Wofür lohnt es zu kämpfen?

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Die Stunden vergingen zäh und schleichend. Mein Essen wurde nur unregelmäßig in das Zimmer geschoben. Jedes Mal mit demselben, lauten, kratzenden Geräusch, das Blech auf hartem Boden hinterließ. Manchmal stand ein Eimer dabei, für die Bedürfnisse, die einen Menschen von Zeit zu Zeit überkamen. In den Momenten versteckte ich mich hinter der Couch und verrichtete das Nötigste. Es war das Schamvollste und Erniedrigendste, zu dem ich mich je gezwungen gesehen hatte - und es sorgte dafür, dass mein Selbstwertgefühl in den letzten Tagen quasi auf Null gesunken war.

Und der Graf? Der war wie traumatisiert seit jenem Vorfall. Er lehnte nur stoisch an der Wand, auf einen sehr fernen Punkt starrend, der längst nicht mehr in diesem Universum liegen konnte. Jeder Bildhauer wäre froh gewesen, ein Modell wie ihn zu haben. Doch so sinnvoll Gespräche mit Stein waren, so sinnvoll waren sie auch mit dem Grafen.

Das beunruhigte mich gravierender als jeder überhebliche Kommentar, der von ihm hätte kommen können. Machte er sich Vorwürfe? Ich konnte nicht leugnen, dass ich eben das tat. Ich warf ihm vor, mich angegriffen zu haben, mich fast getötet zu haben. Es fiel mir schwer, mich in ihn hinein zu versetzen und ihm zu verzeihen. Auch wenn ich wusste, dass es nur der perfide Plan dieses Magisters war, genau das zu provozieren.
Wer scherte sich schon um zwei "Gäste", die sich gegenseitig zerfleischten?

Ich saß auf der Couch und knetete meine Hände. Kaum zu glauben, wie bequem das alte Ungetüm war, wenn man nur lange genug fern von jedwedem Luxus dahinvegetierte. Die Lider zum Schutz gegen das unstete, schlafraubende Licht geschlossen, driftete ich in einen Tagtraum ab. Die einzige Form der Ruhe, die hier möglich war. Und die einzige Möglichkeit, das Gefühl eines heftigen Katers zu verscheuchen, das sich allmählich durch den Wassermangel einstellte.

In meinem Traum war die Welt so, wie sie sein sollte, wie ich sie vermisste. Es gab keinen Grafen. Es gab auch keine Vampire. Nur meine Mutter, die gerade mit einem Erdbeerkuchen in den Händen um die Ecke kam. Ich saß im warmen Gras und ließ Elefanten, Zebras, Löwen und Tiger in meinem Zoo leben. Ich liebte es, Gehege aus Bauklötzen zu bauen und die kleinen Spielfiguren darin zu platzieren. Wie so oft hatte ich mir große Blätter und Zweige gepflückt und in den Boden gesteckt, sodass mein Zoo wie ein Dschungel aussah. Wie immer lebten auch heute alle Tiere friedlich in einer großen Safari zusammen.

"Das ist Unsinn", nörgelte Jonas. Mein Bruder hockte sich zu mir und nahm sich Klötze aus der großen Peddington-Kiste, um sie in die Mitte des Geheges zu platzieren. "Zebras und Löwen können nicht zusammen leben. Die Löwen fressen die Zebras."
Er stellte die Klötze zu einer Linie. Ich beugte mich vor und riss sie wieder weg. "Doch, das können sie!" Ich warf die Klötze gegen die Truhe. "In meinem Zoo dürfen sie sich nicht fressen."

"Du kannst ihnen keine Regeln machen, Dummkopf", beharrte mein Bruder.

Ich wollte ihm nicht glauben. "Nein!" Er nahm sich den Löwen und stieß erst ein Zebra um, dann eine Baby-Giraffe. "Nein!", kreischte ich. "Jonas, hör auf! Das ist mein Zoo!"

"Jonas, Laura - Hört auf damit", schaltete sich meine Mutter ein und setzte sich zwischen uns. "Ich finde den Zoo richtig schön. Warum sollen Löwen und Zebras sich nicht vertragen?" Jonas zog einen Schmollmund, was unsere Mutter zum Schmunzeln brachte. "Erinnerst du dich an deinen Kater, Jonas? Zottel hat den Wellensittich von Oma und Opa auch sehr gerne gehabt, obwohl Katzen Vögel sonst jagen."

Jetzt ließ mein Bruder von seiner sturen Haltung ab. "Ich vermisse Zottel."

"Mama, bekomme ich auch einen Zottel?"

Unsere Mutter strich uns liebevoll über die Köpfe. "Wir müssen mal sehen. Vielleicht können wir ja nächste Woche mal zum Tierheim fahren und ein Kätzchen retten."

Gegenwart ist FluchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt