht zu ignorieren.
Es gelang mir nicht wirklich und wimmernd biss ich mir auf die Innenseite meiner Wange.
Es gewitterte wieder!

Ohne weiter darüber nachzudenken schlüpfte ich aus dem Bett und rannte aus dem Zimmer.
Meine Beine trugen mich durch das dunkle, große Anwesen, meine Schritte wurden durch den Teppich, der auf dem Boden ausgerollt war, gedämpft.
Als ein grelles Licht den dunklen Himmel erhellte, zuckte ich zusammen und verflucht es, dass die Vorhänge nicht vor den großen Fenstern zugezogen waren.
Leicht außer Atem und vor panischer Angst zitternd, stand ich vor Dimitrij's Schlafzimmertür.
Ich zögerte leicht, ob ich klopfen sollte oder nicht. Vielleicht schlief er schon, oder er würde mich wegschicken.
Als ich dann doch klopfte, wartete ich einige Sekunden.
Nichts geschah.
Ich klopfte wieder, diesmal fester.
Noch immer tat sich nichts.
Ich atmete tief durch, ehe ich die Tür aufdrückte.
Sein Zimmer war in Dunkelheit getaucht, das Bett unbenutzt. Ich lauschte, aber es ertönte kein Rauschen von Wasser aus seinem angrenzenden Badezimmer.

Wo zum Teufel war er?!

Erdrückende Panik nahm mich ein, als ich sein Schlafzimmer wieder verließ.
Es war stockdunkel draußen und der Regen flog an die Fensterscheiben.
Ich wischte mir über die nassen Augen und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen.
Vielleicht befand er sich ja in seinem Büro?
Ich schluckte den angesammelten Speichel in meinem Mund herunter und machte mich weichen Knien auf den Weg zu seinem Arbeitszimmer.
Und tatsächlich!
Durch den Schlitz unter der Tür drang Licht!
Erleichterung durchströmte mich, doch diese wurde sofort wieder weggespült, als es wieder donnerte.
Ich nahm all meinen Mut zusammen und klopfte an seiner Tür. Hoffentlich machte er auf.
Er sagte etwas auf Russisch, seine Stimme klang barsch, da ich ihn nicht verstand, brachte ich nur ein krächzendes „Dimitrij" heraus.
Schritte ertönte und die Tür wurde aufgerissen.
Einem kalten Ausdruck in seinem Gesicht wich ein verwirrter.
Ich stand noch immer auf der gleichen Stelle, doch als er die Arme ausbreitete, konnte ich nicht anders und stolperte in die Umarmung hinein.
Ich presste mich an ihn, genoss seine Körperwärme und seinen einmaligen, himmlischen Geruch.
Dimitrij zog mich in sein Büro und schloss die Tür.
Ich erhaschte einen Blick auf seinen Schreibtisch. Einige Unterlagen lagen leicht verstreut auf diesem. Er hatte also gearbeitet.
Ich bekam ein schlechtes Gewissen, wohlmöglich hatte ich ihn gestört.
Dimitrij führte mich zu einem Stuhl und setzte mich auf ihn.
Dann ging er in die Knie und strich mir zärtlich die Tränen aus den Augen. Ich lehnte mich wimmernd seiner Hand entgegen und entlockte ihm somit ein kleines Lächeln.
„Ich habe Angst.", flüsterte ich leise, meine Stimme brach.
Er brummte und gab mir einen sanften Kuss auf die Stirn.
„Vor dem Gewitter?", fragte er und sah hinaus. Der Regen hatte sich verschlimmert und das Donnern wurde mehr.
Ich nickte mit zusammengepressten Lippen.
Weichheit legte sich in seine Augen und er strich mir eine Locke aus der Stirn.
Er stand auf, ging zu den Vorhängen und zog sie zu, bevor er wieder zu mir kam.
„Habe ich gestört?", fragte ich leise und deutete auf seinen Schreibtisch.
Er schüttelte den Kopf.
„Nein, hast du nicht. Du störst nie, meine Kleine. Du kannst und wirst immer zu mir kommen, wenn etwas ist.", erklärte er mit sanfter Stimme.
Mein Herz schlug Purzelbäume bei der Bemerkung.
Er griff auf seinen Schreibtisch, nach einem Whiskyglas, im dem eine bernsteinfarbene Flüssigkeit schwamm. Neben dem Glas befand sich eine wunderschöne Kristalkaraffe.
Auffordernd hielt mir Dimitrij das Glas entgegen.
Ich griff vorsichtig nach ihm und nippte an dem Alkohol. Ich verzog das Gesicht leicht. Ich mochte keinen Whisky.
Er lachte leise.

