"Wie ihr wünscht, Mylord van Helsing."
Van Helsing? Ich starrte ungläubig auf die Kacheln zu meinen Füßen. Van Helsing? DER van Helsing? Mein Blick flog hinauf zu dem Magister, der es sich auf seiner Sitzgelegenheit bequem machte und einen Fuß auf sein Knie legte. Ein Vampirjäger. Ein Vampirjäger unter Vampiren. In London. Dracula. Hatte der wirklich existiert? Sollte tatsächlich alles wahr sein? Alles von dem, was die Welt als Mythos und alte Legende verklärte? Als Aberglaube, den rumänische Bauernvölker erschaffen hatten?
Ich wurde vom Gardisten stehen gelassen. Er verschwand zu der Tür hinaus, durch die wir gekommen waren. Als jene hallend ins Schloss fiel, überkam mich Hilflosigkeit. Unzählige Augen starrten mir in den Rücken, schienen mich mit Blicken zu durchbohren. Und auch die Art, wie der Magister mich musterte, hinterließ den Wunsch des Im-Boden-Versinkens.
"Meine liebe Laura, ich hoffe Sie konnten den Aufenthalt in meinem Hause ertragen. Ich hätte Sie gerne unter anderen Umständen empfangen. Für die miserable Unterbringung bitte ich inständig um Verzeihung." Der Magister hob eine Hand an seinen Unterkiefer, tippte in ungleichmäßigem Rhythmus mit dem Zeigefinger gegen sein Kinn. "Wissen Sie," fuhr er nach einer kurzen Pause fort, "die vorherrschenden Umstände sind sehr interessant."
Er stand auf und trat eine kleine Treppe hinab, die ihn direkt zu mir führte. Während er Schritt für Schritt näher kam, fing mein Herz an zu rasen. Mein Magen wurde heiß und schwer. Kälte lief mir über den Rücken. Ich spürte, wie meine Nackenhaare sich aufstellten. Bei mir angekommen legte er seine Hand auf meine Schulter. Ich zuckte zurück, auch wenn ich meine Angst zu unterdrücken versuchte.
"Sie fürchten sich, das ist verständlich. Immerhin wissen Sie so einiges über Vampire." Er lächelte mir milde zu. "Wenn ich darf, würde ich Sie gerne etwas fragen."
Wie wild flatterte mein Puls. Ich wollte gar nicht wissen, wie laut der Magister das Herz des Kindes schlagen hören konnte. Er konnte es doch, oder? Er war ein Vampir - oder nicht? Täuschte ich mich, oder war der wohl berühmteste Vampirjäger selbst zu einem derer geworden, die er gejagt hatte?
"Oh, ich jage immer noch. Nur mit anderen Mitteln." Sein Lächeln wurde blasser. "Erlauben Sie mir eine Frage?"
Mir fiel auf, dass ich seine vorangegangene Aussage übergangen hatte. Ob ich nun knallrot oder leichenblass wurde, konnte ich nicht mit Gewissheit sagen. Ich nickte etwas zu hastig. Mein Schädel dröhnte. Wo blieb nur der Graf?
"Nun, dann drehen Sie sich bitte einmal um." Van Helsing dirigierte mich an der Schulter vorsichtig, aber bestimmt herum, sodass ich dem Publikum zugewandt stand. "Sie sehen hier einige ausgewählte Repräsentanten einflussreicher Vampirhäuser." Er deutete ausladend auf die Anwesenden. "Von Lobkowicz, tretet bitte hervor."
Ich beobachtete, wie ein etwas fülligerer Herr in den besten Jahren mit einem Rotstich im ergrauten kurzen Haar hervor trat.
"Franz Joseph Maximilian von Lobkowicz, wäret Ihr so freundlich, als Zeuge eine Aussage zu tätigen?"
"Ja, Mylord van Helsing", erklärte der Angesprochene in steifer Haltung.
"Ist Euch diese junge Frau bekannt?"
Von Lobkowicz musterte mich wie ein seltenes Kunstwerk, das er sich vielleicht kaufen sollte, von dem er aber noch nicht sicher war, ob es seinen Preis wert war. "Nun, Mylord, ich sehe sie hier zum ersten Mal. Zweifelsohne jedoch kommt mir die Frau bekannt vor. Ich stand eine Zeit lang mit dem Sohn von Krolocks in Korrespondenz. Jener beschrieb mir den seltsamen Fall des Verschwindens einer Frau, deren Beschreibung verblüffend auf sie zutrifft. Mir ist, als sei auch der Name 'Laura' gefallen." Lobkowicz zog die Augenbrauen zusammen. "Er sprach davon, dass sein Hoher Vater außer sich gewesen sei."
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Gegenwart ist Fluch
FanfictionDie Zeit ist ein Paradoxon. So vergehen für den einen über 200 Jahre, in denen er dem einzigen Opfer hinterherjagt, das ihm entkommen konnte, während für andere Personen nur wenige Wochen vergingen. Für Laura hätte gerne mehr Zeit vergehen können, b...