Eine gute Stunde später stand ich geduscht und frisch gekleidet vor dem Spiegel und zupfte an der etwas zu großen Bluse herum, die man mir gegeben hatte. Ob der Ausschnitt absichtlich tief ausgefallen war konnte ich nicht beurteilen. Wenigstens die Hose saß ordentlich, wenn auch für meinen Geschmack etwas eng.
Im Endeffekt war das alles egal. Meine Gedanken kreisten schon wieder nur um den Grafen. Der Arsch hatte mich geküsst. Schon wieder. Breda. Warum nur konnte er mich so verdammt leicht um den Finger wickeln? Ich war doch nie der Typ 'Schlampe' gewesen. Warum fühlte es sich dann jetzt so an? Ich biss mir auf die Lippe. Noch immer kribbelte es in mir, wenn ich an seine glasklaren Augen dachte und diese düsteren Schatten um selbige. Und dieser Mund...
Ich zupfte an den Schulternähten der Bluse und verfrachtete den Ausschnitt damit höher, sodass nicht mehr allzu viel von meinem schwarzen BH zu sehen war. Es war schon schlimm genug, dass meine Gedanken problemlos zu lesen waren. Ich wollte nicht auch noch durch aufreizende Kleidung auffallen. Zumal ich nach wie vor schwanger war. Es... Es wäre einfach ekelhaft. Nein. Nicht weiter drüber nachdenken. Mir war das jetzt schon peinlich. Nicht auszudenken, wie elend mir wäre, bekäme einer der Vampire mit, dass ich den Gedanken überhaupt hatte.
Ein Klopfen an meiner Tür ließ mich herumfahren. Wild galoppierte mein Herz zwischen meinen Rippen. Mich beruhigend hielt ich eine Hand über meine Schlüsselbeine. Das war bestimmt nur der Graf. Nur. Pah!
Wärest du so freundlich, mir zu öffnen?
Bitte? Jetzt auch noch Anforderungen stellen? Nein, so schon gar nicht! Ich glich zwar gerade einem bockigen Kind, doch das hinderte mich nicht daran die Arme demonstrativ vor der Brust zu verschränken. Das obligatorische Aufstampfen unterdrückte ich dennoch lieber.
Ich kann auch ohne deine Zustimmung den Raum betreten.
Einen Moment lang harrte ich noch in meiner Haltung. Dann drehte sich der Türknauf. Die Augen verdrehend gab ich auf. "Also gut, ich mache ja schon auf." Das war mir dann doch lieber, als dass er schon wieder mein Zimmer erstürmte. Immerhin war das meine Privatsphäre. Der letzte klägliche Rest, der mir geblieben war.
Kaum dass ich die Tür erreicht hatte und dem Grafen öffnete fiel mir sein halb aufgeknöpfter Kragen auf. Es passte zu dem legeren Bild, das er momentan ohnehin abgab. Und es stand ihm... Nein! Nicht schon wieder! Errötend sah ich zu Boden und trat einen Schritt zurück.
"Vielen Dank, dass du mir doch noch öffnest." Ich konnte spüren, wie sein Blick von oben herab auf meinem Dekoltee lag. Jetzt bemerkte ich, dass ich ihm zu nahe war. So hatte er ja geradezu ungehinderten Blich auf... Argh! "Nur nicht so schüchtern, ich habe schon weit mehr von dir gesehen", raunte er mir ins Ohr. Konnte es sein, dass er in den vergangenen Jahr(zehnt)en versauter geworden war? "Gut möglich. Nach einer gewissen Zeit beginnt man, sich die Langeweile in gewissen Gewerben zu vertreiben."
Natürlich lief ich hochrot an. "Das", begann ich und musste abbrechen, um mich zu räuspern. "Das wollte ich nicht unbedingt wissen."
"Entschuldige", meinte der Graf, was ich ihm nicht recht abkaufen wollte. "Marin erwartet uns im Salon. Wenn du mich begleiten würdest?"
Er straffte die Schultern und hielt mir seinen Unterarm hin. Sollte ich mich etwa bei ihm einhaken? Ernsthaft?
Die Augenbraue des Grafen zuckte geringfügig in die Höhe. Ebenso wie sein Mundwinkel. "Ich bevorzuge es gegenüber des Händchenhaltens."
Okay, das Argument saß. "Ich auch", murmelte ich und legte meine Hand um seinen Arm. "Warum sollen wir ihn im 'Salon' treffen?", fragte ich, während wie gemütlich durch die Gänge schlenderten und schließlich eine Marmortreppe mit Goldeinfassungen hinab stiegen.
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Gegenwart ist Fluch
FanfictionDie Zeit ist ein Paradoxon. So vergehen für den einen über 200 Jahre, in denen er dem einzigen Opfer hinterherjagt, das ihm entkommen konnte, während für andere Personen nur wenige Wochen vergingen. Für Laura hätte gerne mehr Zeit vergehen können, b...