Ich versuchte ihn so unauffällig zu mustern, wie es mir möglich war.
Dimitrij trug ein weißes Hemd, dessen Ärmel bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt waren und eine schwarze Weste. Die Krawatte fehlte und die ersten beiden Knöpfe seines Hemdes waren offen.
Er war wieder einmal lächerlich gut aussehend...
Ich runzelte die Stirn, und starrte durch die Tränen hindurch auf seinen Oberkörper.
Er trug einen ledernen Schulterholster mit... einer Waffe drinnen...
Verpufft war die Angst vor dem Gewitter und etwas anderes, das ich jetzt noch nicht benennen konnte, drängte sich in den Vordergrund.
Ob die Waffe wohl geladen war?
Hatte er mit ihr getötet?
Dimitrij musste mein Starren bemerkt haben, denn er sah sofort auf die Schusswaffe.
Er schmunzelte leicht, ehe er sich den Holster von den Schultern zog und ihn hinter sich auf den Boden legte.
Das Metall schabte etwas über den teuren Holzboden.
Als er wieder zu mir sah, ergriff er mein Gesicht und zog mich ein wenig zu sich herunter.
Sein heißer Atem prallte gegen meine nassen Wangen.
„Konzentrier dich ganz auf mich Olivia. Vergiss das Gewitter. Denk an mich.", hauchte er leise und eindringlich und ich konnte nur nicken.
Ich wollte ihn fragen, wieso er eine Waffe bei sich trug, wollte rational denken, doch diese Worte kamen mir aus einem unerklärlichen Grund nicht über die Lippen und mir fiel das Denken in diesem Moment schwer.
„Braves Mädchen.", sagte er und drückte mir einen kurzen Kuss auf die Lippen.
Er schmeckte nach Alkohol.
Meine Lippen begannen leicht zu kribbeln, als würden hunderte Ameisen auf ihnen herumkrabbeln.
Dimitrij umfasste mein Kinn und sein Blick brannte ich sich schier in meine Netzhaut.

Dann erhob er sich und jetzt musste ich zu ihm aufsehen.
Er lächelte leicht auf mich herab.
Dimitrij ergriff sanfte meine Hand und zog mich auf die Beine.
„Ich habe eine Überraschung für dich, Olivia. Ich wollte es dir eigentlich erst später zeigen, aber ich habe mich umentschieden.", erklärte er mir und zog mich neben sich her, raus aus dem Büro.
Jetzt standen wir im dunklen Gang und ich presste mich an den Mann neben mir. Ich hörte ihn leicht glucksen und errötete.
Mit gesenkten Kopf folgte ich Dimitrij durch das Anwesen, war darauf bedacht, mich nicht mehr als einen Meter von ihm zu entfernen.
Noch immer gewitterte es und noch immer hatte ich Angst, doch in seiner Nähe, verblasste sie fast vollkommen.

Wir kamen nach einiger Zeit vor einem kleinen Doppelflügel an.
In das dunkle Holz wurde hineingeschnitzt.
Eine leise Aufregung machte sich in mir breit. Was sich wohl hinter der Tür befand?
Als Dimitrij die Türen endlich aufstieß und zusammen mit mir eintrat, hatte ich das Gefühl zu träumen.
Ich stand in Mitten von meterhohen, dunklen Regalen, die alle voll mit Büchern waren.
Der Boden war aus hellen Marmor, die Säulen, die die Decke oben hielten, genauso.
Apropos Decke...
Sie war bemalt.
Es war eine recht düstere und trotzdem schöne Szene abgebildet.
Ein wunderschöner Engel fiel aus dem Himmelreich, seine einst so prächtigen, weißen Flügel bluteten, hatten an einigen Stellen schwarze Federn und das Reich Gottes stand in Flammen.

Ein gefallener Engel, in all seiner Schönheit.

Ich wandte den Blick von dem Bild ab und sah mich weiter um.
Ich entdeckte einen großen Tisch, mit einem Globus und einer wunderschönen Schreibtischlampe drauf.
Außerdem eine angenehme Sitzecke und... einen Steinkamin, ähnlich dem, der im Wohnzimmer stand, vor dem ein flauschiger, weißer Teppich ausgebreitet war.

Ich drehte mich zu Dimitrij um.
Er stand etwas abseits vom Eingang und sein Blick lag auf mir.
Ich musste an die Deckenmalerei denken.
Er war mein Engel.
Mein gefallener Engel, der aus dem Himmel vertrieben und verbannt wurde.
Er war Luzifer.
Ich kam auf ihn zuggerannt und er breitete seine Arme einladend.
Ich prallte gegen ihn und vergrub meine tränenden Augen in seiner Brust.
Dimitrij schloss seine Arme um mich und drückte mich enger an sich.
„Danke.", nuschelte ich gegen seine Brust und erntete dafür einen Kuss auf den Kopf.

„Alles für dich, mein Schatz.", raunte er leise und ich spürte wie mir die Hitze in die Wangen stieg.
Als ich mich nach einiger Zeit von ihm löste, ging er vor mir leicht in die Hocke, sodass wir beide fast auf Augenhöhe waren.
„Du wirst hier immer herkommen können, vorausgesetzt du bist ein braves Mädchen, Olivia.", erklärte er mit sanfter und doch bestimmter Stimmlage.
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und nickte heftig mit dem Kopf.
Er lachte leicht in sich hinein und sah dann aus einem der drei großen Fenster.
Das Gewitter hatte ein wenig aufgehört. Erleichtert atmete ich aus.
Dimitrij beugte sich ein wenig vor, überwand den geringen Abstand und küsste mich.
Zuerst langsam und zärtlich, dann fordernd und verlangend.
In diesem Augenblick war alles vergessen.
Mein früheres Leben in Chigaco, Logan, das Gewitter und die Flucht.
Alles was jetzt zählte, war er.
Nur er.

Frisson-sinful pleasureWo Geschichten leben. Entdecke jetzt